Wis­senschaftler­*innen real­is­ier­en zum er­sten Mal Wan­ni­er-Stark-Lokalis­ier­ung in Poly­kristall

 |  ForschungComputational Optoelectronics and Photonics

Ergebnisse in Nature Communications veröffentlicht

Wissenschaftler*innen der Universität Paderborn, des Max-Planck-Instituts für Polymerforschung und der Universität Konstanz ist es gelungen, einen seltenen Quantenzustand, die sogenannte Wannier-Stark-Lokalisierung, erstmals in einem polykristallinen Material zu realisieren. Der Effekt wurde zwar schon vor rund 80 Jahren vorhergesagt, konnte aber erst vor Kurzem nachgewiesen werden – allerdings in einem Monokristall. Bis dato sind Forscher*innen davon ausgegangen, dass diese Lokalisierung nur in solchen sehr aufwändig herzustellenden einkristallinen Stoffen funktioniert. Die neuen Erkenntnisse sind ein Durchbruch auf dem Gebiet der Physik und könnten in Zukunft z. B. neue optische Modulatoren hervorbringen, die u. a. bei auf Licht basierenden Informationstechnologien zum Einsatz kommen. Ihre Ergebnisse haben die Physiker*innen jetzt in der renommierten Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.

Stärker und schneller als ein Blitz 

In Kristallen sind Atome in einem räumlichen Gitter angeordnet und werden durch chemische Bindungen zusammengehalten. Sehr starke elektrische Felder können diese Bindungen allerdings auflösen, die Atome verschieben und sogar so viel Energie in den Kristall einbringen, dass er zerstört wird. Das passiert beispielsweise, wenn ein Blitz einschlägt und Materialien schmelzen, verdampfen oder verbrennen. Zur Realisierung der Wannier-Stark-Lokalisierung haben die Wissenschaftler*innen in ihren Experimenten elektrische Felder von einigen Millionen Volt pro Zentimeter angelegt, die die Feldstärken in Blitzen damit noch deutlich übertreffen. Das elektrische System eines Festkörpers – in diesem Fall ein Polykristall – wird bei dem Vorgang kurzzeitig in ein extremes Ungleichgewicht gebracht: „Bei der Wannier-Stark-Lokalisierung werden einige der chemischen Bindungen quasi vorübergehend stillgelegt. Ohne das Material zu zerstören, lässt sich der Zustand aber nur für Zeiträume aufrechterhalten, die kürzer als eine Pikosekunde sind – also der millionste Teil des millionsten Teils einer Sekunde. Wenn das elektrische Feld im Inneren des Kristalls stark genug ist, werden die chemischen Bindungen in Richtung des Feldes ausgeschaltet, sodass der Kristall kurzzeitig einem System aus ungebunden Schichten entspricht – es herrscht Chaos. Das Phänomen geht einher mit drastischen Veränderungen der elektronischen Zustände und führt zu stark veränderten optischen Eigenschaften, insbesondere zu großen optischen Nichtlinearitäten“, erklärt Prof. Dr. Torsten Meier von der Universität Paderborn, der für die theoretische Analyse der Experimente zuständig war. Durch nichtlineare Effekte können z. B. neue Frequenzen erreicht werden, ohne die eine gezielte Manipulation von Licht, das etwa für die moderne Informationsübertragung genutzt wird, nicht möglich wäre.

Von mono- zu polykristallin

Vor drei Jahren wurde der Effekt zum ersten Mal unter Verwendung einer starken Terahertz-Strahlung in einer bestimmten Kristallausrichtung, also der präzisen Anordnung der atomaren Struktur, in einem Galliumarsenid-Einkristall nachgewiesen. „Diese präzise Anordnung war erforderlich, um die feldinduzierte Lokalisierung zu beobachten“, erklärt Meier, der die 2018 an der Universität Konstanz durchgeführten Experimente simuliert und beschrieben hat. Nun haben die Physiker*innen eine weitere Hürde genommen: „Wir wollten untersuchen, ob polykristallines Perowskit, ein Material, das häufig in Solarzellen und Leuchtdioden genutzt wird, auch als optischer Modulator eingesetzt werden kann", sagt Dr. Heejae Kim, Gruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Polymerforschung. Optische Modulatoren beeinflussen gezielt die Eigenschaften von Licht, um es für weitere Zwecke nutzbar zu machen und werden u. a. angewendet in der Nachrichtenübertragung, bei Flüssigkristallbildschirmen, Diodenlasern und der Materialbearbeitung. Bislang ist deren Herstellung allerdings nicht nur mit hohen Kosten verbunden, sondern beläuft sich fast ausschließlich auf den Bereich der Monokristalle. Polykristalle wie Perowskit könnten das ändern und künftig als preiswerte Modulatoren mit einem breiten Anwendungsfeld zum Einsatz kommen.

Simulationen belegen Annahme

„Trotz der willkürlichen Orientierung der einzelnen Kristallite, also der kleinen Bausteine im Polykristall, haben wir klare Ergebnisse beobachtet, die mit denen übereinstimmen, die charakteristisch für die Wannier-Stark-Lokalisierung sind“, so Kim weiter. Die in Paderborn durchgeführten Simulationen haben diese Annahme schließlich bestätigt. Meier erklärt: „Obwohl die Probe polykristallin ist, zeigt sich, dass die feldinduzierten Änderungen der optischen Eigenschaften von einer bestimmten Orientierung zwischen den Kristalliten und dem elektrischen Feld dominiert werden.“

Neben der ersten Realisierung der Wannier-Stark-Lokalisierung in einem polykristallinen Material ist vor allem auch eines bemerkenswert: Die Feldstärke, die zur Beobachtung des Effekts erforderlich ist, ist deutlich geringer als die in Galliumarsenid, dem Monokristall. „Das ist eine Folge der atomaren Struktur des Perowskit-Materials, das heißt des Zusammentreffens einer großen Gitterkonstante – quasi der Abstand zwischen den Atomen – und einer kleinen Bandbreite in einer bestimmten Kristallausrichtung“, so Kim. Für die Zukunft planen die Forscher*innen, diesen extremen Zustand der Materie auf atomarer Ebene genauer zu untersuchen, andere Materialien zu erforschen und weitere Anwendungen des Effekts zu prüfen.

Zum Nature-Artikel: https://doi.org/10.1038/s41467-021-26021-4

Nina Reckendorf, Stabsstelle Presse, Kommunikation und Marketing 

 

Symbolbild (Pixabay, Pixabay Lizenz, stux).

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