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Ausstel­­lungs­­­be­tei­­li­­gung von Max Schul­­ze: Ar­mes Sys­tem. Hal­lo Mä­dels!


Diese Ausstellung kombiniert eine Serie von Kugel-schreiberzeichnungen und Fotografien aus den Jahren 1978 –1 985 von Michael Deistler mit aktuellen Bildern von Max Schulze. In mehreren Vitrinen werden außerdem Publikationen, Filme und selten Gesehenes der Generation um Deistler gezeigt. Deistler und Schulze vermeiden jede Form falscher Harmonisierung. Unflätig, drastisch, die Imitation von Peinlichkeit … etwa so unangenehm wie die Hutablage von Mittelklassewagen in den 80er Jahren oder, weil es Hutablagen heute gar nicht mehr gibt – überzeitlicher – so unangenehm wie ein »sad sack«, eine unglückselige (männliche) Figur, die sich im Baumarkt eindeckt, um auf mögliche Krisensituationen vorbereitet zu sein  „Das Leben ist voller Obi-Momente.“ Hohle Phrasen, auswendig gelernte Moral, kulturell verbrämt, schlecht verdrängt, schlechtes Gewissen, Scham, Prahlerei, das Böse, Lädierte und Abgründige.  Der heilige Ernst der Kunst, die Würde des Thematisierten ist hier wenig würdevoll, aber titelgebend ein »armes System« … das dann auch noch um ein nass-forsches »hallo Mädels« ergänzt ist. Eine der zwei Karten, die zu dieser Doppelausstellung einlädt, zeigt einen deutschen Rübenacker aus einem Bild von Neo Rauch, überklebt mit einem Deutschlandfahnen-schwingenden Goggelmoggel (Humpty Dumpty). Der Widerwille, der Selbsthass, die Fremdscham und die ätzende Ironie, probate Mittel der Kunst, sich überhaupt zu äußern zu der Gesellschaft, in der wir leben (die Gesellschaft als das andere der Kunst und andersherum – als ihr Abgrund). Deistlers Arbeiten sind im Kontext einer Künstlergeneration zu sehen, die in den 1980er Jahren auf kollektive Verdrängungsmechanismen einer dem sogenannten Aufschwung verschriebenen BRD mit einer Bildsprache reagierte, die aus heutiger Sicht teilweise befremdet. Die aktuellen Wahlerfolge der extremen Rechten nicht nur in Deutschland und eine fundamentale Krise des gemäßigten Konservatismus mit der Folge einer normalisierenden Diskursverschiebung in die Mitte der Gesellschaft lassen die Bilder unangenehm aktuell sein. Deistler und Schulze behaupten nicht, gesellschaftlich-politische Diskurse zu entwickeln. Aber die Künstler fordern Widerspruch heraus. Die Aggression ihrer Statements steht in Kontrast zur Ornamenthaftigkeit; das Fiktive vermischt sich mit persönlichen Offenbarungen und öffentlichen Meinungsbekundungen. Sie stellen Fragen nach den eigenen Werten, Grenzen und Tabus.

Michael Deistler (*1949) studierte an der HFBK u.a. bei Sigmar Polke. 1980 erhielt Deistler ein DAAD-Stipendium. Er ging ein Jahr nach Ägypten. Dort setzte er seine schon in Deutschland begonnenen Zeichnungen und Fotografien fort. Kugelschreiber auf DIN-A4-Papier und S/W-Handabzüge sind sein Material. Auf seinen Reisen durch das nordafrikanische Land entdeckt Deistler Relikte des deutschen Afrikafeldzugs ab 1940, samt zahlreichen Hakenkreuzornamenten. Die Swastika-Figur verarbeitet er, fast schon manisch, zu immer neuen Mustern, kombiniert die Strukturen mit provozierenden Sätzen. Die Muster und Schriftbilder erinnern an Mosaike, Teppiche oder die Ästhetik des Teletexts. Und er schreckt auch nicht vor Parolen aus dem Sprachschatz des Dritten Reichs zurück. Das schockierende Symbol wird vom Künstler demonstrativ affirmiert. In peinigender Wiederholung und Überstrapazierung arbeitet er gegen die Tabuisierung der NS-Ideologie durch Verdrängung und Verbote an. Hier setzen die Camouflage-Bilder aus Max Schulzes Serie Der Wunsch zu verschwinden (Camopedia) an. Sie basieren auf den 43 Farbtönen aus dem System „Alpina Feine Farben“. Elfenbein-Rebellin – Zurückhaltendes Pastellgelb oder Leiser Moment – Graziles Graulila: Schulze eignet sich mit den suggestiven Farbnamen und Produktbeschreibungen den warenförmigen Lifestyle des Individuellen für seine Leinwandarbeiten an und verstärkt das Störgefühl der Banalisierung durch ausschließlich auf militärische Tarnmuster festgelegte Bildsujets. Kokette Sinnlichkeit – kräftiges Puderrosa trifft auf das von der Waffen-SS entwickelte „Eichenlaubmuster“. 

Max Schulze (*1977) studierte an der Kunstakademie Düsseldorf und schloss 2005 das Studium als Meisterschüler von Jörg Immendorff ab. Seit vielen Jahren betreibt er das „Archiv Untergrund“. Er sammelt und beschäftigt sich mit vom Mainstream übersehenen Bildproduktionen der 1960er Jahre bis zur Gegenwart. Im gleichnamigen Verlag veröffentlicht er Positionen, die ihm während seiner Recherchen auffallen.

Foto: Volker Renner