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Internationale Konferenz "Food – Media – Senses"

1.-2. Juli 2021, online

 

Tagungsprogramm

Tagungsprogramm (Druckversion)

 

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Dass Essen mit Sinnlichkeit zu tun hat, ist ein Gemeinplatz. Interessanter wird das Verhältnis von Essen und Sinnen, wenn man berücksichtigt, dass bei Essen – verstanden als eine kulturelle Praxis, die Zubereiten, Präsentieren und Verzehr von Nahrung umfasst – alle fünf Sinne zugleich involviert werden können. Nicht nur in der Kochkunst der letzten Jahrzehnte – etwa in der molekularen Küche –, sondern gerade auch in der industriellen Produktion von fertigen Nahrungsmitteln, lassen sich Tendenzen finden, Erfahrungen aller fünf Sinne in Beziehung zueinander zu setzen.

Dass es bislang noch relativ wenig Forschung zum Zusammenspiel der Sinne beim Essen gibt, dürfte unter anderem damit zu tun haben, dass sinnliche Erfahrung traditionell vor allem dann kulturell geschätzt wurde, wenn sie Ausgangspunkt für eine Überschreitung hin zum Sinn war. Mit dieser Hierarchisierung dürfte zusammenhängen, dass gerade für die beim Essen zentralen Sinne Schmecken und Riechen nur wenig differenzierte sprachliche Werkzeuge zur Verfügung stehen. Eine kulturwissenschaftliche Expertise, die derjenigen gewachsen ist, die sich in der Praxis des Designs von convenience food oder – impliziter – auch in der haute cuisine ausdrückt, gibt es bislang nicht. Selbst die boomenden food studies befassen sich nur vereinzelt mit der sinnlich erfahrbaren aisthesis von Gerichten und ziehen sich meist auf eine kulturwissenschaftliche Perspektive zurück, die vor allem die sozio-kulturellen Funktionen von Essen beschreibt.

Die Tagung will eine solche kulturwissenschaftliche Herangehensweise bereichern, indem sie Kochen als sinnliche Gestaltung und Gerichte als Gestaltungsmittel sinnlicher Erfahrung fasst und in diesem Zuge versucht, Untersuchungswerkzeuge, die der Sinnlichkeit von Essen Rechnung zu tragen vermögen, vorzustellen, herzustellen und zu diskutieren. Zunächst soll es darum gehen, Weisen der Beschreibung für die einzelnen im Essen angesprochenen Sinne zu entwickeln, sowie Arten ihres Zusammenwirkens zu konzeptualisieren. Als Gestaltungsmittel sinnlicher Erfahrung sind die zubereiteten Gerichte selbst als Medien zu betrachten; handelt es sich doch um kulturell stark formierte Wahrnehmungsangebote, die in besonderer Weise Sinn und Sinnlichkeit gemeinsam adressieren. Darüber hinaus wird in der Hochküche mit Texturen, Gerüchen und Geschmack gearbeitet, um diesen Botschaften abzugewinnen. Der Fokus auf die Sinne gekoppelt mit der Heuristik des Medienbegriffs soll eine neue Perspektive auf Gerichte ermöglichen.

Die Beteiligung der Medien am Essen ist aber noch auf weiteren Ebenen differenzierbar: Mit einem offenen, beispielsweise an den ethnographischen Orientierungen der Akteur-Netzwerk-Theorie gewonnenen Medienkonzept lässt sich die konstitutive Beteiligung von Speisekarte, Besteck, Geschirr und Essraum in die Betrachtung einbeziehen, ohne diese als „Kontext“ sekundär zu setzen. Auch die bildende Kunst kennt seit der Moderne interaktive Settings (Happenings), die diese Dimension sinnlich reflektieren, indem sie das Essen zum Ausgangspunkt eines zum Gesamtkunstwerk gestalteten Ereignisses werden lassen. Schließlich spielen Medien sekundär eine Rolle, wenn sie Essen im Vorlauf oder Nachgang kommunizier- und darstellbar machen. In dieser Hinsicht würde es darum gehen, welche Sprache, Struktur und Bildlichkeit z.B. Kochrezepten eignet, wie Film und Fernsehen die sinnlichen Erfahrungen des Essens evozieren, wie das Oeuvre von Köchen in Fotobüchern wiedergegeben wird. Komplementär gilt es zu fragen, wie sich ein ganzes Medienensemble um Essen und dessen Wahrnehmung ausrichtet.

