Die Rol­le von Platt­for­men für Song­wri­ting

Im Verlauf des Projektes gerieten Social-Media-Plattformen immer mehr in den Forschungsfokus, da sich durch ihren Einfluss Songwriting und musikalische Praxis grundlegend verändern. Auf diesen Plattformen sind Musiker:innen nicht mehr ausschließlich kreative Produzent:innen, sondern sie agieren als sogenannte Plattform-Musiker:innen, die Musik vor allem für die spezifischen Bedingungen und Logiken der Plattformen entwickeln. Das bedeutet, dass nicht nur die Formate – hauptsächlich kurze Videos im Hochformat – und die Präsentationsweisen, sondern auch die Entstehung und Veröffentlichung von Songs immer stärker von den technischen Infrastrukturen und den Empfehlungsalgorithmen geprägt werden.

Vor allem die Algorithmen der Plattformen spielen eine entscheidende Rolle bei der Sichtbarkeit und Reichweite von Musik. Da die Funktionsweise dieser Algorithmen für die Nutzer:innen weitgehend undurchsichtig bleibt, entsteht eine algorithmische Folklore: Musiker:innen tauschen sich untereinander über mutmaßlich erfolgreiche Strategien und Beobachtungen aus und entwickeln eine hohe Sensibilität für das Zusammenspiel von eigenen Beiträgen, Publikum und den Anforderungen der Plattformen. Diese „algorithmische Hyperawareness“ (Godau, Maxelon & Neuhausen, 2025) ist zu einer neuen Kernkompetenz für Plattform-Musiker:innen geworden.

Zudem verändert sich die Beziehung zwischen Musiker:in und Publikum. Durch die Möglichkeit, Musik und performative Inhalte sofort zu teilen und durch Kommentare, Duette und Challenges in einen direkten Austausch zu treten, verschwimmen die traditionellen Grenzen zwischen Künstler:in und Community. In vielen Fällen beeinflussen die Rückmeldungen und Vorschläge der Community unmittelbar das Songwriting und die Performance. Das Publikum wird so zum Mit-Akteur und manchmal sogar zum Mit-Autor von Songs.

Deutlich wird aber auch, dass Musiker:innen mit diesen neuen Anforderungen unterschiedlich umgehen. Manche richten ihr gesamtes musikalisches Schaffen konsequent auf die Logiken und Ästhetiken der Plattformen aus – hierbei werden Songs eigens für TikTok und ähnliche Plattformen konzipiert, in kurzen Zyklen produziert und mit aktiver Beteiligung der Community weiterentwickelt. Andere wiederum nutzen die Plattform vorrangig dazu, Musik, die außerhalb der Plattform entstanden ist, bekannt zu machen und mit kurzen Ausschnitten oder angepassten Versionen um Aufmerksamkeit zu werben.

Insgesamt zeigt sich: Plattformen wie TikTok transformieren nicht nur die technischen und ästhetischen Bedingungen von Musikproduktion und Songwriting, sondern auch das Selbstverständnis von Musiker:innen, die Formen der Gemeinschaft und die Möglichkeiten, ein Publikum zu erreichen. Kreativität wird so zunehmend zur Gemeinschaftsleistung, die im ständigen Austausch mit Algorithmen und Community steht.
 

weiterführende Publikationen

Haenisch, M., Godau, M., Barreiro, J., Maxelon, D., & Neuhausen, T. (2023). Die Plattformisierung des Songwritings. Musik erfinden unter Bedingungen des short video turn am Beispiel von TikTok. In M. Göllner, J. Honnens, V. Krupp, L. Oravec, & S. Schmid (Hrsg.), 44. Jahresband des Arbeitskreises Musikpädagogische Forschung / 44th Yearbook of the German Association for Research in Music Education (S. 305–321). Waxmann. https://doi.org/10.31244/9783830997641.18

Godau, M., Maxelon, D. & Neuhausen, T. (2025). Algorithmische Hyperawareness im Songwriting von Plattform-Musiker:innen. Auditive Medienkulturen. https://www.auditive-medienkulturen.de/2025/01/23/algorithmische-hyperawareness-im-songwriting-von-plattform-musikerinnen/

Neuhausen, T. (in Vorbereitung). Songs as User-Generated Content. Implications of Algorithmic Encounters, Personal Significance, and Meaning Negotiation for Postdigital Music Education.