Das Vier-Räu­me-Mo­dell als di­dak­ti­sches De­sign

Basierend auf den Erkenntnissen aus der Implementation eines ersten didaktischen Designs (s.u.) sowie aus der Forschung in den informellen Kontexten wurde ein zweites didaktisches Design zu Songwriting unter Bedingungen der Postdigitalität entworfen – das Vier-Räume-Modell. Dieses beinhaltet (1) die Aufgabenstellung, (2) ein dahinter stehendes Konzept von Songwriting und (3) eine spezifische Rolle der Lehrkraft.

Die Aufgabenstellung lautet:

„Ihr sollt als Solokünstler*in oder als Band einen eigenen Song live vor Publikum oder als Musikvideo (TikTok, Youtube etc) aufführen oder in einer Playlist platzieren.

Ziel: Erreicht mit eurer Performance eure Zielgruppe! Dafür sollt ihr euch durch vier Räume (Modi) hin und her, vor und zurück, permanent und immer bewegen.

To-Do: Vernetzt euch und nutzt alle möglichen Personen und Apps, Geräte, Technologien o.ä. Bezieht Freund:innen, Bekannte, Familie, euer Publikum oder Profis mit ein, die ihr persönlich, über Umwege oder andere Kanäle (Instagram etc.) kennt. Erlaubt ist alles was euch hilft, nur nicht covern!“

Diese Aufgabenstellung wird als Handkarte jederzeit verfügbar gehalten. Die Schüler:innen entscheiden dabei selbstständig, welches Performance-Format – beispielsweise Musikvideo, Konzert oder Playlistenplatzierung – und welches popularmusikalische Genre sie anstreben wollen. Der zeitliche Rahmen wurde auf 8 Schulstunden festgelegt, ist jedoch grundsätzlich variabel.

Das zentrale Element des Modells sind die vier Räume, durch die sich die Schüler:innen bewegen sollen. Jeder dieser Räume steht für einen bestimmten Handlungsmodus und kann sowohl als tatsächlicher Ort, als technisches Arrangement oder als ein prinzipieller Zugang zum Arbeitsprozess verstanden werden. Die Raumwechsel findet nicht nach einer festen Reihenfolge statt, sondern verläuft individuell, variabel und so oft wie nötig. Das unterscheidet das Konzept von anderen, stärker linear ausgerichteten Ansätzen.

Im Raum „Aufführen oder Veröffentlichen“ präsentieren die Schüler:innen Songs, Songteile oder -versionen vor einer Öffentlichkeit, etwa durch ein Musikvideo, ein Live-Konzert oder eine Veröffentlichung auf einer Streaming-Plattform. Es geht darum, die Inszenierung so zu gestalten, dass die Musik die gewünschte Zielgruppe erreicht. Dabei sind sämtliche Aufführungen oder Veröffentlichungen nicht als Endprodukte, sondern als vorläufige Versionen zu betrachten. Schon aus diesem Grund ist eine lineare Strukturierung des Songwriting-Prozesses ausgeschlossen.

Im Raum „Sich inspirieren lassen“ nehmen die Schüler:innen eine rezeptive und forschende Haltung ein. Sie suchen gezielt nach musikalischen, klanglichen oder gestalterischen Referenzen, indem sie Musik hören, Videos anschauen oder eigene und fremde Performances reflektieren. Die Übernahme von Ideen anderer wird nicht als Betrug, sondern als legitimer Bestandteil kreativen Arbeitens betrachtet.

Im „Präsentierbarmachen“-Raum werden die bislang entwickelten Ideen, Skizzen und Materialien einzeln oder im Austausch mit anderen Musiker:innen ausgearbeitet. Hier finden Prozesse wie Proben, Aufnehmen, Arrangieren und Planen von Inszenierung, Abmischen, Choreografie oder Outfit statt. Es können auch Videos geschnitten oder Aufnahmen bearbeitet werden, die als Grundlage für eine Aufführung dienen können.

Im Raum „Explorieren und Sammeln“ geht es um das spielerische Ausprobieren von Instrumenten, Technologien und Equipment sowie das Entwickeln von Fragmenten, Samples, Textteilen, Melodien oder Sounds. Diese müssen nicht sofort fertiggestellt werden. Die gesammelten Ideen können als Notizen, Sprachmemos oder DAW-Projekte festgehalten werden, ohne dass ein unmittelbares Ergebnis erwartet wird.