Der Vorschlag der Tagung besteht darin, die diversen Aspekte des Essens als gestaltete Sinneswahrnehmungen zu betrachten, um der materialen und medialen Spezifik des Essens als kulturelle Praxis gerecht zu werden. Insofern ist es ein Anliegen der Tagung, sich gerade auch den aktuell viel gestellten Fragen nach der Interkulturalität, der sozialen Distinktion und dem Geschlecht des Essens aus der Perspektive der Sinne zuzuwenden.

Drei Themenblöcke lassen sich dabei differenzieren:

1. Essen als Medium

Zunächst geht es darum, die beschriebenen medialen Qualitäten des Essens im Sinne einer gestalteten sinnlichen Erfahrung auszuloten. Im Zuge dessen kommt das Essen als multisensorischer Wahrnehmungsgegenstand ebenso in den Blick wie alle damit zusammenhängenden Praktiken des Zubereitens, Darreichens und Verzehrs. Es wird vorgeschlagen, Zubereitung, Präsentation und Verzehr von Essen als kommunikative Praxis zu betrachten – als eine Praxis, die anders als in der Untersuchung von Mahlzeiten bislang üblich, nicht die kulturelle Rahmung, sondern die Gestaltung des Gerichts und des gesamten Erfahrungsraums als kommunikatives Handeln in den Vordergrund rückt: Welche Rolle spielt die sinnliche Erfahrung schon beim Einkauf von Nahrungsmitteln und bei deren Zubereitung? Welche Möglichkeiten bestehen in der Praxis des Kochens die Parameter der sinnlichen Erfahrung zu kontrollieren? Wie wird Essen gestaltet, um eine bestimmte Erfahrung bei den Essenden zu evozieren? Wie wird Essen semantisiert, um zum Bedeutungsträger zu werden? Nicht zuletzt sind hier auch künstlerische Projekte zu betrachten, die die Zubereitung und den gemeinschaftlichen Verzehr von Essen in der Form des Happenings praktizieren wie thematisieren. Diese Kunstpraktiken erschließen eine Metaebene, d.h. instrumentalisieren nicht das Essen, um „Botschaften“ zu vermitteln, sondern stellen beispielsweise die Herstellung des Essens, seine Zubereitung und die damit sozialkulturellen Implikationen, wie etwa die Frage nach der Konstruktion von Kultur, selbst aus.

2. Essen in Medien

Die Darstellung der sinnlichen Erfahrung im Essen hat eine lange Geschichte: Das Interesse an den Farben und taktilen Oberflächen von Nahrungsmitteln und Essgeschirr ist beispielsweise wesentlich an der Herausbildung des Stilllebens als autonomer Gattung der Malerei beteiligt. Kochbücher versuchen die Herstellung von Essen ebenso wie die zu erwartenden Genüsse mit verschiedenen sprachlichen Mitteln, Layoutformen und Bildern zu verdeutlichen. Food-Fotografie verspricht geschmackliche und taktile Erfahrung in die eigene Visualität zu übersetzen. Im Zusammenspiel mit Farben usw. versuchen Fotografien auf Produktverpackungen als Serviervorschlag sinnliche Assoziationen zu vermitteln. Zu beachten ist komplementär, wie die Parameter medialer Darstellung auf die kulturelle Praxis des Essens selbst zurückwirken. Fotogenität oder neuerdings Instagrammability prämiert farbige und strukturierte Gerichte. Insofern gilt es auch auf die für die Industrie arbeitende, angewandte Forschung der visuellen Kommunikation zu schauen, die sich mit dem Verhältnis von Verpackungsdesign und Kaufentscheidung befasst. Die Multisensorik der kulinarischen Erfahrung spielt beim „Essen in Medien“ insofern eine Rolle, als die Frage ist, wie die komplexe Sensorik in andere Medien übertragen, besser: in diesen evoziert werden kann. Über solche Übersetzungsprozesse wird Essen für Film und Fernsehen interessant. Angesprochen werden sollen aber auch die sprachlichen Möglichkeiten, fiktionale Geschichten vom Essen zu erzählen oder Sinneserfahrungen in Restaurantkritiken wiederzugeben.

3. Soziologie und Kulturalität des Essens

Es gilt zu differenzieren, wie die Sinnlichkeit des Essens in bestimmten kulturellen Kontexten gehandhabt wird. Dabei geht es nicht allein um Vorlieben, z.B. für Bitteres oder Saures, sondern die Beteiligung der unterschiedlichen Sinne beim Essen: In welchen kulturellen Zusammenhängen wird etwa der Sehsinn besonders hervorgehoben? In welchen Kulturen spielt die Adressierung des Tastsinns durch Texturen eine besondere Rolle? Hier stellt sich zugleich die Frage nach der Sinnlichkeit von kulturellen und nationalen Identitäten. Im Sinne der Fragen nach der Sozialität von Geschmack, die Pierre Bourdieu sehr einflussreich gestellt hat, gilt es auszuarbeiten, wie der Zusammenhang von Sinneserfahrung und sozialer Biografie zur Herausbildung von gesellschaftlicher Identität beiträgt. Sinneserfahrung wird dann als wesentlich gesellschaftlich formiert fassbar und zugleich die sozio-kulturelle Formatierung naturalisiert, z.B. wenn geschmackliche Vorlieben geschlechtsspezifisch beobachtet werden.

 

Organisiert von Christina Bartz (Paderborn), Jens Ruchatz (Marburg), Eva Wattolik (Erlangen)

 

International Conference "Food – Media – Senses"

July 1-2, 2021, Philipps-University Marburg (Germany)

The notion that eating is linked to sensuality is a commonplace. But once we take into consideration that during a meal all five senses can be involved, the relationship between eating and the senses becomes much more interesting. By eating we understand a cultural practice which includes the consumption of food as much as its preparation and presentation. Not only in the culinary art and fine dining of the last decades—for example, molecular cuisine—but also in the industrial processing of convenience food, trends of putting all five senses into relation to each other can be observed.

But this very aspect of sensuality is often ignored in the debates of the humanities or cultural science about eating and food, although aesthetics in the sense of aisthesis is one of its core subjects. Strangely enough, up until now there has been only little research on how eating relies on the interplay of the senses. This might generally be due to the fact that sensual experience has been held in high cultural regard only when initiating the creation of sense. The incorporation of the object of perception in no way seemed to be in a position to transcend the bodily, in the manner of the distanced sensory perceptions of seeing and hearing (Zechner 2013). We find here an implicit hierarchization which might be the reason for a lack of differentiated linguistic tools and of useful distinctions when it comes to tasting and smelling, the senses central to eating. While tools for capturing the visual and auditory already have been developed by scholars of musicology, art history, media studies or theater studies, the aesthetic and media-related properties of tasting and smelling are best reflected in gastrosophy, a field of studies worthy of further development. A cultural science which is adequate to the cultural technique of designing food—as haute cuisine or as convenience food—is still lacking. Even the most recently booming food studies are only peripherally are concerned with the sensorially experienced aisthesis of dishes and, when concentrating on the socio-cultural functions of eating, fall back onto a wider perspective of cultural studies.

In order to acknowledge the material and media-related aspects of eating as a cultural praxis, the conference proposes to understand the various aspects of eating as a purposefully designed sensory experience. Thereby it aims to introduce, produce and discuss research tools commensurate with the sensuality of eating. First, we intend to develop ways of describing how the individual senses are addressed by food and to conceptualize their modes of interaction. As they design sensual experience the dishes prepared are to be considered as media themselves. They offer perceptive opportunities which are strongly formed by culture and in special ways address the sensory as much as sense. In addition, haute cuisine even works with textures, smells and taste nuances in an attempt to create meaning. Focusing the senses in combination with the concept of media and its heuristics is meant to permit a new perspective on dishes and eating.

