Wi­Se 2025/2026 | Wis­sen, Wir­ken, Wer­den - Ra­di­ka­le Fra­gen an Wis­sen­schaft, Kunst und Tech­nik

Über Praktiken, Orte und Herausforderungen heutiger Wissensproduktion

Wissensproduktion und Wissenschaft sind seit jeher durchzogen vom Kampf um Deutungshoheiten. Aktuell sind es Desinformation, Clickbait und KI-generierte Inhalte, die traditionelle Wissenschaftsmodelle herausfordern, während Citizen Science, Artistic Research und Open Science alternative Wege der Wissensgenerierung und -verbreitung öffnen.

Die Vortragsreihe widmet sich Wegen der Wissensproduktion jenseits klassischer akademischer Prozesse. Sie diskutiert zeitaktuelle Formen der Wissensgenerierung, untersucht digitale Infrastrukturen und Wissensarchive, reflektiert die Rolle von Museen als Akteure kulturellen Gedächtnisses und fragt nach Machtverteilungen bei der Festlegung dessen, was überhaupt als Wissen gilt. Wissenschaftskommunikation wird dabei ebenso thematisiert wie die Nutzung moderner Technologien, die unsere Wahrnehmung von Wissen fortlaufend verändern. Unter welchen Bedingungen kann Wissenschaft also glaubwürdig und wirkungsvoll agieren? Und welche Rolle spielen Transparenz, Partizipation und kritische Reflexion in der Wissensproduktion?

Die Vortragsreihe soll einen Diskussionsraum schaffen, der Wissenschaftler*innen, Akteur*innen aus Kulturinstitutionen, Kommunikationspraktiker*innen, Studierende und die Zivilgesellschaft zusammenbringt und richtet sich an alle, die sich für Prozesse der Wissensgenerierung und -kommunikation interessieren. 

Konzeption: Larissa Lenze & Jutta Weber

Das Duo Quadrature (Juliane Götz, Sebastian Neitsch) beschäftigt sich seit über zehn Jahren mit der wissenschaftlichen Erforschung und technischen Kolonisierung des Weltraums. Ausgehend von ihren eigenen Kunstwerken und aktuellen historischen Geschichten beschreiben die Künstler:innen in diesem Vortrag, wie ihre Praxis zwischen poetischer Ästhetik, Abstraktion, realer Weltpolitik und harten wissenschaftlichen Fakten balanciert. Sie gehen der Frage nach, warum in ihren Arbeiten nicht die Vermittlung von reinem Wissen im Vordergrund steht, sondern zusätzliche Dimensionen und Erzählungen über die sozialen, gesellschaftlichen und emotionalen Auswirkungen der fortschreitenden Forschung und Technologie.

Im Schatten der politisch instrumentalisierten Klimakrise formiert sich ein neues Schweigen: Begriffe werden getilgt, Narrative umgeschrieben, Wissen wird zum Risiko.

Der Vortrag untersucht die epistemischen Strukturen des Ausnahmezustands – und fragt nach den Möglichkeitsräumen jenseits des Erkenntnisverbots.

Daniela Zyman ist Autorin, Kuratorin und Künstlerische Leiterin von TBA21 Thyssen-Bornemisza Art Contemporary. Seit der Gründung der Stiftung im Jahr 2003 prägt sie maßgeblich deren kuratorisches Profil, hat eine Vielzahl internationaler Ausstellungen realisiert und sich intensiv an Publikationen und Auftragswerken beteiligt. Ihr kuratorisches Interesse gilt insbesondere ökozentrischen Neuverfassungen von Denken und Praxis sowie der Entwicklung theoretischer und methodischer Ansätze, die ökologische und soziale Gerechtigkeit verknüpfen.

Von 1995 bis 2001 war Zyman Chefkuratorin am MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst in Wien und Mitbegründerin des MAK Center for Art and Architecture in Los Angeles. Anschließend leitete sie von 2000 bis 2003 das Künstlerhaus Wien sowie das A9 Forum Transeuropa als Direktorin.

