Projekte der Mitarbeiter:innen
Die Liturgischen Bewegung wird in der Forschung überwiegend in der Liturgiewissenschaft verortet. Sie behandelt vor allem die liturgischen Inhalte der Bewegung und die Traditionsbehauptung in Hinblick auf das 2. Vaticanum. Geschichtswissenschaftliche Arbeiten zur Liturgischen Bewegung gibt es seit den 2000er-Jahren vor allem durch die Verbindungslinien zum Nationalsozialismus, die sich in den Abteien Maria Laach und Grüssau ergaben. Darauf aufbauend diagnostizierten ihr einzelne Beiträge in der Forschung einen ambivalenten, teils auch politischen, demokratie-abgewandten Charakter. Die Dissertation Politik der Unpolitischen. Zur katholischen Liturgischen Bewegung in der Weimarer Republik knüpft an die Forschungen zur Liturgischen Bewegung an, erweitert diese jedoch, indem sie einen historisierenden Blick auf diese wirft. Dabei steht die Untersuchung ausgewählter Programmschriften und exemplarischer Briefkorrespondenzen sowie ihre Deutung im historischen Kontext der Jahre 1918-1933 inhaltlich und methodisch im Fokus. Die Fragestellung bezieht sich auf das selbst als unpolitisch bezeichnete Programm von vier Akteuren der Liturgischen Bewegung in der Weimarer Republik, sodass erstens eine Geschichte „von oben“ fortgeschrieben und diese zweitens einen Beitrag zum (Selbst-)Verständnis der LB leistet, wodurch ihre Verwobenheit in historische Prozesse verdeutlicht wird. Ziel der Studie ist es, den Blick über die Tradition, also die explizite Absicht, welche die Autoren mit ihren Texten verfolgten, zu weiten und auf die impliziten Inhalte der Quellen zu schauen. Aus diesem methodischen Zugriff auf die Quellen ergaben sich folgende kurz zusammengefasste Analyseergebnisse: 1. Die Liturgische Bewegung wollte die Gesellschaft nachhaltig prägen. Dies wird durch die Beobachtungen zu den Inhalten der Quellentexte deutlich, mit welchen die Akteure an verschiedenen zeitgenössischen Diskursen partizipierten: a) Mittelalterüberhöhung und die damit verbundene Romantikrezeption: Die Protagonisten wollten grundsätzlich nicht zurück ins Mittelalter, sondern legitimierten mit dem Positiv-Beispiel des Mittelalters und dem gegensätzlichen Negativ-Beispiel der Gegenwart ihr politisches Programm. Das Mittelalter sollte in die Gegenwart übersetzt werden, sodass die Bewegung anschlussfähig bleiben konnte. Im Zusammenhang mit der Romantikströmung des 19. Jahrhunderts, leiteten sie aus der Mittelalterüberhöhung Zukunftsutopien ab. Diese beinhalteten b) klare Vorstellungen vom Staat und vom Volk: In der Weimarer Republik bildete sich der Begriff der „Masse“ als ein „organisierender Bedeutungsträger“ für das deutsche Volk heraus. Vertreter der Liturgischen Bewegung und generell des Katholizismus lehnten diesen Begriff ab und interpretierten den Volksbegriff neu. Der Vorwurf „Masse“ sei keine qualitativ gegliederte Einheit sollte im Volksbegriff der liturgischbewegten Protagonisten überwunden werden. Das zeigt sich auch in der religiösen Deutung des Volkes: Das Volk hatte den liturgisch bewegten Akteuren zufolge ein „gottgegebenes Wesen“, welches wiederentdeckt werden sollte. In Abhebung der individualistischen Masse lag der qualitative Unterschied nun in dem Gemeinschaftsaspekt, der im Volksverständnis der Vertreter der Liturgischen Bewegung betont wurde. c) Gemeinschaft war dabei auch der Inbegriff der Liturgie, war sie doch der Ort, an dem gelebt und erfahren werden konnte, was Gemeinschaft bedeutet. Im Diskurs der Weimarer Republik stand sie im Gegensatz zur Gesellschaft. Dabei war das Ideal einer gelingenden Gemeinschaft die Kirche. Sie verkörperte das organisch gedachte Kollektiv, welches auf die Gesellschaft übertragen werden sollte. Eine