Neue Wege für ein ef­f­iz­ientes Design von Leis­tungsschall­wand­lern

 |  Forschung

Paderborner Forschungsgruppe NEPTUN erhält DFG-Förderung

Ultraschall findet heute in der Wissenschaft, Technik und Medizin vielfach Anwendung. Die Gestaltung und Optimierung von Leistungsschallwandlern – also der Elemente, die elektrische Signale in mechanische Bewegungen umwandeln – erfolgt mittlerweile zunehmend von Computern unterstützt in einem sogenannten CAD-Prozess. Während die Computertechnik und die Simulationssoftware inzwischen eine hohe Leistungsfähigkeit erreicht haben, erweist sich die mangelhafte Kenntnis korrekter und präziser Materialdaten der eingesetzten Bauelemente beim Designprozess derzeit als eines der größten Probleme. Die Forschungsgruppe „Modellbasierte Bestimmung nichtlinearer Eigenschaften von Piezokeramiken für Leistungsschallanwendungen“ (NEPTUN) unter Leitung von Prof. Dr. Bernd Henning der Fakultät für Elektrotechnik, Informatik und Mathematik an der Universität Paderborn will dieses Problem lösen, indem standardisierbare, modellbasierte Methoden zur Bestimmung vollständiger und konsistenter Parametersätze der Werkstoffe entwickelt werden. Dafür haben die Wissenschaftler*innen nun eine Förderung von der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) in Höhe von knapp 1,7 Millionen Euro für die erste Förderperiode von 4 Jahren erhalten. Weitere Mitglieder der Forschungsgruppe sind Prof. Dr. Jens Förstner (Theoretische Elektrotechnik), Dr.-Ing. Tobias Hemsel (Dynamik und Mechatronik) und Prof. Dr. Michael Winkler (Partielle Differentialgleichungen) von der Universität Paderborn sowie Prof. Dr. Andrea Walther und Dr. Benjamin Jurgelucks (Mathematische Optimierung) von der Humboldt-Universität zu Berlin.

Ultraschallanwendungen, bei denen große Leistungen in ein Medium eingebracht werden, bezeichnet man als Leistungsschallanwendungen. Leistungsschall wird zum Beispiel für die Reinigung von Brillen, beim Bohren von hartspröden Materialien oder in der Elektronikfertigung eingesetzt. Auch in der Medizintechnik ist die Anwendung in Skalpellen, bei der Zahnsteinentfernung oder der Nierensteinzertrümmerung weit verbreitet und derzeit unverzichtbar. Zum Erzeugen und auch zum Detektieren von Leistungsschall ist heute der Einsatz sogenannter piezokeramischer Werkstoffe gebräuchlich. Diese Keramiken verformen sich wegen des piezoelektrischen Effekts beim Anlegen einer elektrischen Spannung. Sie sind also in der Lage, elektrische Signale in mechanische Energie beziehungsweise in Bewegung umzuwandeln. Die großen Leistungen bei diesen Anwendungen führen zu einer enormen Beanspruchung der genutzten Materialien. „Die Kombination von mechanischer, elektrischer und thermischer Beanspruchung macht es notwendig, diese Phänomene beziehungsweise die Zusammenhänge besser zu verstehen und die Materialeigenschaften in ihrer Gesamtheit zu charakterisieren“, erklärt Prof. Dr. Bernd Henning, Leiter der Fachgruppe „Elektrische Messtechnik“.

Um in Zukunft den material- und zeitaufwändigen Bau von Prototypen für die Ultraschallsensoren und -aktoren zu vermeiden, setzt man bei der Gestaltung zunehmend auf computergestützte Simulationswerkzeuge. Diese Simulationen liefern aber nur dann realistische Ergebnisse, wenn korrekte Materialdaten genutzt werden. Genau hier liegt das Problem: Nach gegenwärtigem Stand der Technik werden jeweils einzelne Materialeigenschaften bzw. -parameter von Piezokeramiken an verschiedenen, speziell und unterschiedlich bearbeiteten Probekörpern bestimmt, was zur Folge hat, dass die Materialparameter inkonsistent sind und die Eigenschaften des dann tatsächlich eingesetzten piezokeramischen Bauelements nur zum Teil repräsentieren. „Hinzu kommt, dass für Leistungsschallanwendungen überhaupt ein geeignetes mathematisches Modell fehlt, welches insbesondere das nichtlineare Verhalten piezokeramischer Werkstoffe hinreichend genau beschreibt“, führt Henning weiter aus.

Die Forschungsgruppe NEPTUN wird nun universelle Methoden entwickeln, um das Verhalten beliebiger Piezokeramiken zu analysieren und designrelevante Materialkenngrößen zu charakterisieren. Dafür erarbeitet sie eine mathematische, realitätsnahe Modellierung und eine multiphysikalische Simulationsumgebung. Parallel hierzu erfolgt die Entwicklung robuster Messverfahren und Messsysteme zur gleichzeitigen Erfassung der elektrischen, mechanischen und thermischen Eigenschaften piezokeramischer Werkstoffe anhand einer einzigen Probe. Schließlich soll eine modellbasierte Methodik zur Bestimmung vollständiger und konsistenter Materialdatensätze piezoelektrischer Werkstoffe sowie zur ganzheitlichen Charakterisierung piezoelektrischer Bauelemente für Leistungsschallanwendungen geschaffen werden.

„Eine besondere Bedeutung bekommt diese Zielstellung dadurch, dass gegenwärtig bei Leistungsschallanwendungen immer noch nahezu ausschließlich bleihaltige piezokeramische Werkstoffe eingesetzt werden, obwohl deren Einsatz nur aufgrund von Sondergenehmigungen erlaubt ist. Da die Materialauswahl meist auf aus den Parametern abgeleiteten Kenngrößen basiert, ist auch wegen der notwendigen Alternativen eine ausreichend genaue Charakterisierung notwendig. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen der Branche werden bei der Umstellung der piezoelektrischen Materialien von dieser neuen Charakterisierungsmethode profitieren“, so Henning abschließend.

Foto (Universität Paderborn): So erheben die Forscher*innen ihre Daten: Durch die goldenen Stäbchen wird ein elektrischer Kontakt zur ringförmigen Piezokeramik in der Mitte einer universell verwendbaren Probeaufnahme hergestellt.

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