CfP: Glo­ba­li­sie­rung und Mi­gra­ti­on im 19. und 20. Jahr­hun­dert

Globalisierungsgeschichte und Historische Migrationsforschung sind zwei Forschungsfelder, die weitgehend unabhängig voneinander entstanden sind und sich ohne wesentliche gegenseitige Beeinflussung entwickelt haben. Dies überrascht schon in empirischer Hinsicht, weil doch Migrationen und ihre Akteure zentrale Charakteristika von Globalisierung darstellen und die durch Globalisierung hervorgerufenen Transformationsprozesse in Politik, Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft weltweit die Wanderungsentscheidungen, –wege und –folgen beeinflussen. Doch gerade auch die theoretischen Fragen nach den global divergenten Entwicklungsmustern und einer epochalen Einheitlichkeit des Globalisierungsprozesses in der Moderne sind anhand von Migration herausragend zu diskutieren. Schon die für Europa gültige Gegenwartsbeobachtung, dass sich verstärkte staatliche und überstaatliche Versuche, ‚Flüchtlingsströme‘ zu kontrollieren, zu steuern und abzuwehren letztlich gegen eines der wesentlichen Charakteristika des weltweiten Verflechtungs- und Verdichtungsprozesses richtet, weist auf ein ambivalentes und letztlich utilitaristisches Verhältnis Europas zur Globalisierung. Doch die Wanderungsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts deutet insgesamt darauf, dass Migration das europäische Selbstverständnis herausfordert, die globalisierte Welt nach westlichem Vorbild zu formen und zu beherrschen. In Zuwanderungen und ihren diversifizierenden und hybridisierenden Folgen für europäische Gesellschaften manifestiert sich sehr deutlich die im Prozess der Globalisierung zu beobachtende Gleichzeitigkeit von Homogenisierung und Heterogenisierung. Dies soll die internationale Konferenz auf Basis einer Auseinandersetzung mit dem für die Beschreibung und Analyse dieser Gleichzeitigkeit so wesentlichen Problemfeld ‚Bevölkerungspolitik und Staatlichkeit‘ in den Blick nehmen:

Moderne westliche Staatlichkeit entwickelte sich als bevölkerungspolitische Auseinandersetzung mit Migration. Bevölkerungspolitik reproduziert als merkantiler Bevölkerungsoptimismus oder als malthusianischer Übervölkerungspessimismus Vorstellungen von der Planbarkeit von Staatsbevölkerungen. Wesentliches Kriterium dieser Planbarkeit bildet die Frage nach der Freizügigkeit von Menschen und ihrer ökonomischen, sozialen, kulturellen und rassischen Erwünschtheit. Die Ideen von Bevölkerungsplanung mobilisierten Fragen nach Ethnizitäten und Staatsangehörigkeiten und gipfelten in rassistischen Ordnungen von Bevölkerungspolitik, die sich kulturalistisch und/oder sozialdarwinistisch ausprägten. Diese rassistischen Ordnungen wurden zur Grundlage imperialer Träume im Prozess der Globalisierung: Die Welt galt als aufteilbar und ihre Bevölkerungen als zu ordnende Objekte. Moderne Staatlichkeit wurde auf dem imperialen Wege auf den ‚Rest der Welt‘ projiziert. Einerseits gerann der imperiale Rassismus im Prozess der Globalisierung zur postkolonialen „global apartheid“. Andererseits irritiert Migration nicht nur den Plan vom Staat (Post-Nation; Post-Staat), sondern auch die Idee von der ‚Planbarkeit der Welt‘ (Post-Kolonialismus): Im weitesten Sinne Postkoloniale Arbeits- und Fluchtwanderungen hebeln nicht nur die angedachten modernen Bevölkerungsordnungen aus, sondern gerade auch insgesamt die westliche Vorstellung, die Welt nach ihrem Muster zu ‚entwickeln‘.

Diesen Zusammenhängen soll die internationale Konferenz in vier Fragekomplexen nachgehen:

1. Wie gestalteten sich westliche Bevölkerungspolitiken im Zusammenhang von Migrationen? Welche westlichen Ideen von Staatlichkeit manifestieren sich in den Bevölkerungspolitiken? Welche Leitbilder zwischen Restriktivität und Liberalität ergeben sich daraus für die Migrationsregime?

2. Wie wurden moderne westliche Bevölkerungspolitiken und Staatlichkeiten auf den ‚Rest der Welt‘ übertragen? Welche Folgen hat diese Übertragung für die nicht-westlichen Staats- und Nationsbildungen?

3. Wie ist Migration im (post)kolonialen Staat verankert? Wie entwickeln sich (post)koloniale Migrationsregime? Wie reagieren Wanderungen auf den Wandel von Staatlichkeiten in der Post-Kolonie?

4. Welche dieser Wanderungen erreichen Europa? Wie geht Europa mit diesen Wanderungen um? Welche Veränderungen von Staatlichkeit und Bevölkerungspolitik folgen daraus in Europa? Ändern sich durch Zuwanderungen die Migrationsregime und mit ihnen die Vorstellungen von Legalität und Illegalität von Wanderungen, von ‚Fremdheit‘, ‚Sicherheit‘, ‚Wachstum‘ und ‚Fortschritt‘ in Europa? Wandeln sich insgesamt die europäischen Wahrnehmungen von ‚Migration und Sesshaftigkeit‘?

Zu diesen Fragen erbitten wir bis 15. Februar 2018 Themenskizzen im Umfang von 5.000 Zeichen.

Die dreitägige internationale Konferenz soll Wissenschaftler*innen aus den kultur- und gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen zusammenbringen, um über die Geschichte des Zusammenhangs von Globalisierung und Migration im 19. und 20. Jahrhundert zu diskutieren. Konferenzsprachen sind Deutsch und Englisch. Die Teilnahme als Referent*in ist kostenlos, Anreise und Unterkunft werden ihnen anteilig erstattet.

Ihre Paper und Anmeldungen richten Sie bitte per Email an:

Dr. Michael Schubert / Prof. Dr. Peter Fäßler

Universität Paderborn
Fakultät für Kulturwissenschaften
Historisches Institut
Warburger Straße 100
33098 Paderborn

Email: sven.siemon(at)uni-paderborn.de