Michael Roes' Gastdozentur trägt den Titel "Melancholie des Reisens", und am Montag, dem 3. Dezember 2018, startet sie mit einer Auftaktlesung aus den Romanen "Rub' al-Khali", "Haut des Südens" und "Weg nach Timimoun". Am 10. und 17. Dezember 2018 sowie am 7. Januar 2019 folgen drei poetologische Vorlesungen (10. Dezember 2018: "Kains Grab" / 17. Dezember 2018: "Hinter den Mauern liegt die Stadt" / 7. Januar 2019: "Frühlings Erwachen"), die mit einer Abschlusslesung aus dem neuen Roman "Herida Duro" am 14. Januar 2019 abgerundet werden.
Michael Roes, geboren 1960 in Rhede (Westf.), studierte Philosophie, Psychologie und Germanistik an der FU Berlin. Zwischen 1987 und 1989 war er als Regie- und Dramaturgie-Assistent an der Berliner Schaubühne tätig. Neben seinen vielen Reisen in den Nahen Osten, nach Afrika und Amerika promovierte Roes 1991 mit einer Studie zum Sohnesopfer. 1993/94 war er Fellow am Institute for Advanced Studies in Budapest, 2004 und 2006 Gastprofessor an der dortigen Central European University. Es folgten Gastprofessuren an verschiedenen Hochschulen, zuletzt 2017 an der Universität Bern. Außerdem ist Roes Regisseur von Spiel- und Dokumentarfilmen. Er lebt zurzeit in Berlin.
Roes hat bereits zahlreiche Werke veröffentlicht, so etwa (in Auswahl) die Romane "Rub' al-Khali – Leeres Viertel" (1996), "Die Fünf Farben Schwarz" (2009), "Geschichte der Freundschaft" (2010), "Die Laute" (2012), "Die Legende von der Weißen Schlange" (2014) und "Zeithain" (2017) sowie den Gesprächsband "Engel und Avatar" (mit Hinderk Emrich, 2011). Filme von ihm sind "Timimoun" (2005), "elevation" (2006), "breakdance in china" (2007/2012) und "Bardo" (2016).
Michael Roes erhielt für sein Werk u.a. folgende Auszeichnungen: den Else-Lasker-Schüler-Preis (1993), den Literaturpreis der Stadt Bremen (1997), den Alice-Salomon-Poetik-Preis (2006) und den Spycher Literaturpreis Leuk (2013).
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Im Schnittfeld von Kulturtheorie, Ethnographie und ästhetischem Formungswillen erkundet Michael Roes seit den 1990er Jahren in Prosa, Drama und Film auf ganz eigentümliche Weise das Verhältnis von Oberfläche und Tiefe, Wahrnehmbarkeit und Erzählbarkeit. Ausgedehnte Forschungsreisen in auch entlegene Teile der Welt bilden den Humus eines immensen Werkes, das sich in immer neuen Facetten dem Fremden und anderen Kulturen annähert, ohne dabei einem selbstbezüglichen interkulturellen Enthusiasmus in die Falle zu gehen und die Fremde bzw. das Fremde durch die eigene Faszination lediglich zu besetzen.
Michael Roes ist ein Grenzgänger im ganz unmittelbaren Sinn, ein Grenzgänger zwischen den Sprachen und Kulturen; er ist ein Grenzgänger vor allem auch zwischen den Medien und Gattungen, zwischen Literatur/Drama, Film und Wissenschaft, der sich nicht nur mit Fragen von Rasse, Geschlecht und der Konstruktion des Fremden und Anderen auseinandersetzt, sondern auch mit dem Geltungsanspruch wissenschaftlicher Literatur. Dabei verwischt Roes immer wieder souverän die Grenzen zwischen Wissenschaft und Literatur und stellt immer wieder aufs Neue die unwidersprochene Logik und Evidenz unserer Wirklichkeitswahrnehmung und das heißt auch der unwidersprochenen Sprachwerdung der Welt in Frage. Wenn es in Roes' 1993 mit dem Else Lasker-Schüler-Preis ausgezeichneten Stück "Cham. Ein Symposium" heißt: "Alles schon ein dutzend mal gesagt gehört durchlebt wie soll ich diesen wiederholungen entkommen eine neue sprache finden und dennoch verstanden werden", ist damit der poetologische Nukleus eines hoch reflektierten Werkes markiert, das sich selbst immer gerade auch in seiner grenzüberschreitenden Gattungszugehörigkeit in Frage stellt, neue Tonarten und Schreibweisen erprobt, dabei vor allem vieles in einem zu sein den Anspruch erhebt: Wissenschaft und Literatur, Wissenschaft als Literatur und Literatur als Wissenschaft, zugleich Reflexion von Kunst und Wissenschaft.
Auf kaum einen anderen Autor trifft die Rede vom postmodernen Erzählen und seinen Strategien mehr zu als auf Michael Roes, dessen Annäherung an das Fremde von der Erkenntnis geleitet wird: "Verstehen setzt weniger eine gemeinsame Sprache als eine gemeinsame Erfahrung voraus" und der daraus die Konsequenz zieht, dem Fremden nicht zuzusprechen, sondern ihm nachzusprechen, um es zu verstehen. "Aneignung durch Zuneigung" hat Klaus R. Scherpe dieses Verfahren einer mimetischen Ethnopoesie genannt, in dem die Pluralität von Sinn und Identität geradezu sinnlich greifbar wird. Eine Einschränkung allerdings gilt dabei für Roes' Erkundungen fremder Kulturen: Roes hinterfragt Normierungen, löst kulturell vermittelte Wahrnehmungsroutinen mit ihren vorderhand keiner Plausibilisierung mehr bedürfenden Bildern auf. Das alles aber ist nicht etwa ästhetizistischer Manierismus; das Spiel mit Codes und Bedeutungenist getragen vielmehr von einem ethischen und moralischen Anspruch, den Roes selbst folgendermaßen formuliert hat: "Ich versuche gegen die postmoderne Unterstellung anzuschreiben, es gebe kein Gut und Böse mehr, es gebe keine Werte zu vermitteln. Der modernen Form zum Trotz bin ich in dieser Hinsicht konservativ."