Familienkomödie
Jörn Steigerwald
Die Familienkomödie ist eine spezifisch höfische Form der Komödie, die von Molière im Rahmen der Versailler Divertissements konzipiert und zur Aufführung gebracht wird. Dadurch wird zum einen eine Pluralisierung des Modells der Hauskomödie durch Molière geleistet und zum anderen und wichtiger, eine Nobilitierung der Handlung. Im Mittelpunkt stehen entsprechend moralisch gute Personen von hohem Stand, deren Handlungen eher ‚unterhalten‘, im Sinne des ‚divertir‘, und weniger vergnügen, im Sinne des ‚plaire‘. Die Besonderheit dieser Komödienform besteht zudem darin, dass insbesondere die Familienväter, die zugleich Herrscher sind, einen dezidiert väterlichen Körper zugeordnet bekommen, so dass die tradierten zwei Körper des Königs (Kantorowicz) um einen dritten Körper ergänzt werden.
Über lange Zeit wurden die Komödien Molières, die wahlweise explizit für einen höfischen Kontext wie die Versailler Divertissements geschrieben wurden oder zumindest in einem höfischen Kontext verortet waren hintangestellt gegenüber den so genannten Charakterkomödien. Exemplarisch zeigen dies die vier Komödien Molières, die im Rahmen der Plaisirs de l’île enchantée 1664 aufgeführt wurden, von denen heutzutage nur noch der spätere Tartuffe, dessen erste Version in diesem Rahmen unter dem Titel L’Hypocrite präsentiert wurde bekannt ist. Demgegenüber ist die Komödie La Princesse d’Élide, die Molières Ruhm sicherte und seine Truppe zur Troupe du Roi aufsteigen ließ, heutzutage weitgehend unbekannt. Dadurch gerät jedoch eine konzeptionelle Differenzierung aus dem Blick, die entscheidend ist für das Verständnis dieser höfischen Komödien und die zudem Molières bewusste Pluralisierung der Komödienformen unterstreichen. Nimmt man diese in den Blick, dann wird zunächst einmal die weitergehende Nobilitierung der Komödie deutlich, insofern das hohe Personal dieser Komödien nicht nur einen hohen Stil pflegt, sondern auch als moralisch per se ‚gut‘ handelnde Figuren konzipiert sind, die weit jenseits dessen agieren, was dem Bereich des Obszönen zugerechnet werden kann, wodurch ein deutlicher Unterschied etwa zur École des femmes vorliegt.
Entscheidend ist hierbei eine Differenz, die Hauskomödie und Familienkomödie kategorial unterscheidbar macht: Der ständische Hausvater handelt dysfunktional in und für sein Haus, so dass er zur Bedrohung für dieses wird. Der adelige Familienvater ist hingegen, wie die Figur des Prince in der Princesse d’Élide, der Garant der familiären Ordnung und damit auch der genealogischen Fortführung der Herrschaft, während die eigenen Kinder erst noch die Ideale höfischen und herrschaftlichen Verhaltens erkennen und lernen müssen. Hierdurch führt Molière eine konzeptionelle Neuausrichtung ein, deren Folgen weit über die Familienkomödie hinausgehen. Denn die Präsentation des adeligen Herrschers als Familienvaters führt dazu, dass die tradierten zwei Körper des Herrschers (Kantorowicz) – der leibliche und der sakrale Körper –, um einen dritten Körper, den väterlichen Körper erweitert werden, was dadurch von besonderer Bedeutung ist, dass die Familienkomödien vorzugsweise am Hofe und im Rahmen von höfischen Divertissements uraufgeführt wurden – sie sind entsprechend als integraler Bestandteil höfischer Kulturpolitik zu verstehen. Molière problematisiert und ironisiert zugleich diesen dreifachen Körper des Familienvaters in der Komödie Amphitryon, insbesondere über die hoch problematische Vaterfigur Jupiters, er nobilitiert diesen indes nochmals in dem tragédie-ballet Psyché, insofern er Jupiter als Göttervater – im Gegensatz zum Amphitryon – im Finale zur ordnungsstiftenden Instanz wird, die sowohl den Konflikt zwischen Venus und Amour beilegt als auch die Liebenden zueinander führt, wodurch eigentlich menschliche Psyché vergöttlicht wird und im Götterhimmel aufgenommen wird.
Seinen bevorzugten Ort wird der väterliche Körper des Herrschers im Anschluss an Molière dann in der Tragödie finden, seinen Ursprung sowie seine konzeptionelle Begründung liegt indes in der Familienkomödie.
- Steigerwald, Jörn: "Les trois corps du roi Ou la comédie familiale de Molière: La Princesse d’Élide." In: Œuvres & Critiques XlVII, 2 (im Erscheinen).
- Steigerwald, Jörn: "Der König lädt ein oder: zivilisierte Kontakte im Premier Versailles (Les Plaisirs de l’île enchantée / La princesse d’Élide)." In: Lena Schönwälder, Christoph Groß (Hg.): Berührungsräume: (Kon-)Figurationen des Kontakts in den Literaturen der Frühen Neuzeit. Heidelberg (im Erscheinen).