Theaterkulturen im klassischen Zeitalter

Das europäische Theater der Frühmoderne entwickelt gleichermaßen in Konkurrenz zueinander stehende wie miteinander verbundene Schauplätze des Theaters, die eigene Modelle von Tragödie und Komödie sowie weiteren dramatischen Genres ausprägen. Je spezifische Theaterkulturen sind im Kontext je eigener Kulturpolitiken und in ihren Wechselwirkungen innerhalb gesamteuropäischer Kulturtopographien zu betrachten.

Das kulturkomparatistische Projekt „Theaterkulturen im klassischen Zeitalter“ ist aus dem Kontext des von Prof. Dr. Jörn Steigerwald geleiteten und DFG-geförderten Projekts „Die Geburt des modernen Theaters in der Frühen Neuzeit (Frankreich 1630-1730)“ heraus entwickelt worden. Alle Mitarbeitenden des Fachbereichs Komparatistik/Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft der Universität Paderborn mit einem Forschungsschwerpunkt im Bereich des Theaters haben zum Entstehen dieser Projektseiten beigetragen, auf denen wir Sie sehr herzlich begrüßen!

Wir präsentieren Ihnen auf diesen Seiten neben Hinweisen auf Veranstaltungen und Publikationen im Rahmen des Projekts ausführliche konzeptionelle Überlegungen zu den Begriffen der Theaterkulturen, der Kulturpolitiken und der Kulturtopographien sowie eine weiterhin wachsende Sammlung projektspezifischer Lemmata, die Sie von hier aus durchstöbern können:

Mit dem Stichwort Rahmenbedingungen des Theaters soll auf die historisch wandelbaren institutionellen und organisatorischen Rahmungen der Theaterpraxis und ihr Wechselverhältnis zu den dramatischen Genremodellen europäischer Theaterkulturen der Frühmoderne aufmerksam gemacht werden. Rahmenbedingungen fokussieren in diesem Kontext weniger die konkrete Umsetzung dramatischer Texte auf der Theaterbühne, sondern beziehen sich auf die Ordnungen des Theaters und die kulturpolitischen Einflussnahmen darauf. Jeder Schauplatz weist eine eigene Beschaffenheit seiner Rahmenbedingungen auf, die sich historisch nachvollziehen und systematisieren lassen.

Das Konzept des Theatertransfers geht von der schlichten Beobachtung aus, dass in der Frühmoderne dramatische Werke – Komödien, Opern oder Tragödien –, die an einem spezifischen Schauplatz uraufgeführt wurden, sich im Falle ihres Bühnenerfolgs relativ schnell in verschiedenen Kulturen verbreiteten. Der Theatertransfer denkt in diesem Zusammenhang zwar die zahlreichen Reisen von Theater- und Operngruppen mit, die ihre im Repertoire befindlichen Stücke an verschiedenen Schauplätzen inszenierten und hierbei gelegentlich die zugrunde liegenden Texte veränderten, fokussiert indes dominant die konzeptionelle Ebene der Transfers, die sich in den spezifischen Modellierungen der Dramen zeigt.

Das Konzept der Geschlechterpoetik geht von einem konstitutiven Zusammenhang von Gattung und Geschlecht (nicht nur) in der Tragödienpoetik seit der Antike aus, wie er bei Aristoteles in dessen Poetik über den ‚tüchtigen‘ Charakter und bei Horaz in dessen Ars poetica über den ‚angemessenen‘ Stil ausgebildet wird. Es fokussiert darauf aufbauend erstens die geschlechtsspezifischen Implikationen explizit poetologischer Reflexionen im Rahmen von Poetiken und/oder gattungstheoretisch ausgerichteten Texten. Darüber hinaus profiliert es zweitens eine von der Geschlechterperformanz der Figuren ausgehende (Meta-)Reflexion von Gattungskonstitutiva im literarischen Text, die in diesem Sinne ebenso als gattungstheoretische Auseinandersetzung und zuweilen als Motor gattungsgeschichtlicher Entwicklungen zu bezeichnen ist.

Die Begriffsbildung ‚zivile Tragödie‘ lehnt sich unverkennbar an Proßʼ Terminus des zivilen Klassizismus an, stellt jedoch zum einen dessen gattungsbezogene Spezifikation dar, zum anderen eine entscheidende methodologische Weiterentwicklung, die sich auch auf die gattungsgeschichtlichen Transformationen der bisher unterrepräsentierten Frühphase des 18. Jahrhunderts beziehen lässt. Der Begriff profiliert in diesem Sinne ein tragödiengeschichtliches Erkenntnisinteresse und erlaubt, die historischen Transformationen der klassizistischen Tragödie insbesondere – aber nicht ausschließlich – im deutschen Sprachraum nach 1700 von ihrem prägenden Ethos her zu denken.

