Laura Schwinger (Mitherausgeberin Magazin Testcard, Musikwissenschaftlerin), "Overload vs. Overlord - Achtsamkeit zwischen Alltagsbewältigung und Herrschaftslegitimation", Impuls und Talk
Im Gastvortrag „Overload vs. Overlord - Achtsamkeit zwischen Alltagsbewältigung und Herrschaftslegitimation“ von Laura Schwinger am vergangenen Dienstag in der Ringveranstaltung „Ver:achtsamkeit – Ethik der Popkultur“ ging es um die Paradoxien des Achtsamkeitsmarkts.
Sie selbst fasst es wie folgt zusammen:
„Der Achtsamkeitsmarkt weist viele Paradoxien auf. Etwa zielen Achtsamkeitspraktiken oftmals stark auf individuelles Verhalten und eine Distanz zum Weltgeschehen ab. Gleichzeitig gibt es aber auch den Anspruch, dass die Welt sich durch Achtsamkeit „heilen“ ließe. Durch scheinbare Widersprüche wie diesen spricht Achtsamkeit eine große Zahl an Zielgruppen an. Dazu zählen insbesondere Menschen mit Mittelstandshintergrund, die einen sozialen Abstieg befürchten oder vielleicht bereits erfahren haben. Ebenso ist sie für Menschen interessant, die vor allem ihre Arbeitsleistung optimieren möchten. Viele identifizieren sich dabei sehr stark mit ihrem Job und sehen in ihm sowohl ein Mittel der Selbstverwirklichung als auch einen Beitrag zum Fortschritt der Menschheit. Dafür nehmen sie auch Arbeitsbedingungen in Kauf, die mit Deregulierung und Entgrenzung einhergehen, d.h. mit Unsicherheiten und weniger Trennung zwischen Beruf und Privatleben. Natürlich soll und kann Achtsamkeit gegen Stress helfen, doch ich sehe in ihr auch das Potenzial, dass ihre große Popularität Entwicklungen verschleiert, die zu mehr sozialer Ungleichheit führen.“
Laura Schwinger studierte Kulturanthropologie und Musikwissenschaft in Mainz und ist seit 2017 Mitherausgeberin der testcard, einer Anthologie zur Geschichte und Gegenwart der Popkultur. Neben ihrer Tätigkeit als DJ und Veranstalterin beschäftigt sie sich wissenschaftlich und publizistisch mit Musik und Weltraum, Feminismus sowie neoliberalen Kontrollmechanismen. In der aktuellen testcard schrieb sie über Achtsamkeit, Minimalismus und Refeudalisierung.
Fotos und Text: Tina Götz