The involvement of media in eating can be further differentiated. By an open concept of media – which could for instance be obtained from the ethnographic orientation of the actor-network theory – the constitutive roles of menu, cutlery, tableware and dining room can be taken into account without relegating them to the secondary role of ‘context’. In this sense, we have to describe the preparation and combination of food together with the specific choice of tableware, table decoration, furniture, interior design, music and, last but not least, the service to the table and additional media components. Also, the fine arts always have reflected on food, for example in the genre of the still life or, since Modernity, in interactive settings which take eating as a starting point for creating a “Gesamtkunstwerk” and reflect on the aesthetic and socio-cultural dimensions of food.

Finally, media come into play when representing and communicating eating in advance or afterwards. Under this aspect we may ask by which forms of linguistic expression, structure and imagery for example a cooking recipe is characterized, how film and television evoke the sensual experience of eating or how the oeuvre of a certain chef is represented in photo books. Complementary it has to be asked in which ways a whole media ensemble is grouped around food and its preparation, how such a media ensemble organizes perception and consequently directly feeds back onto the senses. The intrinsic logic of particular media and how it affects the presentation of food has to be taken into consideration, too.

The conference is conceived as an interdisciplinary exploration in which experts from media studies, art history, literature, sociology, ethnology, cultural studies and design studies come together for productive exchanges and share their special approaches such as gastrosophy, culinary studies and food studies.

The following three thematic blocks can be defined:

1. Food as Medium

The first section focusses on the media-related qualities of eating, which is understood as a designed sensual experience. Food as a multisensory and multimodal object of perception as well as all related practices of preparation, presentation and consumption come into view. In contrast to the traditional approaches in the study of meals, we suggest an understanding of the preparation, presentation and consumption of food not as a cultural framing, but as a communicative practice which includes the meal’s design and its whole field of experience: which role is played by sensual experience when buying and preparing food? Which options are there to control the parameters of sensory experience during cooking? How is a meal arranged to let the eater have a certain experience? How is food semantically charged? Of course, specific associations are induced in food; but can we imagine other strategies as well? The analysis of happenings in the fine arts which perform and simultaneously reflect on the preparation of food as much as on its communal consumption can yield great insights. Art works not only use food and its staging as a vehicle for messages but can also convey its sociocultural implications and even reveal how the construction of culture works.

2. Food in Media

The representation of eating and the sensual experience connected to it has a long history: the interest in food’s colors and tactile surfaces is one of the major causes for the emancipation of the still life as a genre of its own. Cookbooks seek to demonstrate the preparation of meals as much as the expected pleasures by a variety of linguistic devices, specific layouts and images. Food photography in advertising and in cookbooks claims to visualize sensual experience. On product packaging, food photography can work like a serving suggestion inasmuch as it can trigger, in combination with color design etc., sensual associations. In addition, attention must be paid to the parameters of media-specific presentation and how they feed back on the cultural practice of eating. Photogenics and, recently, instagrammability highlight colorful and structured dishes. In what ways does a photogenic appearance indirectly impact on sensual experience? Visual communication as an applied science, at the service of the food industry, which deals with the relationship between packaging design and buying decisions, has to be taken into consideration.

3. Sociology and Culturality of Food

We want to explore how the sensuality of eating is treated in specific cultural contexts. It is not only about preferences—for example, for the bitter or the sour—but also about the involvement of the different senses in eating: in which cultural contexts is the sense of sight particularly emphasized? In which cultural contexts is the sense of touch addressed through texture? In addition to the findings of Claude Lévi-Strauss, not only the relation between the raw and cooked but also between the liquid, soft and solid plays a role. At this point, we would like to reflect on the sensuality of cultural and national identities. Following the discussion on a sociology of taste, as has been prominently guided by Pierre Bourdieu, we aim to identify how the relationship between sensual experience and social biography contributes to the formation of social identity. Sensual experience becomes understandable as basically socially formed; concurrently, the socio-cultural formation is recognized as a naturalized one when, for example, preferences of taste are regarded as being gender-based.

 

Organising comittee: Christina Bartz (Paderborn), Jens Ruchatz (Marburg), Eva Wattolik (Erlangen)