Forscher wollen neuen Bio-Kun­st­stoff für den Ein­satz in optischen Tech­no­lo­gi­en en­twick­eln

 |  Forschung

Wissenschaftler*innen der Universität Paderborn, der Hochschule Hamm-Lippstadt und des Aachen-Maastricht Institute for Biobased Materials (AMIBM) erforschen neue umweltfreundliche Kunststoffprodukte auf Basis von Milchsäure. Ziel ist es, nachhaltige Werkstoffe für optische Anwendungen wie Scheinwerfer, Linsen, Reflektoren oder Lichtleiter zu entwickeln. Diese Produkte werden bislang aus erdölbasierten Kunststoffen wie Polycarbonat oder Polymethylmethacrylat hergestellt und stellen damit eine Belastung von Natur und Umwelt dar. Das Vorhaben wird mit insgesamt rund 885.000 Euro vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) gefördert und ist angesiedelt im Förderprogramm „Nachwachsende Rohstoffe“. Koordinator ist das AMIBM. Das Projekt wurde von der Hochschule Hamm-Lippstadt initiiert, wo kürzlich das Vorgängerprojekt „Polylactid als High-Tech-Werkstoff für optische Bauteile einer Leuchte – RenewOpt“ erfolgreich abgeschlossen wurde.

Die ungehemmte Produktion erdölbasierter Kunststoffprodukte ist trotz aller Bemühungen nach wie vor Standard. Die Rufe nach Alternativen auf Grundlage nachwachsender Rohstoffe werden nicht nur in Wissenschaft und Politik lauter, sondern erklingen auch aus der Gesellschaft. „Aktuell konzentriert man sich auf Anwendungen mit eher niedrigen Anforderungen an die Materialien und auf Märkte mit hohen Absatzzahlen. Im Bereich der optischen Materialien gibt es kleine Fortschritte. Beispielsweise in Form sogenannter modifizierter Polycarbonate, wobei konkret Isosorbid – ein nachwachsender Rohstoff – als zweiter Monomerbaustein in den Kunststoff eingebaut wird. Anwendung finden die Stoffe bei Displays und optischen Filmen – bislang allerdings nur sehr selten “, sagt Prof. Dr. Klaus Huber vom Department Chemie der Universität Paderborn, der das Vorhaben auf Universitätsseite leitet. Prof. Dr. Gunnar Seide von der Maastricht University erklärt: „Nachhaltigkeit ist leider noch kein Kaufargument für Konsumenten. Sie wird natürlich erwartet, aber nicht bezahlt. Daher brauchen wir nachhaltige Hochleistungspolymere, deren technische Eigenschaften bezahlt werden. Hier setzen wir mit dem Projekt PLANOM an.”

Ziel der Wissenschaftler*innen ist es, einen bestimmten Rohstoff aus der Familie der Bio-Kunststoffe als optisches Material in Leuchten und Scheinwerfern einzusetzen. Als geeigneter Kandidat hat sich Polylactid herausgestellt. „Polylactid bzw. Polymilchsäure wird aus nachwachsenden Rohstoffen gewonnen und entsteht bei der Fermentation von Kohlenhydraten über die sogenannte Milchsäuregärung. Das kennen wir zum Beispiel von Sauerkraut. Mit unserem Ansatz adressieren wir gleich mehrere Problemfelder konventioneller Polymerwerkstoffe. Der Schritt hin zu kurzfristig erneuerbaren Ressourcen hilft dabei, eine von Erdöl unabhängige Materialwirtschaft zu etablieren. Gleichzeitig wird ein deutlich geringerer CO2-Ausstoß erreicht und somit ein Beitrag zu den Zielen des Pariser Abkommens geleistet. Ein dritter Aspekt betrifft die Betrachtung des gesamten Materiallebenszyklus. Dabei geht es vor allem um die Vermeidung von Mikroplastik aufgrund von Recyclingkonzepten und der Bewertung der biologischen Abbaubarkeit. Als ausschließlich biobasiertes Polymer ist Polylactid unter bestimmten Voraussetzungen vollständig abbaubar. Hohe Verweilzeiten in der Natur sind damit ausgeschlossen. Das sind neben den anwendungsspezifisch notwendigen Eigenschaften wesentliche Anreize für die Industrie, auf derartige alternative Werkstoffe umzuschwenken.“ Polylactid bietet aber nicht nur in puncto Nachhaltigkeit Vorteile: „Es verfügt außerdem über sehr gute optische Eigenschaften für den Einsatz im sichtbaren Bereich des elektromagnetischen Spektrums. Gleichzeitig bestehen für Polylactid große Produktionskapazitäten. Dadurch ist es preislich gegenüber konventionellen Polymeren relativ konkurrenzfähig“, so Huber.

