Mit op­ti­mier­ten Trennan­la­gen En­er­gie spar­en

 |  Forschung

Wissenschaft und Industrie arbeiten für nachhaltigere Produktion bei Verbundprojekt „ReProvAP“ eng zusammen

Die Energie zum Betrieb chemischer Anlagen verursacht große Mengen an Treibhausgasen. Ein wesentlicher Anteil davon entfällt auf sogenannte Destillationskolonnen, in denen flüssige und gasförmige Komponenten voneinander getrennt werden. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen stellt die Destillation die meistverwendete Trennmethode dar, zum anderen ist sie sehr energieintensiv. Ziel eines neuen Forschungsvorhabens ist es, diese Anlagen mit einer innovativen Designmethodik so zu gestalten, dass sie effizienter betrieben werden können und somit Energie und Emissionen eingespart werden. An dem großangelegten Kooperationsprojekt mit einem Gesamtbudget von etwa zwei Millionen Euro unter der Leitung der Technischen Universität München ist auch die Universität Paderborn beteiligt, die eine Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) in Höhe von rund 300.000 Euro erhält. Neben fünf universitären Partnern wird das Projekt durch sieben Vertreter aus der Prozessindustrie unterstützt, dazu zählen u. a. die Großunternehmen BASF, Evonik und Linde. Im projektbegleitenden Beirat sind weitere sieben Unternehmen, u. a. Bayer, Covestro und Thyssenkrupp, vertreten. „ReProvAP“, so der Kurztitel, hat eine Laufzeit von 36 Monaten und endet im Februar 2024.

Packungen versus Böden für den Stoffaustausch

Um die Komponenten in der Destillationskolonne voneinander zu trennen, wird die Flüssigkeit am Boden des Apparates erhitzt und verdampft, der aufsteigende Dampf wird am Kopf des Apparates gekühlt und kondensiert. Dabei verdampfen vorrangig die Komponenten mit niedrigem Siedepunkt, während diejenigen mit hohem Siedepunkt kondensieren, sodass die Stofftrennung stattfindet. „Für ein Gemisch aus Ethanol und Wasser bedeutet das zum Beispiel, dass das Ethanol im Apparat aufsteigt und am Kopf der Kolonne entnommen werden kann, wohingegen sich das Wasser am Boden der Kolonne anreichert. In Destillationskolonnen befinden sich spezielle Einbauten, die einen intensiven Kontakt zwischen Flüssigkeit und Dampf und somit die effiziente Trennung von Komponenten gewährleisten sollen“, erklärt Prof. Dr.-Ing. Eugeny Kenig, Leiter des Lehrstuhls für Fluidverfahrenstechnik an der Universität Paderborn.

Es gibt verschiedene Arten dieser Einbauten, vor allem Böden und Packungen. Böden werden in regelmäßigen Abständen innerhalb einer Destillationskolonne eingebaut, auf ihnen staut sich die Flüssigkeit und wird von dem Dampf durchströmt. Auf diese Weise findet auf dem Boden der Stoffaustausch zwischen den beiden strömenden Phasen statt. Packungen füllen die gesamte Kolonne aus. Dabei wird unterschieden zwischen Füllkörper (beispielsweise Kugeln oder Hohlzylinder) und Strukturpackungen (dünne, gewellte Metallplatten bzw. Drahtnetze). In diesen Fällen fließt die Flüssigkeit entlang der Oberfläche dieser Strukturen und der Dampf strömt im Gegenstrom an der entstehenden Flüssigkeitsoberfläche vorbei. Dabei werden Flüssigkeit und Gas in Kontakt gebracht, um den Stoffaustausch zu realisieren. Der Einsatz von Packungskolonnen, insbesondere Strukturpackungen, führt aufgrund des besseren Verhältnisses zwischen Energieeintrag und Trennleistung im Vergleich zu Bodenkolonnen zu effizienteren Trennapparaten.

