Am 24. und 25.10.2024 hält die Forschungsgruppe "Kooperation und Konkurrenz in den Wissenschaften" an der Ludwigs-Maximilians-Universität München die Abschlusskonferenz der zweiten Förderphase ab. Die Veranstaltung steht unter dem Titel "Kooperation, Konkurrenz, Ökonomisierung" (Programm) und befasst sich als Schwerpunkt mit den Wissenschaften in den 1990er Jahren. Dr. Martin Schmitt (Zeitgeschichte / Neuere und Neuste Geschichte) trägt im Rahmen dessen zur Wiedervereinigung der Informatik in Deutschland vor.
Zu Beginn des Jahres 2000 stellte sich die Universität Paderborn neu auf. Zu diesem Zweck gab sie sich ein neues Motto. Sie nannte sich zukünftig „Universität der Informationsgesellschaft“. Parallel dazu setzte die Universitätsleitung auf ein rechentechnisch starkes Profil: Im Paderborn Center für Parallel Computing (PC2) installierte die Universitätsleitung nacheinander zwei Hochleistungscomputer von Fujitsu Siemens und warb einen SFB ein. Hergestellt aus „üblichen Prozessoren“ war die Installation von 1999 „als einziges System eines europäischen Herstellers in der aktuellen Top-500-Liste der weltweit leistungsfähigsten Rechnersysteme enthalten.“
Das neue Leitbild und die Superrechenkraft weckten Zukunftshoffnung und versprachen Profilierung. Die bundesweit starke Informatik Paderborns sollte hervorgehoben werden. Die Neuaufstellung geschah aber keineswegs nur freiwillig. Zahlreiche Stimmen aus der Universität nahmen zum neuen Leitbild Stellung und kommentierten: „In Zeiten immer neuer Reformversuche, steten Stellenabbaus und wachsenden Wettbewerbs in der Hochschullandschaft ist es ohne Zweifel unerlässlich, die Profilbildung einer Universität als wesentlichen Bestandsfaktor zu erkennen und voranzutreiben“, schrieb eine Professorin für Medienwissenschaft – ihr Fach war an der Universität eigentlich frisch aus der Taufe gehoben worden. Und auch die Informatik*innen bliesen in dasselbe Horn. „Das Phänomen „Wettbewerb“ wird damit zu einer der zentralen Herausforderungen für die Hochschule. Zu dem bereits bestehenden Wettbewerb der Hochschulen um die öffentlichen Mittel und um die Drittmittel des Forschungsmarkts wird auf internationaler Ebene der Wettbewerb in Forschung und Lehre, der Wettbewerb um Studierende und um Personal verschärft hinzukommen“.
An diesen beiden Vignetten werden die hochschul- und wissenschaftspolitischen Rahmenbedingungen deutlich, unter denen „Informationswissenschaft“ im breiteren Sinne in der Bundesrepublik verfolgt wurde: Vernetzung als Metaparadigma in einer sich globalisierenden, neoliberal ausgerichteten Welt. Steter Wettbewerbsdruck setzte die Akteure unter Druck. Mit Philipp Ther ließe sich argumentieren: Die Wissenschaftslandschaft in der Bundesrepublik erlebte nun die Wandlungsprozesse, die sie zuvor in den Neuen Bundesländern erprobt hatte. Was wiederum die Frage in den Blick rückt: Wie lief es denn eigentlich in der ehemaligen DDR? Welche Verbindungen hatten sich ergeben? Bisher endete die historische Forschung mit der „Wende“ 1989/90. Ziel dieses Vortrags ist es, diese aufeinander bezogenen und miteinander verflochtenen Wandlungsprozesse in der Informatik und Datenverarbeitung von 1980 bis 2000 in einer „langen [Wissenschafts]Geschichte der Wende“ zu analysieren. An der TU Dresden beispielsweise, dem Flaggschiff der DDR-Informatik – und deutschlandweit einem der frühsten Standorte, an dem es ein solches Fach überhaupt gab – hatten sich die Rahmenbedingungen der Informatik in den 1990er-Jahren grundlegend verändert. Bereits in den Jahren nach der Wiedervereinigung schaffte das dortige Universitätsrechenzentrum einen Fujitsu-Supercomputer an, eine VP2000. Allein der Name verweist auf die fortschrittszugewandte Milleniumseuphorie. Kurz darauf wurde sie um eine IBM 3090 als „Landeshochleistungsrechner“ ergänzt. Diese wissenschaftlichen Rechenmaschinen standen in Kontinuität zu Supercomputern wie der sowjetischen BESM 6, denn auch zuvor genoss das „URZ“ für die DDR bereits eine relativ gute Ausstattung mit Rechentechnik im Vergleich zu anderen Universitäten des Ostblocks.
Wesentlich turbulenter erging es den Informatiker*innen an der TU Dresden, vor allem durch den radikalen Schritt der Universitätsleitung, alle Mitarbeiter zu entlassen und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich auf ihre eigene Stelle wiederzubewerben. Insbesondere im Bereich der Forschung an Künstlicher Intelligenz blieb da mancher auf der Strecke. Da die Informatik- und Computerbranche in der DDR sich insgesamt aber durch eine eher geringe Parteiorganisation auszeichnete, wie Kritiker*innen der SED immer wieder konstatiert feststellen mussten, gelang es den gut ausgebildeten Informatiker*innen trotz der Veränderungen meist relativ gut, im „Westen“ den Anschluss zu finden, wie das Beispiel der TU Dresden unterstreicht. Einige von ihnen hatten die Möglichkeit, ins Ausland zu gehen oder in (westliche) Industriebetriebe zu wechseln. Denn obwohl die politischen Systeme inkompatibel waren, galt dies nicht für die Computer-Systeme. In der DDR hatte man im Rahmen des Einheitlichen Systems Elektronischer Rechentechnik (ESER) seit etwa 1970 auf IBM-Nachbauten gesetzt. IBM hatte auch in westdeutschen Firmen einen starken Stand – oder die Konkurrenzprodukte waren kompatibel. So kam es, dass beispielsweise Programmierer*innen aus Potsdam angaben, dass sie sich nach nur zwei Stunden mit den West-Kolleg*innen austauschen konnten, denn „wir sprachen ja dieselbe Sprache“ – dies meinte nicht nur Deutsch, sondern ebenso die Programmiersprachen für IBM-Systeme.