Die Ent­ste­hung von Songs als Ver­net­zung von for­ma­len und in­for­ma­len Kon­tex­ten

Sowohl in der Beforschung der Implementation von D1 als auch in informellen Kontexten konnte beobachtet werden, wie die Vernetzung verschiedener Kontexte elementar für Lernprozesse sein kann. Institutionell-formale Bildungsinstitutionen wirken sich auch auf informelle Songwriting-Praktiken aus, etwa durch bestimmte harmonische Standards oder Vorstellungen über Song-Strukturen. Auch YouTube-Videos übernehmen vermehrt musikpädagogische Rollen und fungieren als Vermittler institutionell etablierten Wissens. Gleichzeitig konnte während der Implementation von D1 beobachtet werden, wie außerschulische Expert:innen, etwa der Bruder eines Gruppen-Mitglieds, in die Songwriting-Prozesse eingebunden wurden, um fehlendes Wissen beizusteuern. 

Für informelle Kontexten wurde deutlich, dass sich die in diesen Bereich einwirkenden Angebote formaler und non-formaler Musikpädagogik in Form von Musikschule und YouTube-Videos, deutlich unterscheiden. Instrumentalunterricht oder Musikhochschule scheinen auf die Vermittlung von musiktheoretischem Wissen und Akkordfolgen zu spezialisieren, während digitale Plattformen, insbesondere YouTube, vor allem bei der Gestaltung des Klangs und beim Sounddesign zentrale Rollen übernehmen. Musiker:innen greifen frei auf beides zurück, entwickeln dadurch ein individuelles Repertoire und nutzen digitale Tools gezielt, um Ideen umzusetzen, die sie rein instrumental vielleicht nicht realisieren könnten. Bei einer solchen Art des Zusammenwirkens von Menschen und Technologien entstehen neue Formen von Autor:innenschaft, in der sich die kreative Arbeit auf Mensch und Technik verteilt.

weiterführende Publikationen

Neuhausen, T. (2025). Die Rolle institutionalisierter Standards für die Hybridisierung musikalischer Praxen. In U. Konrad (Hrsg.), 46. Jahresband des Arbeitskreises Musikpädagogische Forschung (S. 255-267). Waxmann.

Weidner, V., Hermann, K., & Godau, M. (2025). ‘We Had the Ideas and He then Implemented Them.’ Songwriting in school as networking. In T. Buchborn, M. Gall, S. Hennessy, M. Stumpfögger (Hrsg.), Liberty – Equity – Creativity. Innovating and Inventing Music in the Classroom (S. 169-188). Helbling.

Mu­si­ka­li­sche Prin­zi­pi­en als Ver­net­zung

Aus netzwerktheoretischer Perspektive entstehen Songs nicht aus einem plötzlichen Einfall, sondern in informellen Kontexten etwa als Ergebnis einer Vernetzung von inspirierenden Elementen, Such- und Auswahlvorgängen sowie digitalen Routinen. Der Umgang mit vorgefundenen inspirierenden Elemente – wie Videos, Songs, Samples oder Praktiken – wird zu einem wesentlichen Bestandteil des kreativen Prozesses, indem sie analysiert, gespeichert und in eigene Projekte übersetzt werden. So kann das Suchen, Sammeln und Ausprobieren von klanglichem Material bisweilen nahezu nahtlos in die Kreation von Musik übergehen. Die eingesetzten Werkzeuge, wie DAWs und digitale Bibliotheken, prägen die Art, wie Musik geschrieben und produziert wird. Sie bieten nicht nur technische Hilfsmittel, sondern schaffen auch neue Möglichkeiten, musikalische Versatzstücke (Loops, Samples, Audioaufnahmen…) zu rekombinieren. Das Suchen, Sammeln, Ausprobieren, Kombinieren und Rekombinieren von Ideen und Fragmenten und die dauerhafte Berücksichtigung algorithmischer Funktionsweisen stellen sich so als zentrale Kompetenzen von Songwriter:innen dar.

weiterführende Publikation

Neuhausen, T. (2025). Die Übersetzung von Inspiration in Songs. Referenzielle Songwriting-Praktiken in Bedroom-Studios. In M. Ahlers, J.-P. Herbst, & K. Holtsträter (Hrsg.), Jahrbuch „Lied und Populäre Kultur / Song and Popular Culture“ des Zentrums für Populäre Kultur und Musik, Jg. 69 (S. 89-110).

Mu­si­ka­li­sche Bio­gra­fie als (so­zio­ma­te­ri­el­le) Ver­net­zung

Auch Musiker:innenbiografien lassen sich als Vernetzungseffekt betrachten. Exemplarisch deutlich wird das am Beispiel von Musiker:innen, die als sogenannte One-Person-Bands arbeiten. Das bedeutet, sie übernehmen nicht nur mehrere musikalische Rollen gleichzeitig – etwa als Gitarrist:in, Produzent:in und Songwriter:in – sondern nutzen digitale Technologien, etwa Musiksoftware und Aufnahmetechnik, um diese Tätigkeiten überhaupt kombinieren zu können. Diese Geräte, Instrumente und Programme sind nicht einfach Werkzeuge sind, sondern haben einen aktiven Einfluss darauf, wie Musik entsteht. Oft geben sie sogar musikalische Wege und Klangrichtungen vor, unabhängig davon, was die Person ursprünglich im Sinn hatte. Die persönliche musikalische Entwicklung – also wie man zum Beispiel vom Bassisten zum Gitarristen oder zum Songwriter wird – ist eng mit der Nutzung neuer Geräte, Software und Instrumente verbunden. Auch der Besitz und die Sammlung von technischem Equipment erhalten eine neue Bedeutung: Sie sind mit Hoffnungen, Wünschen und der Vorstellung von einer zukünftigen musikalischen Gemeinschaft verknüpft.

Ein weiteres Ergebnis ist, dass viele Prozesse des Lernens und der musikalischen Bildung von den Dingen und Technologien mitgeprägt werden. Musik entsteht heute weniger im Zusammenspiel fester Bands, sondern häufig in temporären Projekten, die Menschen und Technik flexibel zusammenbringen. Fehlt es an Mitmusiker:innen, können digitale Tools und Instrumente diese Lücke teilweise füllen, eröffnen aber auch neue kreative Räume und Selbstermächtigung.

weiterführende Publikation

Godau, M., & Neuhausen, T. (2025). Becoming a One-Person-Band. Zur soziomateriellen Konstitution informeller Bildungspraxis als zirkulierendes Referenzieren. In W. Fuhrmann, C. Herr, & K. Mackensen (Hrsg.), Rollen und Funktionen von Musik in der digitalen Ära (S. 185-220). Rombach Wissenschaft.