Wis­senschaftler der Uni Pader­born en­twick­eln nach­haltige Kältespeich­er für BioNTech-Im­pf­stoff

 |  Forschung

Ganz ohne Trockeneis

Eine breit angelegte Impfstrategie gilt als Hoffnungsträger für einen Ausweg aus der Coronakrise. Doch der in Deutschland aktuell verwendete Impfstoff hat seine Tücken: Das SARS-CoV-2-Vakzin von Pfizer/BioNTech ist extrem temperaturempfindlich. Um seine Haltbarkeit zu garantieren und die Impfdosen auch über weite Strecken transportieren zu können, bedarf es einerseits guter Isolierung und andererseits einen zusätzlichen Kältespeicher. Bisher wird für diesen Zweck Trockeneis eingesetzt – festes Kohlenstoffdioxid, das bei einer Temperatur von minus 78°C verdampft, also direkt vom festen in den gasförmigen Zustand übergeht. Da bereits CO2-Konzentrationen von acht bis zehn Prozent in der Atemluft tödlich sein können, ist die Menge, die z. B. in Flugzeugen und Transportern eingesetzt werden kann, limitiert. Wissenschaftler der Universität Paderborn forschen deshalb an sogenannten Phasenwechselmaterialien (PCM), die für den Einsatz in Kühlakkus verfüllt werden und die erforderlichen Kühltemperaturen von minus 80°C bis minus 60°C erreichen. So kann u. a. die Freisetzung von gesundheitsschädlichem Kohlenstoffdioxid vermieden werden, während gleichzeitig eine umfassende Kältespeicherung möglich wird.

Effiziente Energiespeicher

„Phasenwechselmaterialien können ihren Aggregatzustand reversibel wechseln. Wenn sie beispielsweise von fest zu flüssig wechseln, nehmen sie thermische Energie bei einer konstanten Temperatur auf und geben diese „latent“ eingespeicherte Energie bei der Kristallisation auf dem gleichen Temperaturniveau wieder ab. So kann auf kleinem Raum und bei gleichbleibender Temperatur thermische Energie im großen Stil gespeichert werden“, erklärt Dipl. Wirt.-Ing. Gerrit Sonnenrein, Geschäftsführer des Kompetenzzentrums für Nachhaltige Energietechnik (KET) an der Universität Paderborn. An dem stark interdisziplinär ausgerichteten Zentrum werden PCMs bereits seit einigen Jahren erforscht: „Sowohl hinsichtlich der Materialentwicklung als auch der konkreten Integration in die verschiedensten, fachübergreifenden Anwendungen“, ergänzt Sonnenrein.

„Das physikalische Prinzip von PCM als Energiespeicher kennt jeder aus dem Alltag: Der Eiswürfel im Getränk ändert seinen Aggregatzustand von fest zu flüssig, nimmt dabei Energie auf und hat dadurch eine kühlende Wirkung. Der Vorteil gegenüber dem bislang eingesetzten Trockeneis ist damit auch ersichtlich: Es tritt keine gasförmige Phase auf. Das Material kann also in klassischen Kühlakkus eingesetzt werden und ist durch die mehrfache Verwendung auch deutlich nachhaltiger.“

Verschiedene Simulationsvarianten für die optimale Speicherstruktur

Prof. Dr.-Ing. Eugeny Kenig, Vorstandsvorsitzender vom KET und Inhaber des Lehrstuhls für Fluidverfahrenstechnik berichtet: „Vergangenes Jahr ist ein Forschungsprojekt zur Integration von PCM in Hochleistungskältespeicher gestartet, in dem viele der theoretischen Grundlagen wie z. B. die mathematische Modellierung der Phasenübergänge bereits erarbeitet wurden. Dadurch konnten wir nun zügig entsprechende Simulationsmodelle auf Basis neuer Stoffdaten unseres Projektpartners Axiotherm implementieren, um die Leistungsfähigkeit der Niedertemperatur-PCM für die Kühlung des BioNTech-Impfstoffes zu prüfen.“

„Das ist nicht ganz trivial“, sagt Matti Grabo, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Fluidverfahrenstechnik. „Neben den Stoffwerten des zu verwendenden PCM müssen auch die sich während des Transportes des Impfstoffes fortlaufend ändernden Umgebungsbedingungen als Eingangsgrößen für die Simulationen bekannt sein. Da beim Transport im Flugzeug andere Bedingungen herrschen als beim LKW-Transport in Südamerika, müssen in der Regel mehrere Simulationsvarianten durchgespielt werden, um die optimale Speicherstruktur zu finden“, so Grabo weiter. Für die praktische Anwendbarkeit galt es vor allem auch, den optimalen Temperaturbereich des Phasenwechsels zu ermitteln. Einerseits muss die vom Impfstoff-Hersteller vorgegebene Maximaltemperatur von minus 60 °C eingehalten werden, auf der anderen Seite soll die für das Erstarren des PCM erforderliche Temperatur möglichst hoch sein. „Grundsätzlich gibt es natürlich Ultratiefkühlschränke bis minus 86°C, aber diese sind nicht überall zugänglich, schon gar nicht weltweit. Durch unsere Simulationsstudien konnten wir abschätzen, dass bei optimaler Isolierung ein Phasenwechsel im Bereich von minus 63 bis minus 62°C ausreichend ist, um den Impfstoff mehrere Tage lang gekühlt zu lagern“, ergänzt Sonnenrein.

Gut gerüstet für den zu erwartenden Ansturm fühlt sich Dirk Büttner, verantwortlicher Projektleiter bei der Axiotherm GmbH. „Auch dank der Ergebnisse der Uni Paderborn konnten wir unsere Partner – darunter natürlich auch die bekannten Hersteller der aktuell bereits eingesetzten Transportboxen – schnell überzeugen und haben bereits mit der Bemusterung begonnen. Und da wir unsere Produktionskapazitäten für die klassischen Temperaturbereiche von minus 20°C und plus 2 bis 8°C, wie sie z. B. für die Impfstoffe von Moderna und AstraZeneca benötigt werden, im vergangenen Jahr ohnehin ausgebaut haben, können wir nun auch hier schnell reagieren. Eine besondere Herausforderung war neben der Entwicklung des PCM vor allem auch die Entwicklung der Kühlakkus selbst, da es bei so tiefen Temperaturen zu einer Versprödung der üblicherweise eingesetzten Kunststoffe kommt.“

Foto (Tim Reckmann); CC-Lizenz; https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/
Foto (Axiotherm GmbH): Transportbox und Kühlakku für den Impfstoff.

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Prof. Dr.-Ing. Eugeny Kenig

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