Forschungsprojekte
Identitätskonstruktionen stehen im Fokus inter- und transdisziplinärer Forschungen sowie aktueller gesellschaftspolitischer Debatten. Im Blick auf heutige interkulturelle und interreligiöse Fragen erhält die Diskussion religiöser und/oder kultureller Identitätsmarker, von Grenzziehungen und -überschreitungen besondere Relevanz. Gerade etwa Essen und Trinken verbindet und polarisiert, als Ausdruck von Identität und Diversität in sozialen, kulturellen und religiösen Systemen.
Für frühchristliche Identitätsdiskurse spielt die Verhandlung jüdischer boundary marker eine entscheidende Rolle. Herkömmliche Differenzmerkmale werden in verschiedener Weise relativiert, um – anknüpfend an universale prophetische Visionen – andere Ethnien und Kulturen („die Völker“) gegenüber klassischer Abgrenzungsrhetorik in einer übergeordneten (hier christologisch fundierten) Identitätsbestimmung einzuschließen. In den rhetorischen Strategien diverser neutestamentlicher Texte treten in spiegelbildlichen Gegnerkonstruktionen divergierende Stimmen in diesen Debatten, die um Relevanz und Geltung des „Gesetzes“ kreisen, zu Tage. Die sich hier zeigenden variierenden Tora-Konzepte gilt es dabei im Horizont pluriformer Tora-Diskurse angesichts pluraler Judaisms in der Periode des Zweiten Tempels zu beleuchten. Gegenüber älteren Ansätzen ist einerseits weit mehr Sensibilität hinsichtlich antijüdischer Tendenzen (insbesondere in der Exegese) an den Tag zu legen. Andererseits sind klassische Deutemodelle eines (zu früh angesetzten) Parting of the Ways vor dem Hintergrund komplexer Entwicklungen und Phänomene, die eine anachronistische Unterscheidung fester „jüdischer“ und „christlicher“ Identitäten in dieser Zeit unterlaufen, im Licht der aktuellen Forschungsparadigmen in neutestamentlicher Wissenschaft und Judaistik zu korrigieren. So ist etwa die paulinische Diskussion um „Gesetz“, Beschneidung und Kaschrut im Gefolge der New Perspective on Paul stärker innerhalbeines jüdischen Diskussionshorizonts zu verorten und zu verstehen. In diesem Horizont ist auch die Frage nach dem Verhältnis von „Kirche“ und „Israel“ neu zu adjustieren.
Einer der einflussreichsten christologischen Entwürfe des Neuen Testaments findet sich im „Christus-Hymnus“ in Kol 1,15-20. Die in intertextuellem Dialog mit Schöpfungs-, Weisheits-/Logos- und Messias-Traditionen formulierte Christologie kondensiert in der einleitenden εἰκών-Prädikation (1,15: der „Sohn“ als „Bild des unsichtbaren Gottes“). In der Kategorie der „Gottesbildlichkeit“ laufen Theologie, Christologie und Anthropologie zusammen, sodass sich hier ein Kernthema christologischen Denkens bzw. biblischer Theologie und Anthropologie eröffnet. Um die im „Bild“-Begriff ausgedrückte Medialität, die repräsentative, teilhabende und vermittelnde Beziehung zum Abgebildeten zu verstehen, gerade auch in interreligiösem Horizont, ist die Untersuchung der (geistes-, kultur- und religionsgeschichtlich) kontextuellen Einbettung der Prädikation sowie der greifbaren Intertexte vonnöten. Wandelt sich der bildtheoretische Hintergrund, ändert sich die Bildkonzeption (und der Modus der Repräsentation des Abgebildeten im Bild), sodass die theologische/christologische/anthropologische Aussage differiert.
Weitere Fragehorizonte sind: In welcher Beziehung steht die mit der „Bild“-Kategorie arbeitende Christologie zu Eikon-Traditionen und Adam-Spekulationen in der Literatur des Zweiten Tempels, sodass sich neutestamentliche Christologumena ein weiteres Mal in den zeitgenössischen jüdischen Diskursen (als Jewish Messianism) verorten lassen? Inwieweit werden mit dem εἰκών-Begriff aber auch Vorstellungsgehalte griechischer Philosophie transportiert: Gegenüber Philos platonisierender und spiritualisierender Interpretation etwa, dessen einflussreiches Logoskonzept jüdisches Erbe in hellenistischer Begrifflichkeit buchstabiert, wäre zu fragen, welche Rolle Leiblichkeit für die ikonische Offenbarungsgestalt der transzendenten Gottheit spielt. Und wie ließe sich im interdisziplinären Gespräch, auch mit den Kulturwissenschaften, die neutestamentliche Ikonologie in ihrem Ineinander von Christologie und theologischer Anthropologie in heutige Begrifflichkeiten und Vorstellungshorizonte übertragen, um Bedeutung für die Gegenwart zu erlangen?
Neben biblischen Frauengestalten und ihrer Rezeptionsgeschichte liegt der aktuelle Fokus auf Männlichkeitskonstruktionen in Jesusdarstellung und Christologie.
Wunder i.A. sind ein viel besprochener und in ihrer Rezeption stark diskutierter Forschungsgegenstand. Allein die Fragen nach ihrem Realitätsbezug, ihrer „Machbarkeit“, der damit verbundenen Diskussionen um Jesus als Wundertäter, Heiler, Magier etc. bilden die Schwierigkeit von Rezeption von Wundererzählungen ab. Die Untersuchung K.M. Schmidts „Wege des Heils“, in der die Erzählstruktur des Markusevangeliums als eines Konzeptes erschlossen wird, bei der antike Erstleser am Ende seiner Lektüre des Evangeliums auf dessen Anfang zurückverwiesen ist, um die Erzählung sodann aus einem anderen Blickwinkel (neu) zu erschließen, bildet den Ausgangspunkt des Projektes. Zum Handeln aufgefordert – stellt ein zentrales Thema neben der Reich Gottes-Botschaft Jesu doch die Nachfolge dar – rücken von diesem markinischen Konzept ausgehend gerade die Wundererzählungen in den Blick. Gemäß der gattungskritischen Definition R. Zimmermanns geben gerade die Wundererzählungen immer auch eine Handlungsanweisung. Das Dissertationsprojekt zu den Wundererzählungen im Markusevangelium nimmt die genannte Rezipientenperspektive der antiken Erstleser ein, um als eine mögliche Lesart die Wundererzählungen soteriologisch zu lesen und ein Erzählungsprinzip zu erschließen, dem ein „Bildungskonzept“ für die Lesenden zugrunde liegt.