Verlängerung dieses Begriffs in die politische Ebene zeigte sich im zusammengefügten Ausdruck: Volksgemeinschaft. Dieser moderne Begriff wurde von den Akteuren meiner Arbeit, insbesondere von Guardini verwendet, um nicht zuletzt die Politik christlich zu deuten. d) Um nun solch einen Organismus, der sich von der Masse abhob und dem Volk den gemeinschaftlichen Geist gab, zu bilden, brauchte es den Einzelnen, das Individuum, um es in zeitgenössischer Sprache zu sagen: den Neuen Menschen. Dieser Neue Mensch sollte anlehnend an das Volks- und Gemeinschaftsideal vor allem als in einer „Ganzheit“ aufgehend verstanden werden. Durch pädagogische, liturgische und politische Programme sollte dieser Neue Mensch in der Jugendbewegung geformt und zum Handeln animiert werden. Der Neue Mensch war das Hoffnungsideal und der Ausgangspunkt für weitreichende Veränderungen in Politik und Gesellschaft. Weitere zeitgenössische gesellschaftliche und politische Debatten, die in der Arbeit aufgezeigt werden, sind der Verfassungsstreit oder die Krise des Staatsbegriffs, der Neuadelsdiskurs und die damit verbundene Angst vor Autoritätsverlust auf Seiten des Klerus. Festzuhalten bleibt: Die Liturgische Bewegung nahm an gesellschaftlichen Auseinandersetzungen aktiv teil. Die Akteure meiner Forschungsarbeit partizipierten und handelten durch ihre Texte an und in den Diskursen. Auffällig ist dabei die bereits erwähnte Selbstbezeichnung als „unpolitisch“, womit das titelgebende Ergebnis des Forschungsprojekts Politik der Unpolitischen erläutert werden muss: Die Trennung von Kirche und Staat, die in der Weimarer Reichsverfassung bekräftigt wurde, verbannte die Kirche und damit auch ihre Geistlichen in den Bereich des „Unpolitischen“. Die Kirche sollte unpolitisch sein und sie war es scheinbar auch, wie die Akteure der Liturgischen Bewegung zu zeigen versuchen. Dabei bot diese gekappte Verbindung zwischen Politik und Kirche, den Akteuren liturgisch bewegter Strömungen die Möglichkeit, sich politisch zu äußern und zu handeln, ohne dass sie ins offizielle politische Fahrwasser kamen. Da die Kirche und ihre Vertreter keine politischen Aussagen zu treffen hatten, war es eine logische aber auch taktisch kluge Schlussfolgerung der Liturgischen Bewegung, sich diesem Ausdruck eines modernen Staates anzuschließen. Denn damit konnten sich die Protagonisten problemlos zu politischen Angelegenheiten äußern, den Schein des Unpolitischen gleichzeitig wahren. Generell kann zwischen zwei Formen des Unpolitisch-Seins unterschieden werden: Einerseits entzogen sich die Akteure durch die suggerierte politische Gleichgültigkeit jeglicher Verantwortung für die politische Zukunft der Weimarer Republik. Damit verbunden war eine fehlende Solidarität zu den schwächer werdenden demokratischen Kräften der Zeit bis 1933, aber auch die wichtige Distanzierung zu den rechten Mächten. Andererseits brachte den Akteuren der Liturgischen Bewegung die Abschiebung in den Bereich des Unpolitischen erstens eine Unangreifbarkeit durch politische Akteure, die zweitens dazu führte, dass sie sich eben doch und gerade wegen ihrer Distanz zu Politik äußern konnten. So schreibt Guardini selbst von dem Vorteil nicht den „üblichen Worten, Sichten und Wertungen“ der politischen Tätigkeit verfallen zu sein und legitimierte damit seine Überlegungen zur Rettung des Politischen. Wenn nun Politik verstanden wird als ein Ringen um die Durchsetzung der eigenen Interessen, zeigt der Blick in die Programmschriften der Liturgischen Bewegung, dass sie politisch war. Dabei war die Tatsache, dass sie aufgrund moderner Entwicklungen als unpolitisch galt, gerade die von ihnen selbst übernommene Legitimation für ihre Politik der Unpolitischen.
