Fischer, C. & Harteis, C. (2015). Die Bedeutung subjektiver Sichtweisen für die Implementierung einer betrieblichen Lernkultur. In G. Niedermair (Hrsg.), Informelles Lernen (S. 107-123). Linz: Trauner.
Aus der Einleitung:
Die gängigen Konzepte betrieblicher Arbeitsorganisation haben sich seit ihrer Abkehr von tayloristischen Prinzipien zunehmend der Idee zugewandt, Betriebe als lernende Organisationen zu verstehen. Schon in den 1990er-Jahren wurden unter den Schlagworten der schlanken Organisation und der aus dem fernen Osten importierten Idee des Kaizen mehr und mehr Entscheidungsbefugnis auf die einzelnen Arbeitsplätze verlagert und die alleinige Verantwortung für Planung und Steuerung betrieblicher Abläufe des Managements zurückgenommen. Die Befugnis und Verantwortung für konkrete Entscheidungen und Problemlösungen obliegt seither nahezu allen Ebenen der Beschäftigten einer Organisation. Die steigende Teilhabe aller Beschäftigten an Entscheidungs- und Gestaltungsprozessen im Betrieb bezweckt einerseits eine erhöhte Effektivität und Qualität betrieblicher Leistungserstellung, andererseits eine Flexibilität, die rasche Anpassungen an Marktanforderungen ermöglicht.
Damit verfolgen diese Ansätze betrieblicher Arbeitsorganisation klare ökonomische Zielsetzungen, nämlich die dauerhafte Sicherung des Unternehmenserfolgs vor dem Hintergrund sich wandelnder Rahmenbedingungen des Marktes. Diese Ziele sind jedoch nur dadurch zu realisieren, dass die Abläufe betrieblicher Leistungserstellung selbst hinterfragt und modifiziert werden können. Hieraus ergeben sich zum einen Lernnotwendigkeiten ebenso wie zum anderen Lerngelegenheiten. Diese wahrzunehmen setzt voraus, dass Beschäftigte im Rahmen ihrer Arbeitstätigkeit Gelegenheit erhalten müssen, neben ihren Arbeitsaufgaben jenen Lernzielen nachzugehen. Unter dieser Perspektive ist ein Betrieb als lernende Organisation zu verstehen, die neben ökonomischen eben auch pädagogische Zielsetzungen verfolgt. Die Implementierung solcher betrieblichen Lernprozesse hängt jedoch von der Praxis des Umgangs der Beschäftigten mit den Arbeitsanforderungen ab.
Mit der Idee der lernenden Organisation tauchte in der Literatur auch der Begriff der Lernkultur auf, der jene Umstände beschreibt, die betriebliches Lernen der Beschäftigten ermöglichen und unterstützen. Betrachtet man die Auseinandersetzung mit Fragen einer betrieblichen Lernkultur in der betriebs- und personalwirtschaftlichen Literatur, so entsteht derEindruck, dass dort die Komplexität sozialer Lernprozesse, wie sie in erziehungswissenschaftlicher und lernpsychologischer Literatur diskutiert wird, nur unzureichend zur Kenntnis genommen wird. Dies betrifft insbesondere die im konstruktivistischen Verständnis von Lernprozessen entscheidende Rolle subjektiver Deutungsprozesse.
Dieser Beitrag liefert eine Bestandsaufnahme zum Diskussionsstand um die Implementierung einer betrieblichen Lernkultur. Einer grundlegenden Klärung des Konstruktes „Lernkultur“ folgt eine Diskussion epistemischer Überzeugungen, die eine besonders relevante Einflussgröße betreffend die Wahrnehmung von Lerngelegenheiten darstellen. Es werden erziehungswissenschaftliche und lernpsychologische Forschungsbefunde vorgestellt, die verdeutlichen, dass die Implementierung einer betrieblichen Lernkultur eigentlich auf die subjektiven Sichtweisen von Beschäftigten abgestimmt sein müsste. Eine Recherche aktueller Studien oder Veröffentlichungen zeigt jedoch, dass der Stand der Forschung hier noch offene Stellen aufweist. Schließlich werden Desiderata entwickelt, um mögliche Richtungen künftiger Vorhaben aufzuzeigen.