Im Rahmen des diesjährigen 35. Deutschen Orientalistentags (DOT 2025) fand am 11. September 2025 in Erlangen das von Vertr.-Prof. Dr. Raid Al-Daghistani (PIIT, Universität Paderborn) und PD Dr. Nader Purnaqchéband (MLU Halle-Wittenberg) organisierte Panel „Islamische Mystik und ihre Relevanz für eine neue Textepistemologie“ statt.
An diesem internationalen und interdisziplinär ausgerichteten Panel nahmen sieben ReferentInnen teil, die aus ihren eigenen Forschungsperspektiven der grundlegenden Frage nachgingen, inwiefern die sufische Epistemologie neue Ansätze für die Textwissenschaft liefern kann.
Vor dem Hintergrund der Grundidee des Panels versuchte Vertr.-Prof. Dr. Al-Daghistani in seinem Vortrag zu zeigen, inwiefern die innere Läuterung (tazkīya) als purgativ-transformative Kraft auch als eine textwissenschaftliche Methode verwendet und somit für die Textepistemologie fruchtbar gemacht werden kann. In diesem Zusammenhang diskutiere er die Hypothese, nach welcher die introspektive Reinigung im Sinne einer kognitiven Selbstentleerung und einer emotional-gedanklichen Katharsis zu einer Grundvoraussetzung einer (soweit wie möglich) vorurteilslosen, unvoreingenommen und ideologie(be)frei(t)en Lektüre des Textes avanciert. Durch eine solche innere Umwandlung, die primär mithilfe der Introspektion und Meditation vollzogen werden kann, sollte nämlich der Mensch einen – mit Mystikern gesprochen – anderen „Geschmack“ (ḏawq) des Textes erlangen, bzw. den Text in seinem wahrenSosein auffassen. Somit wird die innere Läuterung (tazkīya) im Kontext der Textwissenschaft geradezu zur hermeneutischen Bedingung und zur epistemischen Methode erhoben, insofern ein solcher innerer Zustand des Menschen zugleich die Fähigkeit impliziert, im Prozess der Auseinandersetzung mit Texten die eigenen Präsuppositionen, Vorstellungen, Kategorien und Konzeptionen ohne Verlustgefühl oder gar Ressentiment zu revidieren oder, wenn nötig, sogar aufzugeben. In diesem Sinne kann Sufismus hier – im Sinne eines spirituellen Läuterungs- und Erkenntnisweges im Islam – zur vehementesten Subjekt- und Ideologiekritik aufgefasst werden.
Dr. Stephan Kokew (PIIT, Universität Paderborn) reflektierte in seinem Vortrag über die Frage, inwieweit al-Ġazālīs Umgang mit dem Sufismus in seinem Hauptwerk Iḥyāʾʿulūm ad-dīn sowohl aus einer islamwissenschaftlichen als auch aus islamisch-theologischer Perspektive als methodische Orientierungshilfe für einen textwissenschaftlichen Umgang mit sufischen Textmaterial dienen kann. In diesem Zusammenhang nahm er Bezug auf die Hermeneutik-Theorie von Hans-Georg Gadamer (1900-2002) und diskutierte dessen hermeneutischen Ansatz des subjektiven Zugangs zu einem Text. Gadamer betonte u. a. die Bedeutung des subjektiven Zugangs zu einem Text indem er dafür plädierte, sich in die Verstehens-Welt eines Textes hineinzuversetzen. Zugleich lassen sich an Gadamers Hermeneutik jedoch auch die Grenzen eines solchen Vorgehens für eine textwissenschaftliche Methode ausloten, wie Kokew eindrücklich darstellte.
Im Rahmen des Panels referierten zudem PD Dr. Nader Purnaqchéband (MLU Halle-Wittenberg), Dr. Kamil Öktem (Universität Wien), Assoc. Prof. Dr. Chafika Ouail (University of Nizwa), Irka Weiß, M.A. (MLU Halle-Wittenberg) und Prof. Dr. Abdullah Takim (Universität Innsbruck).
Den einzelnen Vorträgen folgte ein reger Austausch. Das Panel, das mit einer Podiumsdiskussion zum Thema „Textwissenschaftliches Arbeiten zum Islam als Problem“ abgerundet wurde, war sehr gut besucht und stieß seitens der TeilnehmerInnen des Deutschen Orientalistentags auf eine positive Resonanz.
Informationen zum Programm und zu den einzelnen Vorträgen des Panels:










