Beforschung der Implementation von D1

Die Auswertung der Unterrichtsplanungen aus dem Webinar und die Daten der vier Schulen zeigen, dass Songwriting in der schulischen Unterrichtspraxis häufig als Anwendung von vorgegebenen Regeln durch die Lehrkraft und nicht als experimentelles Trial-and-Error der Schüler:innen verstanden wird. Das Kartenspiel ermöglicht sowohl offene als auch vorstrukturierte Kreativitätsverfahren beim Songwriting. Die Lehrkräfte entschieden sich jedoch oft für eine vorstrukturierte Planung, um erfolgreiche Ergebnisse bei den Schüler:innen zu garantieren, da Scheitern selten als Teil des Lernprozesses gesehen wurde. Eine zweite Erkenntnis, die damit zusammenhängt, betrifft das durch die Lehrkräfte angenommene Vorwissen bzw. die Vorerfahrung der Schüler:innen, welche den Planungsprozess der Lehrkräfte stark beeinflussten. Je weniger die Schüler:innen zu wissen und zu können scheinen, desto geschlossener und präskriptiver planten die Lehrer:innen ihren Unterricht.

Die Betrachtung von Songwriting aus einer Netzwerkperspektive lässt externe Akteur:innen, die in den formalen Lernprozess einbezogen werden, sichtbar werden (insbesondere Familienmitglieder, Freunde sowie klassenexterne Lehrkräfte) und zeigt, wie kollaboratives Lernen als Networking funktioniert, indem musikalische oder technologische Ressourcen über inner- und außerschulische Akteur:innen ins Netzwerk eingespeist werden und so zum erfolgreichen Songwriting beitragen können. Im schulischen Kontext wird Vernetzung jedoch teils gehemmt: Zum einen existiert die Vorstellung, dass gutes oder richtiges Lernen bedeutet, sich das Wissen selbst anzueignen und allein bzw. innerhalb der Gruppe zu lernen. Aus dieser Perspektive wird Netzwerken als unlauter angesehen, da hier auf externes Wissen oder Fähigkeiten zurückgegriffen wird, wodurch der Lernprozess und das musikalische Produkt mitunter als weniger wertvoll empfunden werden. Ein zweiter Aspekt, der Vernetzung als Lernform in der Schule zu bremsen scheint, ist die Tatsache, dass Netzwerken einen gewissen zeitlichen und sozial-kommunikativen Aufwand erfordert, der jedoch nicht eigens im Rahmen der durch die Lehrkräfte entworfenen oder diesen zugerechneten Bewertunsmatrix honoriert wird. Die Schüler:innen zögern bisweilen diesen Aufwand zu betreiben, da sie das Verhältnis von Anstrengung und Note sowie die Bedeutung des Faches Musik im Allgemeinen nicht als lohnenswert erachten. Daher verweilen sie im Modus des Selbstlernens, sparen zusätzlichen Aufwand ein und nehmen weniger erfolgreiches Songwriting in Kauf. Dies ist eine wichtige Erkenntnis für die Entwicklung von D2. 

Auch informelle Praktiken konnten in den Lernprozessen der Schüler:innen identifiziert werden, aber es zeigte sich, dass solche Lernpraktiken teils in Unwissenheit der Lehrkraft ausgeführt werden, da diese ihren Fokus auf die formalen Strukturen von Unterricht legen und informelle Praktiken dadurch unsichtbar für die Lehrperson sind und deshalb nicht als Lernen wahrgenommen werden.