 Zyman promovierte in Kulturwissenschaften und lehrte unter anderem an der Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung Linz sowie der Universität für angewandte Kunst Wien. Ihre Essays erscheinen regelmäßig in Publikationen und Kunstzeitschriften. 2024 veröffentlichte sie Das Lachen der Quallen (Walther König), eine Monografie, die eine präfigurative, antagonistische Perspektive auf künstlerische Forschung eröffnet und eine emergente Genealogie widerständiger Methoden im Angesicht des ökologischen Notstands entwirft.

Diese Veranstaltung entfällt leider.

So­Se 2025 | Ele­men­ta­re On­to­lo­gi­en und Me­di­en zwi­schen Po­li­ti­sie­rung und Ent­po­li­ti­sie­rung

Zur Beschreibung der menschlichen Rolle in der Klimakrise wurde der Begriff „Anthropozän“ geprägt. Obwohl die zentrale Verantwortung des Menschen für den Klimawandel nicht zu leugnen ist, wurde dieses Konzept auch kritisiert, da es Denkmuster menschlicher Herrschaft weiterführt, die erst zur Katastrophe geführt haben. Kulturwissenschaftliche Perspektiven richten daher zunehmend den Blick auf das Materielle und Natürliche – etwa auf Pilze, Meere oder Wälder – um die menschliche Vorherrschaft zu relativieren. 
Doch bleibt nicht gerade der Mensch verantwortlich und handlungsfähig? Bedeutet ein solcher Perspektivwechsel nicht auch eine Entpolitisierung der Klimafrage? Oder bieten environmentale Denkfiguren wie Pilze, Meere oder Wälder vielleicht doch wichtige Einsichten?

Diesen Fragen widmet sich die Ringvorlesung im Sommersemester 2025. Gemeinsam mit unseren Gäst*innen wollen wir Grenzen und Potentiale elementarer Ontologien diskutieren und die Rolle der Medienwissenschaften in dieser Debatte ausloten.

Termine:

29.4. Veit Braun: Und wenn die Welt weich und unscharf wäre: Über die alte Autorität der neuen Natur

13.5. Stephan Ahrens, Alexander Schultz, Alexandra Simopoulos: Wild|Wald/Zelluloid\. Natur-Zugänge in der Filmsammlung des Instituts für Medienwissenschaften

3.6.: Jiré Gözen: Zwischen Singularität und Wasserzyklus - Epistemologische Herausforderungen von Sociotechnical Imaginaries

24.6: Maria Muhle: „Mechaniker-Theorie der Kunst“ – Technoästhetische Milieus im Ausgang von Canguilhem und Simondon

8.7: Katrin Köppert: Mine - Mime - Meme. Digital Blackface und Extraktivismus im Nekrozän

Wi­Se 2024/25 | Schö­ne neue Welt? Künst­li­che In­tel­li­genz zwi­schen Kli­ma, Krieg, Kon­troll­ver­lust

Termine:

29.10.2024 Bianca Prietl: KI, Materialitäten und Macht

12.11.2024 Stephanie Schmidt: “Menschen gelten als Bedrohung bis das Gegenteil bewiesen ist” – Einblicke in eine Forschung über autonome Waffensysteme und die Kultur des Tötens

26.11.2024 Jutta Weber & Jochen Viehoff: Künstliche Intelligenz: Klimakiller oder Klimaretter? – Über datenhungrige Chatbots, stromdurstige Suchmaschinen und seltene Erden für Kampfroboter

03.12.2024 Marijn Hoijtink: A Brave New Tech War? Between Tragedy Talk and Salvation

14.01.2025 Theresa Hannig: “Niemand hat die Absicht, die Menschheit zu vernichten”, sagte die KI

Konzeption: Jens Hälterlein, Larissa Lenze, Jutta Weber

 

