Die Organisation eines urbanen Wassermanagements entwickelte sich in Europas Städten über Jahrhunderte aus dem Wechselspiel zwischen Kultur- und Naturkräften, dem „Wasserregime“. So bedingten bspw. Überschwemmungen den Ausbau von Deichen oder Schutzmauern. Aus umwelthistorischer und humanökologischer Perspektive betrachtet schrieb das Umweltmedium Wasser Geschichte, indem es in jeder Stadt „Hydraulische Gesellschaften“ unterschiedlichen Zuschnitts schuf, deren Strukturen und Veränderungen das Naturelement ausformte. In welchem Umfang „Wasserregime“ die „Hydraulischen Gesellschaften“ gestalteten, wurde auf der Tagung interdisziplinär und multiperspektivisch diskutiert. Die von gut 40 Teilnehmern*innen besuchte Fachkonferenz fand im Heinz Nixdorf MuseumsForum (HNF) statt, das als Kooperationspartner der Universität die Räumlichkeiten zur Verfügung stellte. Die Konferenz wurde federführend vom Arbeitsbereich Zeitgeschichte des Historischen Instituts der Universität Paderborn ausgerichtet.
Nach der Begrüßung durch den Geschäftsführer des HNFs Dr. Jochen Viehoff sprach der stellvertretende Bürgermeisters Martin Pantke ein Grußwort der Stadt. Im Anschluss richteten die Veranstalter Prof. Dr. Peter Fäßler und Prof. Dr. Michael Ströhmer (beide Universität Paderborn) Grußworte an die Referenten und Zuhörer, denen Ströhmer eine kurze fachliche Einführung folgen ließ. So stellte er u.a. den populären Begriff „Wassermanagement“ zur Diskussion, da dieser zu einseitig die Beherrschbarkeit des Wassers suggeriere.
Die 1. Sektion „Wasserregime in der Stadt“ eröffneten Prof. Dr. Matthias Hardt und Niels Lohse B.A. (GWZO/Universität Leipzig) mit einem Beitrag zur Organisation des gut 800jährigen „Wassermanagements“ der Stadt Leipzig in Langzeitperspektive (1000-1800). Die interdisziplinären Ausführungen beider Referenten gaben dabei Einblicke in ein junges DFG-Projekt, das sich der Erforschung der urban-fluvialen Symbiose unter dem Titel “On the Way to the Fluvial Anthroposphere" widmet. Danach referierte Marius Mutz M.A. (Universtiät Augsburg) über das „Wassermanagement“ in der frühneuzeitlichen Residenzstadt Dresden im 16. Jahrhundert. Er stellte u.a. heraus, dass frühneuzeitliche Festungsbauten auch eine Verteidigung gegen meteorologische Extremereignisse wie Hochwasser darstellten. Diese Sektion abschließend thematisierte Dr. Thomas Grunewald (Halle a. d. Saale) das Wasserversorgungssystem der Schulstadt der Franckeschen Stiftungen in der Frühen Neuzeit. Grunewald beleuchtete u.a. die zentrale Rolle des Hallenser Wasserrohrmeisters Gottfried Rost bei der Etablierung eines von der Stadtwasserkunst autonomen Stollen- und Röhrensystems. Ebenso thematisierte Grunewald in einem mentalitätsgeschichtlichen Perspektivwechsel die religiöse Deutung von Wassererschließungen in der Frühen Neuzeit.
Die 2. Sektion „Wasserregime in Stadt und Land“ moderierte Friederike Horgan M.A. (Universität Paderborn). Diese Sektion begann mit einem Vortrag von Dr. des. Christopher Folkens (Universität Münster) zur Stadtgemeinde Emden und ihrem Meereszugang zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert. So konnte er bei seinem Blick in den Nordwesten des Alten Reiches zeigen, dass Siele und andere Wasserbauten als politische Instrumente in Herrschaftskonflikten genutzt wurden. Diese Sektion abschließend referierte Dr. des. Iris Nießen (Universität Leipzig) über die mittelalterliche Vorstadtentwicklung in der Aue. Der Fokus lag auf archäologischen Ausgrabungen zu den oberdeutschen Reichs- und Donaustädten Regensburg und Ulm.
Die 3. Sektion „Wasserregime in Stadtlandschaften“ wurde von Prof. Dr. Peter Fäßler moderiert. Am Anfang dieser Sektion thematisierte Dr. Evelien Timpener (Universität Gießen) urbane Wasser- und Flussregulierungen in kleineren mitteldeutschen Städten vom 14. bis zum 16. Jahrhundert. Hierbei setzte sich die Referentin auch kritisch mit der „Wittfogel-These“ und der Relevanz „Hydraulischer Gesellschaften“ im vormodernen Mitteleuropa auseinander. Im Anschluss referierte Christina Lüke B.Ed. (Universität Paderborn) in einem internationalen Städtevergleich über die Hydroelektrizität in Paderborn und Katalonien zwischen 1880 und 1900. Es wurde u.a. untersucht, welche Personen oder Institutionen die Elektrifizierung jeweils anstießen und welche Rolle hydroelektrische Stromerzeugung in diesem Prozess spielte. Danach gaben Jun.-Prof. Dr. Eva-Maria Roelevink (Universität Mainz) und Dr. Lutz Budraß (Universität Bochum) Einblicke in die Konstituierung des Abwasserregimes im Ruhrgebiet zum Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts. In beiden Referaten wurde u.a. die umwelthistorische Rolle der Emscher Genossenschaft beleuchtet, deren Genese sich zwischen zentralstaatlicher Einflussnahme durch das Königreich Preußen einerseits und dem Streben nach kommunaler Autonomie andererseits entwickelte. Die Sektion abschließend gab Benedikt Heitmar B.A. (Universität Paderborn) Einblicke in die Digitalisierungsprojekte, die im Zuge der Bewerbung der Pader um das Europäische Kulturerbe-Siegel (Bewerbungsmotto: „Stadt. Mensch. Fluss. Die Pader für Europa“) erarbeitet werden. Am Beispiel der digitalen 3D-Rekonstruktion der historischen Bausubstanz im Paderquellgebiet, die via Augmented Reality und Virtual Reality atmosphärisch erlebbar wurde, wurde eine KI-gestützte Anwendung der Wissensvermittlung präsentiert, die die Vision eines Digitalen Kulturerbes 3.0 an der Pader praktisch veranschaulichte.
Die Tagung klang mit einem gut einstündigen Spaziergang in der Altstadt zu den Quellen der Pader unter Leitung von Prof. Dr. Michael Ströhmer und Prof. Dr. Peter Fäßler aus.
Aufgrund des positiven Zuspruchs ist geplant, die Beiträge der Tagung in einem Sammelband zu veröffentlichen. Auch denken die beiden Veranstalter über eine Fortsetzung der erfolgreichen Tagung in ca. zwei Jahren nach.