Erforscht wird zunächst der Einsatz in Verbindung mit LEDs, die als effiziente und umweltfreundliche Lichtquelle bekannt sind. Huber erklärt: „Insbesondere die enorm hohe Lebensdauer und die emittierte Strahlung am kurzwelligen Ende des sichtbaren Spektrums, also der hohe blaue Anteil des LED-Lichts, stellen höchste Anforderungen an die optischen Werkstoffe.“ Deshalb müssen extrem haltbare Materialien verwendet werden. Das Problem: Polylactid wird schon bei ca. 60 Grad Celsius weich. LED-basierte Leuchten erreichen im Betrieb allerdings durchaus Temperaturen von bis zu 80 Grad. Eine weitere Herausforderung stellt das Kristallisationsverhalten dar. Ab ca. 60 Grad bilden sich Kristallite, die das Material trüben. Die Wissenschaftler*innen arbeiten daran, deren Bildung entweder vollständig zu vermeiden oder den Prozess durch eine kontrollierte Kristallisation zu ersetzen. Dabei bilden sich ausschließlich Kristallite mit solchen Abmessungen, die das Licht nicht beeinträchtigen. „Das Projekt soll es ermöglichen, Polylactid erstmals in anspruchsvolle technische Beleuchtungsanwendungen zu bringen. Ganz konkret wird der Einsatz als Linsenmaterial in einem Fahrradscheinwerfer angestrebt. Dazu arbeiten wir eng mit der Firma Busch und Müller in Meinerzhagen zusammen, aber auch andere lichttechnische Firmen wie beispielsweise HELLA aus Lippstadt sind an unseren Fortschritten interessiert und sehen eine steigende Notwendigkeit für den Einsatz nachhaltiger Lösungen in ihren Produkten. In Lippstadt untersuchen wir dazu mit eigens entwickeltem Equipment die Beständigkeit der im Projekt entwickelten Polylactide in Bezug auf kurzwellige sichtbare Strahlung“, so Prof. Dr. Jörg Meyer von der Hochschule Hamm-Lippstadt.

Am Standort Paderborn geht es um die Bestimmung der molekularen Beschaffenheit der einzusetzenden Polylactide mit Blick auf den späteren Materialeinsatz. Insbesondere das Schmelz- und Kristallisationsverhalten der entwickelten Materialien wird von den Wissenschaftler*innen untersucht. Huber geht dabei der Frage nach, inwiefern Zusatzstoffe oder eine Bestrahlung der Proben das Verhalten hinsichtlich der angestrebten optischen Eigenschaften verbessern. „Die Arbeiten werden mit einer eigens für diesen Zweck gebauten Kleinwinkellichtstreuanlage durchgeführt und erlauben eine Untersuchung des Kristallwachstums bzw. des Aufschmelzvorgangs von Kristallen, also genau der Vorgänge, die die optischen Funktionalitäten ganz wesentlich mitbestimmen“, so Huber.

Das Projekt soll neben wissenschaftlichen und technischen Erkenntnissen deutliche wirtschaftliche Impulse setzen. Durch einen nachhaltigen optischen Bio-Kunststoff, der über konkurrenzfähige Eigenschaften verfügt, wird die Wettbewerbssituation für Leuchtenhersteller und Automobilzulieferer verbessert. Im Rahmen des Vorhabens wird außerdem der wissenschaftliche Nachwuchs für Industrie und Forschungseinrichtungen ausgebildet. Mit ersten Ergebnissen rechnet das Team Ende 2022.

Symbolbild (Universität Paderborn, Besim Mazhiqi).

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