Stofftrennleistungen präzise vorhersagen

„Die genaue Bestimmung der Trennleistung in industriellen Kolonnen, die nicht selten sehr große Abmessungen haben (mehr als 100 Meter hoch und einen Durchmesser von bis zu 20 Metern), ist eine schwierige Aufgabe, wodurch für einige Systeme eine hohe Unsicherheit bei dem Design der Kolonnen entsteht. Zur Kompensation werden die Apparate größer gebaut, als sie eigentlich sein müssten, was zu unnötig hohen Energie- und Ressourcenverbräuchen führt“, erklärt Kenig. Besonders für die effizienteren Packungskolonnen ist eine sichere Vorausberechnung schwierig, deshalb kommen stattdessen häufig Bodenkolonnen zum Einsatz. Deren Design sei zwar deutlich besser erforscht, biete laut Kenig allerdings weniger Vorteile mit Blick auf die Effizienz: „Mit einer besseren Designmethodik für strukturierte Packungen, die wir jetzt intensiv erforschen, kann die Konkurrenzfähigkeit von Betrieben durch eine genaue Identifikation der Stofftrennleistung erhöht werden. So können in Zukunft Anwendungsbereiche, die bislang Bodenkolonnen verwendet haben, mit Packungskolonnen ausgestattet und dabei Energie eingespart oder sogar neuartige, effizientere Prozessführungen ermöglicht werden.“

Einsparpotenzial bei der Umstellung von Boden- auf Packungskolonnen

Der Einsatz einer strukturierten Packung leistet laut Projektteam einen wesentlichen Beitrag zur Erhöhung der Energieeffizienz. Kenig nennt ein Beispiel: „In dem Betrieb einer unserer Forschungspartner wurden Stoffaustauschböden durch eine strukturierte Packung ersetzt. Damit war es möglich, die Kondensationswärme anderweitig zu nutzen. Auf diese Weise wurden ca. 75 Prozent der eingesetzten Heizleistung zurückgewonnen und an anderer Stelle im Werk als Heizdampf eingesetzt – man kann also von einem Kreislauf sprechen.“

Forschung in Paderborn

Die Forschungsaktivitäten des Lehrstuhls für Fluidverfahrenstechnik (FVT) der Universität Paderborn belaufen sich auf vier Schwerpunkte: die Untersuchung elementarer Transportphänomene, den Bereich der Prozessintensivierung, die Untersuchung von Trennapparaten inklusive ihrer Einbauten sowie innovative Lösungen für Probleme des Energietransports und der -speicherung in industriellen Anwendungen. Dabei werden sowohl experimentelle als auch theoretische Methoden eingesetzt. Außerdem beteiligt sich der Lehrstuhl an den Aktivitäten des Paderborner Kompetenzzentrums für Nachhaltige Energietechnik (KET), dessen Schwerpunkte unmittelbar mit der umweltfreundlichen Energienutzung verbunden sind. Die am Lehrstuhl FVT entwickelten Modellierungsmethoden sollen bei der Entwicklung der verbesserten Auslegungsmethodik helfen. Kenig: „Unsere Ansätze sollen im Idealfall experimentelle Untersuchungen mit dem jeweiligen spezifischen Stoffsystem ersetzen und direkt eine Übertragung von bekannten und gut charakterisierten Stoffsystemen auf neue Stoffe ermöglichen.“ Paderborn ist durch seine langjährigen Forschungsarbeiten auf dem Gebiet bestens gerüstet.

Bündelung der Forschungsaktivitäten von Industrie und Wissenschaft

Durch die Einbindung von Forschungseinrichtungen, Packungshersteller*innen, Ingenieurdienstleister*innen, Anlagenbauer*innen und Betreiber*innen der chemischen Industrie sollen alle relevanten Fragestellungen abgedeckt, die Erkenntnisse der einzelnen Partner*innen ausgetauscht und gemeinsam ein tiefgründiges Verständnis der Stoffaustauschvorgänge in Packungen erzeugt werden. „Die Ergebnisse aus diesem Projekt sollen die Prozessindustrie nachhaltig verändern, da eine neue, präzisere Auslegungsmethodik für Packungskolonnen zu einer enormen Energie- und Kostenersparnis führt“, sagt Kenig. Das so generierte Wissen fließt sowohl in die Industrie als auch in die Lehre bei der Ausbildung zukünftiger Ingenieur*innen ein. Dadurch soll mittel- bis langfristig großer Einfluss auf den Einsatz und die Rolle von strukturierten Packungen in Deutschland genommen werden. Erste Ergebnisse werden im Sommer 2022 erwartet.

Symbolbild (Pixabay/LEEROY Agency).

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Prof. Dr.-Ing. Eugeny Kenig

Fluid Process Engineering (until 2023)

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