Dissertationsprojekt von Anna Maria Spener: »Berlin als Jewish Space: Desintegrative Neukonfigurationen der deutschen Hauptstadt in der jüdischen Gegenwartsliteratur«. Betreuung: Prof. Dr. Claudia Öhlschläger (Paderborn), Prof. Dr. Andree Michaelis-König (Antwerpen)

Vor allem während der Weimarer Republik galt Berlin als von jüdischem Leben geprägte Stadt. Seit der deutschen Wiedervereinigung erhält der Stadttopos Berlins als jüdischer Stadt bedingt durch Verschiebungen im erinnerungskulturellen Diskurs (der Soziologe Y. Michal Bodemann spricht hier vom »Gedächtnistheater«, der Publizist und Schriftsteller Max Czollek im Anschluss daran vom »Versöhnungstheater«) wieder Aktualität. Demografisch vergrößerte sich die Berliner jüdische Gemeinde seit den 1990er Jahren durch die Immigration postsowjetisch-jüdischer sog. Kontingentflüchtlinge, seit den 2010er Jahren durch den Zuzug jüdischer Israeli*nnen. In den Medien ist immer wieder die Rede von einer jüdischen, mittlerweile auch von einer israelischen Renaissance in Berlin.

Auf diese erinnerungskulturellen Verschiebungen und die daraus erwachsenen Kommodifizierungen des Berliner Stadtraums reagiert eine Ausprägungsform der jüdischen Gegenwartsliteratur, die in der Untersuchung als desintegrativ kategorisiert wird. In den Texten Dana Vowinckels, Mirna Funks, Deborah Feldmans, Tomer Gardis, Mati Shemoelofs und Sivan Ben Yishais – die als paradigmatische Auswahl aus einem (auch medial) sehr viel umfangreicheren Fundus im Dissertationsprojekt untersucht werden – finden sich diskursiv, narrativ, inhaltlich und sprachlich höchst unterschiedliche Auseinandersetzungen mit der seit einigen Jahren wieder virulenten Imagination Berlins als einer jüdischen Stadt.

Das im Bereich der Jewish Literary und Cultural Studies disziplinär verortete Dissertationsprojekt fragt mittels eines raumtheoretisch informierten kulturpoetischen Ansatzes, wie in der jüdischen Gegenwartsliteratur Berlin als Jewish Space erschrieben wird. Berlin als Jewish Space bezeichnet die literarische Erschreibung von Gegenräumlichkeit dem dominanten erinnerungskulturellen Diskurs gegenüber, insbesondere hinsichtlich der im Bild des jüdischen Berlins räumlich konkretisierten Macht- und Repräsentationsverhältnisse. In diesen Neukonfigurationen des Stadtraums lässt sich das widerständige, gegendiskursive, d.h. desintegrative Potenzial der Berlin-Bilder des Untersuchungskorpus bestimmen.