Konflikte um religiöse Deutungshoheit wurden im 16. und 17. Jahrhundert zunehmend als eigentliche Ursachen eskalierender Gewalt identifiziert. Fragen der Konfession von anderen Lebensbereichen, allen voran dem Feld der nun als eigenständig begriffenen „Politik“, zu trennen, sollte deshalb den gesellschaftlichen Frieden wiederherstellen und sichern. Geistliche Herrschaft dagegen legitimierte eigentlich erst die konfessionelle Durchdringung, also ihre sichtbare Katholizität. Folglich mussten einerseits diese religiösen Selbstdeutungen in die neuen Diskurse reintegriert oder auch „übersetzt“ werden, andererseits die politische Praxis neu definiert und konfessionell aufgewertet werden, um geistliche Herrschaft ‚an sich‘ zu stabilisieren.
Ob und wie das gelang, soll hier anhand der Geschichtsschreibung – als Verständigungspraxis über Identität und Gemeinschaft und somit integraler Teil „politischer Kommunikation“ – untersucht werden. Im Fokus stehen die historiographischen Projekte Fürstbischof Ferdinands von Fürstenberg (1626–1683), die unter dem persönlichen wie institutionellen Eindruck von Dreißigjährigem Krieg und Westfälischem Frieden entstanden, aber weit darüber hinaus wirkten. Dabei finden theoretisch-methodische Einflüsse und praktische Beiträge des Rhetoriklehrers und Kontroverstheologen Jacob Masen SJ (1606–1681), namentlich seine bislang kaum näher beleuchtete Mitarbeit an den „Annales Paderbornenses“, besondere Beachtung.
Eigene Publikationen zum Thema:
- Mehr Barock wagen. Neuordnungen des Fürstbistums Paderborn aus dem Dreißigjährigen Krieg. In: Christoph Stiegemann (Hg.): Peter Paul Rubens und der Barock im Norden. Kat. Diözesanmuseum Paderborn. Petersberg 2020, S. 136–147.
- Seelsorge der Geschichte? Konfessionelle Geschichtspolitik im 17. Jahrhundert am Beispiel der Monumenta Paderbornensia Ferdinands von Fürstenberg. In: Stefan Kopp, Tilman G. Moritz und Nicole Priesching (Hgg.): Katholische Konfessionalisierung in Paderborn? Religiöse Prozesse in der Frühen Neuzeit. Münster 2021, S. 177–198.
- Das Commentariolum Ferdinands von Fürstenberg – eine lateinisch-deutsche Synopse. In: Kopp/Moritz/Priesching 2021, S. 199–239 (Kommentar, Edition, Übersetzung).
Untersucht wird die Einführung und Etablierung unfreier Ruderer auf venezianischen Galeeren im 16. Jahrhundert. Im Mittelpunkt steht dabei Cristoforo Da Canal, Admiral und Militärtheoretiker, dessen Schriften und politisches Wirken maßgeblich dazu beitrugen, dass die vormals auf freie Ruderer setzende Seerepublik Venedig Zwangsarbeit in ihrer Kriegsflotte akzeptierte. Besonders aufschlussreich ist Da Canals geschickte Verknüpfung humanistischer und christlicher Argumentationsmuster, um die Einführung einer als „Sklaverei“ wahrgenommenen Praxis zu legitimieren.
Die Arbeit analysiert dazu neben Da Canals Milizia Marittima auch die Beschlüsse des venezianischen Senats, anhand derer sich die Debattenführung sowie die zunehmende Verrechtlichung und Institutionalisierung der Rudererzwangsarbeit nachzeichnen lassen. Dabei geht es sowohl um militärische und ökonomische Aspekte als auch um Fragen frühneuzeitlicher Staatsbildung. Erstmals wird detailliert dargestellt, wie sich das Zusammenwirken von humanistisch-christlicher Rhetorik, gesetzgeberischen Maßnahmen und den konkreten Erfordernissen einer bedrängten Seemacht zu einem grundlegenden Paradigmenwechsel im venezianischen Ruderwesen verdichtete.
Im Verlauf der Untersuchung soll so ein umfassender Blick auf die komplexen Strukturen frühneuzeitlicher Herrschaftsausübung gewonnen werden, der zeigt, inwieweit die Verwaltung und Instrumentalisierung von Unfreiheit ein fester Bestandteil venezianischer Staatsräson wurde. Dabei liegen zentrale Fragen darin, welche Rolle Wissen, Bürokratie und Gesetzgebung in diesem Prozess spielten und wie sich durch die Verwaltung von Zwangsarbeit neue, teils widersprüchliche Legitimationsstrategien für den venezianischen Staat formierten.