DFG–Projekt: Theologie und Sklaverei

DFG-Projekt: „Theologie und Sklaverei von der Antike bis zur Frühen Neuzeit“
Teilprojekt: Frühe Neuzeit (N. Priesching)
Beginn: Juni 2012
Laufzeit: 36 Monate
                                  
Kurzbeschreibung


Sklaverei wurde nicht nur in Amerika bis in das 19. Jahrhundert, sondern auch im christlichen Europa bis in die Frühe Neuzeit praktiziert. Diese Tatsache haben in den letzten Jahrzehnten sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Forschungen erwiesen und damit ältere, häufig ideologisch geprägte Auffassungen von einem allmählichen Niedergang dieser Institution seit dem Ende der Antike widerlegt. Wie ließ sich diese Praxis mit dem Christentum vereinbaren, das jeden Menschen als Ebenbild Gottes versteht, zugleich aber die Sklaverei legitimierte? Um diese Frage zu beantworten, ist ein bislang völlig fehlender theologiegeschichtlicher Zugriff auf diese lange Geschichte der Sklaverei notwendig.

In welchen Kontexten reflektieren Theologen über Sklaverei? Aufschlussreich sind exegetische und systematische Entwürfe über Schöpfung, Erbsündenlehre und Heilsgeschichte sowie Debatten des Völkerrechts. Auch die spiritualisierte Rede von Sklaverei (innere Unfreiheit durch Sünde) wirkte sich auf das Verständnis der realen Sklaverei aus.

Eine longue durée-Perspektive von der Antike bis zur Frühen Neuzeit lässt neue Einsichten in Rezeptionsprozesse, Legitimations-und Bewältigungsstrategien erwarten. Dies ist im Hinblick auf die aktuelle Debatte um die Gründe der Abschaffung der Sklaverei und der damit verbundenen Frage nach dem humanisierenden Einfluss des Christentums von größter Relevanz.

DFG-Project: Theology and slavery from antiquity to Early Modern Age

Slavery was practised not only in America until the 19th century but also in Christian Europe till the Early Modern Age. In the last decades, this was proved by socio- and economic-historical research which in turn refuted older and often ideologically informed understandings of a gradual demise of this institution since the end of antiquity. How could this practice be reconciled with Christianity which considers each human being as an image of God, which however at the same time legitimised slavery? To answer this question, a so far completely absent theologico-historical access to this long history is necessary.

In which contexts do theologians reflect on slavery? Exegetical and systematic drafts of creation, of the tenet of original sin and salvation history as well as debates of the public (international) law are revealing. Furthermore, the spiritualised discourse about slavery (interior lack of freedom through sin) impacted on the understanding of real slavery.

A longue-durée perspective from antiquity to the Early Modern Age gives reason to expect new insights into the processes of perception and strategies of legitimisation and coping. Considering the current debate about reasons for the abolition of slavery and the question of the humanising influence of Christianity this is of prime relevance.

Projet de la DFG: Théologie et esclavage depuis l'antiquité jusqu'aux temps modernes

L'esclavage n'était pas seulement pratiqué en Amé-rique jusqu'au 19e siècle, mais aussi en Europe chrétienne jusqu'aux temps modernes. Ce fait a été démontré dans les dernières décennies par des études d'histoire sociale et économique réfutant ainsi d'autres conceptions plus anciennes et souvent idéologiques qui partaient d'une lente disparition de cette institution depuis la fin de l'antiquité. Comment arrivait-on à concilier cette pratique avec le christianisme qui considère chaque homme comme étant créé à l'image de Dieu, mais qui en même temps légitimait l'esclavage? Pour répondre à cette question, on a besoin d'une approche jusqu'à présent totalement manquant qui part de l'histoire de la théologie dans l'analyse de cette longue histoire de l'esclavage.

Dans quels contextes les théologiens développaient-ils leur réflexion sur l'esclavage? Révélateurs sont des traités exégètiques et systématiques sur la création, sur le péché originel et sur l'histoire du salut ainsi que des débats dans le contexte du droit des gens. Le discours spiritualisé sur l'esclavage (intérieur par le péché) avait aussi des conséquences sur la compréhension de l'esclavage réel.

Une perspective de longue durée de l'antiquité jusqu'aux temps modernes peut offrir une meilleure compréhension du processus de réception et des stratégies de légitimation et d'acceptation. Cela est de première importance face au débat actuel sur les causes de l'abolition de l'esclavage et sur la question adjointe de l'influence humanisante du christianisme.

PROGETTO DFG – TEOLOGIA E SCHIAVITU’ DALL’ANTICHITA’ ALL’ETA’ MODERNA

La schiavitù non fu praticata solo in America fino al XIX secolo, ma anche nell’Europa cristiana fino all’Età moderna. Negli ultimi decenni, ciò è stato dimostrato da studi di storia sociale ed economica, i quali di volta in volta hanno confutato le concezioni datate e spesso “ideologiche” che parlavano di una graduale scomparsa di questo istituto a partire dalla fine del mondo antico. Ma come si era potuta conciliare una pratica di questo genere col Cristianesimo, il quale considera ogni creatura umana come un’immagine di Dio, e che ciò nonostante al tempo stesso accettava come lecita la schiavitù? Per rispondere a questa domanda, è necessario approcciarsi alla lunga storia della schiavitù da un punto di vista storico-teologico: il che sinora non è mai stato fatto.


In quale contesto i teologi portano innanzi la loro riflessione sulla schiavitù? In proposito, sono rivelatrici le elaborazioni esegetiche e sistematiche sulla Creazione, sui due principi di peccato originale e di storia di salvezza, così come le discussioni in ambito di diritto internazionale. Pure le considerazioni di natura spirituale sulla schiavitù – intesa come mancanza di libertà interiore a causa del peccato – hanno avuto un notevole impatto sulla cognizione di cosa essa veramente significhi.

