(Un)ver­füg­bar – Kul­turen des Hei­li­gen

Margreth Egidi / Ludmila Peters / Jochen Schmidt (Hg.)

Wie lässt sich der Begriff des Heiligen kulturwissenschaftlich fassen? Die Beiträger*innen des Bandes nähern sich ihm nicht, indem sie ihn substantialistisch festschreiben, sondern definieren ihn strukturell: Er bewegt sich im Spannungsfeld zwischen ›Unverfügbarkeit‹ und ›Verfügbarkeit‹, zwischen Formen von Ausschließung einerseits und Einschließung andererseits. Dieser systematisch erschlossene Begriff bildet eine verbindliche Klammer und ist zugleich, ohne beliebig zu werden, flexibel genug, um eine Vielzahl von Disziplinen miteinander ins Gespräch zu bringen und auf unterschiedlichste Felder kulturwissenschaftlicher Forschung bezogen werden zu können.

Äs­thet­ik und Funk­tion des Pas­sionsspiels. Zur tex­t­per­form­at­iven Di­men­sion im ‚Eger­er Pas­sionsspiel‘

Der Beitrag verbindet eine ausführliche Analyse des ‚Egerer Passionsspiels‘, die besonderes Augenmerk auf die textperformative Dimension legt, mit der grundlegenden Frage nach der Ästhetik, Textökonomie und Funktion spätmittelalterlicher Passionsspiele und bezieht Referenzen auf andere Gattungen und Medien der Passion mit ein. Passionsspieltexte sind, so die These, durch die basale Widerspruchsstruktur zweier deutlich voneinander zu unterscheidender, gegenstrebiger Darstellungskonzepte geprägt: der textuellen Inszenierung von Gewalt und der Ausstellung des Leidens. Gewaltdarstellung wie Leidensostentation, Objekt- wie Subjektwerdung Jesu können als textuelle Vollzüge eng mit der Hervorbringung des Körpers Jesu im Text verknüpft sein. Passionsspiele zielen, im Unterschied zu anderen Gattungen und Medien der Passion, potentiell auf eine ‚Entautomatisierung‘ der in mittelalterlicher Passionskultur automatisierten Transformation gewaltsamen Geschehens i. S. einer Definition als Leiden. Die notwendige Historisierung von voraussetzungsreichen Konzepten wie ‚Automatisierung/Entautomatisierung‘ wäre indes noch zu leisten.

 

Hart­mann von Aue 1230–1517. Kul­turgeschicht­liche Per­spekt­iven der hand­s­chrift­lichen Über­liefer­ung

Margreth Egidi/Markus Greulich/Marie-Sophie Masse (Hgg.), Hartmann von Aue 1230–1517. Kulturgeschichtliche Perspektiven der handschriftlichen Überlieferung, Stuttgart: Hirzel 2020 (ZfdA-Beiheft 34)

Die Bedeutung Hartmanns von Aue steht in literaturgeschichtlicher wie kulturwissenschaftlicher Perspektive außer Frage. Eine aktuelle umfassende Darstellung zu seinem Œuvre, die sowohl die Materialität der Überlieferung als auch aktuelle Forschungsparadigmen (nicht nur für Einzeltexte) berücksichtigt, war jedoch bislang ein Desiderat der Forschung. Der vorliegende Band möchte zur Schließung dieser Lücke beitragen und führt Handschriftenkunde und Überlieferungsgeschichte einerseits sowie literatur- und kulturwissenschaftliche Frageperspektiven andererseits zusammen. Die versammelten Beiträge befassen sich mit Hartmanns ErecIwein, dem Armen Heinrich, Gregorius und Klagebüchlein und berücksichtigen die gesamte Zeit ihrer Überlieferung: von den frühesten erhaltenen, um 1230 entstandenen Handschriften und Fragmenten bis zum 1516/17 fertiggestellten Ambraser Heldenbuch. Aufgrund der chronologischen Breite und der aktuellen Analyseparameter beleuchtet der Sammelband nicht nur neue Aspekte des Hartmann'schen Werks, sondern trägt dazu bei, einen integrativen methodischen Zugriff auf mittelalterliche Literatur zu etablieren.