So­Se 2024 | Short­cuts

Termine:

16.04.2024 Jernej Amon Prodnik: How do journalists get their information? A critical approach to news sources

07.05.2024 Jens Hälterlein: Mehr-als-menschliche Imaginationen des Krieges – Robotische Schwärme und meaningful (un)human control

14.05.2024 Jasmin Degeling: Gegen-Forensische Neuverteilungen des Sinnlichen. Über THREE DOORS von Forensic Architecture/Forensis, Initiative 19. Februar Hanau, Initiative in Gedenken an Oury Jalloh

11.06.2024 Mary Shnayien: IT-Sicherheit und die AIDS-Krise. Über unsichere Kanäle und queere Sicherheit

25.06.2024 Sebastian Althoff: Hass im Netz und die Konstruktion des ‚guten‘ Diskurses

Konzeption: Ralf Adelmann

Wi­Se 23/24 | Kri­ti­­sche The­o­ri­en und Ana­­ly­­sen des di­­gi­ta­len Ka­pi­ta­­lis­mus

Diese Ringvorlesung präsentiert kritische Theorien und Analysen des digitalen Kapitalismus. Die Beiträge zeigen, wie wir den digitalen Kapitalismus am besten kritisch theoretisieren können und welche Formen der kritischen Praxis es im digitalen Kapitalismus gibt. Die Ringvorlesung „Kritische Theorien und Analysen des digitalen Kapitalismus“ will dazu beitragen, kritische Theorien und die Philosophie der Praxis im Kontext des digitalen Kapitalismus besser zu verstehen.

Facebook und Google machen Profit aus der digitalen Arbeit der Nutzer:innen. Ende 2022 und Anfang 2023 entließ Google 12.000 Beschäftigte, Microsoft 10.000, Twitter mehr als 10.000, Amazon 18.000 und Facebook 11.000. Algorithmen werden von Unternehmen zur sozialen Sortierung und Diskriminierung von Kund:innen eingesetzt, die in sozial schwachen Verhältnissen und in benachteiligten Vierteln leben. Ein Großteil der Klickarbeit wird von schlecht bezahlten Frauen im globalen Süden erledigt. Digitaler Faschismus, Fake News, Post-Wahrheitskultur und algorithmische Politik zirkulieren auf kapitalistischen und staatskapitalistischen Internetplattformen. Informationskrieg und Echokammern polarisieren die digitale Öffentlichkeit und machen einen neuen Weltkrieg zwischen imperialistischen Mächten, die auf globaler Ebene um die Kontrolle von Territorium, wirtschaftlicher Macht und politischer sowie ideologischer Hegemonie konkurrieren, und die nukleare Vernichtung der Menschheit und des Lebens auf der Erde wahrscheinlicher. All das ist digitaler Kapitalismus.

Es gibt auch Formen der kritischen Praxis, die aus den Problemen des digitalen Kapitalismus erwachsen und diese lösen möchten. Kürzlich protestierten digitale Arbeiter:innen, die iPhones zusammenbauen, gegen die schlechten Arbeitsbedingungen, denen sie bei Foxconn in Zhengzhou während der COVID-19-Pandemie ausgesetzt waren. Im Jahr 2021 gründeten Lagerarbeiter:innen die Amazon Labor Union. Die gemeinnützige Internetplattform Mastodon ist angesichts der Unzufriedenheit der Nutzer:innen mit der Übernahme von Twitter durch Elon Musk zu einer tragfähigen digitalen Alternative geworden. Internetexpert:inn:en und -nutzer:innen haben gemeinsam das „Public Service Media and Public Service Internet Manifesto“ (Manifest für öffentlich-rechtliche Medien und ein öffentlich-rechtliches Internet) verfasst, das fordert, das Internet in ein öffentliches Gut zu verwandeln und die digitale Demokratie zu fördern. Während Faschist:innen in sozialen Medien Fake News verbreiten, nutzt die progressive Nachrichtensendung Democracy Now! seit 1996 das nichtkommerzielle Internet, öffentlich-rechtliche Medien sowie Gemeinschaftsradio- und -fernsehsender, um ein hochwertiges, unabhängiges Nachrichtenprogramm auszustrahlen, das Millionen von Zuschauer:innen erreicht und Fake News hinterfragt.