Glaubt man dem Klischee, in dem ja auch immer ein Funken Wahrheit steckt, so muss es zwischen Frankreich und der Liebe eine besondere Verbindung geben: Paris ist die Stadt der Liebe und spätestens seit Marilyn Monroe wissen wir: „The French are glad to die for love“! Das Genre der Liebestragödie ist die theatergeschichtliche Entsprechung dieser Vorstellung; auch sie gilt gemeinhin als französische Erfindung.

Die Mehrzahl der Tragödien in der Frühmoderne weist das eigentümliche Charakteristikum auf, dass in ihnen die Figur der Mutter entweder keine Rolle spielt oder sie sogar gänzlich fehlt, obwohl sich die Handlungen in einem dezidiert familiären Rahmen vollziehen. Der Fokus auf die Staats- und Heldenaktionen in den Trauerspielen befördert wahlweise die Konzentration der Handlung auf die männlichen Herrscher oder nimmt Fragen der Herrschaftsgenealogie in den Blick, so dass der Herrscher und der resp. die meist männliche(n) Nachfolger im Zentrum stehen. In den Müttertragödien wird zum einen komplementär dazu nach dem Verhältnis von Geschlecht, Macht und Politik gefragt und zum anderen nach der Bedeutung und Funktion der Mutter für die Aufrechterhaltung der Herrschergenealogie, gerade in den Fällen, in denen der männliche Herrscher abwesend ist.

Das Modell der Hauskomödie geht von der schlichten Beobachtung aus, dass die neuzeitliche Komödie in Italien und Frankreich seit ihrer Entstehung an das Konzept des ‚ganzen Hauses‘ gebunden ist. In den Hauskomödien werden zum einen die vermeintlichen und/oder realen Ansprüche der dezidiert männlichen Hausordnung kritisch reflektiert und zum andern die Positionen der einzelnen Mitglieder des ganzen Hauses – Hausvater, Hausmutter, Söhne, Töchter und Gesinde – zueinander, aber auch in Bezug auf andere Häuser und deren Hausordnungen problematisiert. Dabei wird das ganze Haus stets als Bestandteil eines übergeordneten sozialen Gemeinwesens angesehen, so dass die Inszenierung häuslicher Unordnung zugleich Rückschlüsse erlaubt auf den Zustand der jeweiligen Gesellschaft.

Die Familienkomödie ist eine spezifisch höfische Form der Komödie, die von Molière im Rahmen der Versailler Divertissements konzipiert und zur Aufführung gebracht wird. Dadurch wird zum einen eine Pluralisierung des Modells der Hauskomödie durch Molière geleistet und zum anderen und wichtiger, eine Nobilitierung der Handlung. Im Mittelpunkt stehen entsprechend moralisch gute Personen von hohem Stand, deren Handlungen eher ‚unterhalten‘, im Sinne des ‚divertir‘, und weniger vergnügen, im Sinne des ‚plaire‘. Die Besonderheit dieser Komödienform besteht zudem darin, dass insbesondere die Familienväter, die zugleich Herrscher sind, einen dezidiert väterlichen Körper zugeordnet bekommen, so dass die tradierten zwei Körper des Königs (Kantorowicz) um einen dritten Körper ergänzt werden.

 

 

 

Das Modell der superpositio

Die Vermittlung von Neuem ist in der Dramentheorie und in der dramatischen Praxis der Frühmoderne nicht ex nihilo denkbar, sondern (gattungs-)genealogisch eingebunden: Sie ist Ergebnis einer Nachahmung autoritativ begriffener Vorbilder – einer imitatio veterum bzw. imitatio auctorum –, die auf produktiven Wettstreit, Agon und aemulatio ausgerichtet ist. ‚Modernität‘ ist dementsprechend in der Frühmoderne nicht ohne ‚Anciennität‘ möglich: Die frühneuzeitliche Dramenproduktion ist auf die antiken Autoritäten angewiesen, um das eigentlich Neue bzw. die eigene historische Unverwechselbarkeit profilieren zu können.

 

 

Per Klick auf die Veranstaltungstitel können Sie sich die Plakate und Programme der jeweiligen Veranstaltung anzeigen lassen.

Weitere Informationen finden Sie auch auf der allgemeinen Veranstaltungsseite der Paderborner Komparatistik.