Da una prospettiva di lunga durata, che spazi dall’antichità fino all’Età moderna, ci si può ragionevolmente attendere di ricavare una nuova visione dei fenomeni di percezione e delle strategie di legittimazione o di opposizione. Il che, nell’ambito della discussione in corso sulle cause che hanno portato all’abolizione della schiavitù e sull’influsso umanizzatore del Cristianesimo, appare essere di primaria importanza.

Kurzbeschreibung:

In den letzten Jahrzehnten wurde die Praxis der Sklaverei im frühneuzeitlichen Europa vor allem von italienischen, französischen und spanischen Wirtschafts- und Sozialhistorikern behandelt. Grundlegende Desiderate ergeben sich jedoch aus einer theologiegeschichtlichen Perspektive, deren Bearbeitung für die Frage nach der Legitimation von Sklaverei im christlichen Europa von besonderer Relevanz ist. Dieses Projekt ist deshalb theologiegeschichtlich ausgerichtet.
Aus theologiegeschichtlicher Perspektive kann methodisch zwischen zwei Diskursebenen unterschieden werden: 1) Eine theologische Reflexion über Sklaverei, in welchem ein spiritueller Begriff von Sklaverei (Knechtschaft der Sünde, innere Sklaverei) im Zentrum des Interesses steht. 2) Eine theologische Reflexion über Sklaverei, in welchem äußere Sklaverei (Institution) im Rahmen einer naturrechtlichen Debatte erörtert wird, wie z. B. in der Indio-Debatte.
Die naturrechtliche Reflexion zur Sklaverei in der Frühen Neuzeit kann, wie die Studie von Bernd Franke (2009) herausgearbeitet hat, als konfessionell unspezifisch bezeichnet werden. Dieser Befund wäre allerdings für den Katholizismus in einer longue-durée Perspektive noch zu überprüfen, da der spanische Jesuit Francisco Suárez die einzige katholische Persönlichkeit in der Studie von Franke ist und am Anfang des 17. Jahrhunderts steht. Er ist gleichzeitig auch der einzige Vertreter der thomasisch geprägten spanischen Spätscholastik, so dass sich die Frage stellt, welche Positionen katholische Theologen nach ihm vertreten haben.
Das Collegio Romano in der Zeit seines jesuitischen Bestehens (1551–1773) bietet sich exemplarisch für die theologiegeschichtliche Erforschung der katholischen Position zur Sklaverei in der Frühen Neuzeit an, da es im Zentrum eines regen kulturellen und theologischen Austauschs stand. So lehrte auch Francisco Suárez von 1580 bis 1585 scholastische Theologie am Collegio Romano. Er prägte das Naturrechtsverständnis dieser Jesuitenuniversität, die sich im Zentrum des Katholizismus mit besonderer Nähe zum Papst befand. Seine Rezeption (gerade im Hinblick auf Sklaverei) bei seinen Nachfolgern, wie die Professoren und Naturrechtler Juan de Lugo (1583–1660) und Antonio Pérez (1599–1649), ist bisher noch nicht untersucht worden. Dieses Vorhaben verspricht weitere Aufschlüsse über einen katholisch-theologischen Beitrag zur Entwicklung der Menschenrechte und ermöglicht eine kritische Überprüfung der These, dass bereits in der „Schule von Salamanca“ maßgebliche Grundlagen für die Entwicklung der Menschenrechte sowie des Völkerrechts gelegt worden seien. Ferner ist der Frage nachzugehen, inwiefern ein wechselseitiger Rezeptionsprozess zwischen Vertretern der „Schule von Salamanca“, wie Francisco Suárez, und Vertretern protestantischer Universitäten auch in Bezug auf die naturrechtliche Rechtfertigung von Sklaverei vorlag.
Eine theologiegeschichtliche Perspektive kann sich, wie gesagt, nicht in einer Behandlung des Naturrechts erschöpfen. Darüber hinaus wäre auch die Spiritualisierung von Sklaverei zu beschreiben. Während für die Spätantike und das Frühmittelalter die Spiritualisierung der Begriffe „Sklaverei“ und „Loskauf“ bereits sehr gut erforscht ist, stellt dies für die Frühe Neuzeit noch ein Desiderat dar. Gerade die neutestamentlich grundgelegte und bei den Kirchenvätern verbreitete Trennung in „innere“ (Knechtschaft der Sünde) und „äußere“ Sklaverei führt zu der Frage, in welches Verhältnis diese beiden Bereiche theologisch gebracht wurden. Hat „äußere“ Sklaverei einen Einfluss auf die „innere“ und ihre Beurteilung oder nicht? Das Besondere an einer theologiegeschichtlichen Herangehensweise ist, dass man die Naturrechtsdebatte über Aussagen zur „inneren Sklaverei“ aus theologischen Bereichen wie Bibelexegese, Patristik oder Moraltheologie ergänzen und damit ihren eigentlichen theologischen Gehalt und Kontext erst sichtbar machen kann. Der theologiegeschichtliche Ansatz bedeutet hier konkret, dass auf der Grundlage der gedruckten Werke von Theologieprofessoren am Collegio Romano auch Fächer wie Exegese, Moral und Kirchenrecht zu berücksichtigen sind. Da das Collegio Romano im Rahmen frühneuzeitlicher Universitätsgeschichten bisher kaum behandelt wurde, kann eine solche über die Zeit ihres jesuitischen Bestehens angelegte Studie auch einen Beitrag zur Theologiegeschichte leisten.