Wenn an Schulen die technologische Ausstattung sowohl digitales als auch analoges Songwriting ermöglicht, tendieren die Lehrkräfte und Schüler:innen häufig dazu, digitale Formate für das Songwriting zu wählen. Auch wenn analoge Instrumente vorhanden sind, werden Songs nur vereinzelt grundlegend auf diese Weise kreiert. In Schulen ohne digitale Ausstattung konnte beobachtet werden, dass die Schülerin:innen vermehrt privates Equipment von zuhause mitbringen oder nach Apps auf ihren Handys suchen und diese nutzen. Das technologische Equipment erfüllt dabei zwei Hauptfunktionen: Zum einen dient es als Schutz der Schüler:innen vor einer (Live-)Präsentation, da beispielsweise GarageBand oder andere Digital Audio Workstations (DAWs) eine gewisse Distanz zwischen dem:der Musiker:in und dem Song schafft. Die DAW übernimmt das Abspielen des Songs, ohne dass die Schüler:innen sich selbst zeigen müssen und live musizieren müssen. Zusätzlich dazu greifen Schüler:innen teils auf Vocal-Apps zurück, um nicht selbst singen zu müssen, was ebenfalls als Schutzmaßnahme eingesetzt wird. Zum anderen wird im schulischen Kontext die Arbeit mit DAWs als niedrigschwellig und einfach angesehen, da sie es jedem Schüler:in ermöglichten, unabhängig von ihrem musikalischen Hintergrund oder ihren Fähigkeiten kreativ zu werden und ihre eigenen musikalischen Ideen umzusetzen. Allerdings zeigt sich aus den vorliegenden Daten, dass auch die Anwendung von DAWs als digitales Instrument erst erlernt werden muss und dass daraus im Songwriting-Prozess immer wieder Hürden in der Anwendung und Umsetzung aufgetaucht sind.
 

weiterführende Publikation

Weidner, V., Hermann, K., & Godau, M. (2025). Songwriting in school as networking. In T. Buchborn, M. Gall, S. Hennessy, M. Stumpfögger (Hrsg.), Liberty – Equity – Creativity. Innovating and Inventing Music in the Classroom. (S. 169-188)

Rol­len­kon­flik­te von Mu­sik­lehr­kräf­ten beim selbst­stän­di­gen Ler­nen

Ausgehend von beständig auftretenden Spannungen rund um das Agieren der Lehrkräfte bei der Umsetzung des Vier-Räume-Modells wurde ein Konzept der Lehrendenrolle als Rollenset entwickelt. Es begreift Rollen als an das Verhalten von Positionsinhaber:innen geknüpftes (Erwartungs-)Erwartungsbündel, die situativ im Set auftreten.

Vor diesem Hintergrund verändert sich die Rolle der Lehrkraft erheblich und unterscheidet sich von traditionellen Unterrichtsmodellen. Sie wird nicht mehr ausschließlich als Wissensvermittler:in und Autoritätsperson wahrgenommen, sondern bewegt sich in einem Multi-Rollen-Komplex, der unterschiedliche Funktionen der Lehrkraft vereint. Empirisch konnten sechs zentrale Typen der Lehrer:innen-Rolle identifiziert werden: Lernbegleiter:in, Techniker:in, Auftraggeber:in, Benoter:in, Popmusiker:in und Belehrer:in. Diese Rollen bewegen sich entlang zweier Verhältnisse – zwischen Nähe und Distanz sowie zwischen Assistieren und Beurteilen. 

Die Rolle der Lehrkraft wechselt dabei je nach Erwartungen der beteiligten Instanzen (Schüler:innen, Institution Schule, Eltern, Lehrkraft) und gerät meist dann in Konflikt mit anderen Rollen im Multi-Komplex, wenn die Erwartungen diametral zu einer stehen. Das postdigitale schulische Songwriting erfordert demnach eine flexible, dynamische Lehrer:innen-Rolle, die sich situativ an die Bedürfnisse der Lernenden und an die Anforderungen der schulischen Rahmenbedingungen anpasst. Die Implementation solcher Modelle stellt Lehrkräfte jedoch vor strukturelle und didaktische Herausforderungen, die eine vertiefte Auseinandersetzung mit neuen pädagogischen Konzepten erfordern. Dies erfordert neben flexibleren, kollaborativen Bewertungsmethoden auch die Schaffung von Räumen für kollaboratives Arbeiten mit inner- und außerschulischen Vernetzungen, sowie ein performatives Verständnis von Songwriting, bei dem Songs als Aufführungen inszeniert werden. 

weiterführende Publikation

Godau, M., Barreiro, J., Hermann, K., Maxelon, D., Neuhausen, T. & Weidner, V. (2025). „Wofür bin ich denn hier, wenn ich nicht in irgendeiner Weise auch helfen kann?“ Zur Rolle von Lehrkräften beim selbstständigen Songwriting im Musikunterricht. In U. Konrad (Hrsg.), 46. Jahresband des Arbeitskreises Musikpädagogische Forschung (S. 167-180). Waxmann.