Wintersemester 2022/2023:

  • Schlieper, Hendrik: Iphigenie. Mythos und Geschlecht
  • Steigerwald, Jörn: Tyrannen. Eine tragische Erfolgsgeschichte


Sommersemester 2022:

  • 7.06.-10.06.2022: Puscher, Sahra: Johann Elias Schlegel im europäischen Kontext: Deutsch-dänische Kultur- und Literaturbeziehungen im 18. Jahrhundert (Exkursionsseminar nach Kopenhagen)
  • Schlieper, Hendrik: Racines Tragödien: Gattung und Geschlecht
  • Steigerwald, Jörn: Amphitryon: Plautus, Molière, Kleist
  • Steigerwald, Jörn: Barocke Festkultur (Exkursionsseminar nach Würzburg)
  • Süwolto, Leonie: Held*innenerzählungen – Transformationen des Heroismus in der Literatur von der Antike bis in die Gegenwart
     

Wintersemester 2021/2022:

  • Schlieper, Hendrik: Phädra-Variationen: Euripides – Racine – Kane
  • Süwolto, Leonie: Geschlechterpoetik(en). 1800 – 1900 – Gegenwart

Sommersemester 2021:

  • Debisow, Adelina: Va banque! Das Spieler-Motiv in Erzählliteratur und Drama um 1800
  • Puscher, Sahra: "Wenn ich nur Mutter wär, nicht Trojens Königinn": Verhandlungen von Geschlecht – Macht – Politik nach Troja
  • Schlieper, Hendrik: Don Juan, Dom Juan, Don Giovanni: Variationen eines Mythos

 

Wintersemester 2020/2021:

  • Debisow, Adelina: Seriöse Heiterkeit – Formen der ernsten Komödie im Zeitalter der Aufklärung
  • Puscher, Sahra: Der Dido-Mythos in Literatur und Film
  • Schlieper, Hendrik: Aufklärung und Alterität: Montesquieus Lettres Persanes (Persische Briefe)
  • Schürhörster, Katrin: Von Aulis nach Tauris – Transformationen der Iphigenie bei Racine und Goethe
  • Steigerwald, Jörn: Mütter-Tragödien in der Frühen Neuzeit (Corneille, Lohenstein, Maffei)
     

Sommersemester 2020:

  • Debisow, Adelina: Harlekin auf den europäischen Bühnen des 18. Jahrhunderts
  • Puscher, Sahra: Geschlecht – Macht – Politik: Von Königinnen im Drama der Frühen Neuzeit zu Hollywoods Machthaberinnen
  • Schlieper, Hendrik: Das Theater des Orientalismus (Shakespeare, Racine, Schiller)


Wintersemester 2019/2020:

  • Steigerwald, Jörn: Aktuelle Forschungen zum europäischen Theater der Frühen Neuzeit

     

Sommersemester 2019:

  • Schlieper, Hendrik: Ehre, Gattung und Geschlecht im Theater der Frühen Neuzeit (Shakespeare, Calderón, Lessing)
  • Steigerwald, Jörn: Die Entstehungen der modernen Tragödie in der Frühen Neuzeit: Tasso, Shakespeare, Corneille
     

Wintersemester 2018/2019:

  • Schlieper, Hendrik: Liebestragödien der Frühen Neuzeit (Shakespeare, Corneille, Lohenstein)
  • Süwolto, Leonie: Mythische Frauenfiguren im Drama des 18. Jahrhunderts

 

Sommersemester 2018:

  • Süwolto, Leonie: Medusen und Medeen: Der Mythos in Literatur und Theater der Aufklärung

 

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  • 10.05.2022: Süwolto, Leonie: Vorlesung an der Universität Paderborn im Rahmen der Ringvorlesung „Literatur- und Kulturtheorie“ zum Thema „Geschlechterpoetik – Zur gattungspoetologischen Relevanz der Kategorie ‚Geschlecht‘ in Antike, Aufklärung und Gegenwart“
  • 25.06.2019: Süwolto, Leonie: Gastvortrag an der Eberhard Karls-Universität Tübingen zum Thema „Von Arsene zu Emilia: Transformationen des zivilen Klassizismus oder Gattung und Geschlecht bei Deschamps, Gottsched und Lessing“
  • 08.05.2018: Schlieper, Hendrik: Vortrag an der Universität Paderborn zum Thema „Genealogien der Liebestragödie: Zu Racines Phèdre (1677)"

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Weitere Informationen finden Sie auch auf der allgemeinen Publikationsseite der Paderborner Komparatistik.

Projektgruppe

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