Die Aufgabe der Lehrkraft liegt im 4-Räume-Modell darin, die selbstgesteuerten Lernprozesse zu begleiten. Sie führt die Aufgabe ein, hält sich dann aber zurück und unterstützt die Schüler:innen dabei, eigene Ideen zu finden und zu realisieren. Sie treten nicht als Bewertende für richtiges oder gutes Songwriting auf und ordnen ihre eigenen ästhetischen Präferenzen den Lernprozessen der Schüler:innen unter. Sie beraten bei auftretenden Problemen, unterstützen beim Finden passender Technologien, regen Vernetzungen mit inner- und außerschulischen Akteur:innen an und würdigen deren Integration in den Lernprozess. Zum Einfinden in diese Rolle werden Handreichungen für Lehrkräfte angeboten.

Durch diese Gestaltung wird Musikunterricht ermöglicht, der die Einbindung diverser Personen und Technologien in den eigenen Songwriting-Prozess nahe legt, prozess- statt produktorientiert ist und damit den empirischen Beobachtungen postdigitalen, vernetzten Songwriting-Praktiken entspricht. 

Kar­ten­spiel »Wri­te Your Song!«

Teilprojekt Erfurt analysierte 2021 musikdidaktische Dokumente zum Thema Songwriting im Musikunterricht (236 Dokumente). Diese Analyse gab einerseits Aufschluss über den aktuellen Forschungsstand und bestehende Diskurse zum Songwriting im Musikunterricht und diente andererseits als Grundlage für die Entwicklung des ersten didaktischen Designs (D1). 

Unter dem Titel WRITE YOUR SONG! entstand auf dieser Grundlage ein Kartenlegespiel mit insgesamt 44 Karten. Mit verschiedenen Themen-, Struktur- und Aktionskarten können Lehrkräfte damit ihre Unterrichtseinheit zum Songwriting individuell planen und gestalten. Die Erprobung des Kartenspiels erfolgte in einem deutschlandweiten Webinar in Zusammenarbeit mit dem Lugert Verlag zu Beginn des Jahres 2022 mit ca. 40 Musikpädagog:innen. Anschließend wurde das didaktische Design im Musikunterricht erprobt und forschend begleitet.

Die Analyse der didaktischen Dokumente eröffnete ein spezifisch schulisches Verständnis von Songwriting: (1) Songwriting wird häufig als gesplitteter Prozess des Schreibens, Aufführens und Aufnehmens dargestellt. (2) Der Einsatz digitaler Instrumente wird als Erweiterung des Prozesses hin zur Musikproduktion und zum Sounddesign verstanden. (3) Methoden der Vorstrukturierung werden eingesetzt, um Songwriting an die schulischen Rahmenbedingungen anzupassen und didaktisch zu reduzieren. (4) Besonders auffällig in der Literatur ist die blockartige Vorgehensweise beim Songwriting. Die musikalischen Parameter – wie z.B. Harmonie, Songtext, Melodie und Rhythmus bilden die einzelnen Blöcke eines Songs, die in einer Art Baukastenprinzip nacheinander angeordnet und bearbeitet werden können. Diese Ergebnisse aus der Literaturanalyse wurden in ein Kartenspiel für die Entwicklung des ersten Designs übersetzt. Ergänzend zur Literaturanalyse wurden weitere Daten in einem Expert:inneninterview mit Vertreter:innen der wissenschaftlichen Musikpädagogik erhoben und ausgewertet. 

Das für das didaktische Design 1 (D1) entwickelte Kartenspiel »Write Your Song!« unterstützt Lehrkräfte bei der Unterrichtsplanung. Diese folgt einem vorgegebenen Verlauf: Einstieg, Form, Thema, Lyrics, Harmonie, Melodie, Aufführung. Für die einzelnen Strukturteile können aus dem Kartenset unterschiedliche Methoden, Aufträge oder Impulse ausgewählt werden.

Dadurch kann die Lehrkraft das Unterrichtsgeschehen an die Lerngruppe bzw. die eigenen Vorstellungen anpassen. Im weiteren Verlauf arbeiten die Gruppen eigenständig an der Umsetzung des Auftrags und die Lehrkraft übernimmt die Rolle einer beratenden Begleitung. Sie sorgt für die organisatorischen und technischen Rahmenbedingungen, steht für inhaltliche Rückfragen bereit und unterstützt die Gruppen bei auftretenden Schwierigkeiten, ohne sich aktiv in den kreativen Prozess einzumischen. Am Ende der Unterrichtsreihe präsentiert jede Gruppe ihren Song im Klassenverband. Dabei liegt der Fokus weniger auf dem musikalischen Endprodukt als vielmehr auf dem kollaborativen Prozess, der eigenverantwortlichen Arbeitsweise und den gemachten Erfahrungen im Umgang mit schulischen und außerschulischen Netzwerken. Das Konzept stellt somit die Förderung kreativer, technischer und sozialer Kompetenzen in den Mittelpunkt und ermöglicht es den Schülerinnen und Schülern, die Potenziale von Zusammenarbeit und Vernetzung im Kontext musikalischer Projektarbeit praktisch zu erleben.