Der digitale Kapitalismus prägt unser Leben. Der digitale Kapitalismus muss besser verstanden werden. Wir brauchen kritische Theorien des digitalen Kapitalismus und müssen die Praktiken besser verstehen, die den digitalen Kapitalismus herausfordern. Die Ringvorlesung beleuchtet den Widerspruch von digitalem Kapitalismus einerseits und digitaler Praxis andererseits in der Form von Vorträgen, Debatten und Diskussionen.

Konzeption: Thomas Allmer, Sevda Can Arslan, Christian Fuchs

Recent extreme weather events are stark reminders of the prospect of climate catastrophe. The chance of meeting the Paris Agreement target of keeping temperatures to below 1.5 degrees above pre-industrial levels has been missed. Fundamental earth processes are moving towards tipping points beyond which damage cannot be reversed.

Global warming has accelerated since the early 1990s propelled by the increasing demands on energy and resources required by the world -wide pursuit of marketisation and consumer driven economic growth.

Digital communication systems have been central to this transition as both platforms for saturation product promotion and sources of escalating demands on energy and resources.

This paper sets out to interrogate these connections: detailing the present environmental impacts of digital media and the unequal distribution of social risks and exploitation; exploring the possible impacts of current trends in data transmission and storage and Artificial Intelligence; and taking a critical look at proposals for sustainability.


Kurzbiografie:

Graham Murdock , Emeritus Professor of Culture and Economy at Loughborough University has published widely in the sociology and political economy of culture and communications. He has held visiting professorships at the Universities of Auckland, California at San Diego, Mexico City, Curtin, Bergen, the Free University of Brussels, and Stockholm and is currently Guest Professor at Fudan University in Shanghai. His work has been translated into 21 languages. Recent books include; as co-editor, Money Talks: Media, Markets, Crisis (2015), New Media and Metropolitan Life:  Connecting, Consuming, Creating (in Chinese) (2015) and Carbon Capitalism and Communication: Confronting Climate Change (2017).

In diesem Vortrag stelle ich das Konzept des Media Environment Capture vor. Das ist ein theoretischer Rahmen und analytisches Instrument, die es erlauben, verschiedene Arten des direkten und indirekten Einflusses von Big Tech-Unternehmen wie Google (Alphabet) und Facebook (Meta) auf Nachrichtenmedien (als Institutionen) zu analysieren und zu kategorisieren. Das Konzept zeigt, dass die Einflussstrategien der Big Tech in ihrer Gesamtheit zur Vereinnahmung genau jener Informationslandschaft führen, die der Journalismus (als Praxis) benötigt, um (gut) zu funktionieren. Das heißt, Tech-Giganten müssen die Nachrichtenmedien nicht kaufen, um Einfluss auszuüben. Vielmehr gestalten sie unser gesamtes Informationsumfeld, damit folglich unsere Lebenswelt und privatisieren so den öffentlichen Raum.

Kurzbiografie:
Mandy Tröger ist Walter Benjamin-Stipendiatin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) an der Universität Tübingen. Sie promovierte am Institute of Communications Research (ICR) an der University of Illinois at Urbana-Champaign (UIUC) (2018). Ihre Forschungsschwerpunkte sind Medien- und Kommunikationsgeschichte sowie Kritische Theorie.

Work in digital capitalism covers a broad spectrum of work. In this debate, we will discuss work in the platform economy and the cultural sector with three experts. 

 

We will first take a look at the working conditions and different forms of exploitation of workers: How do the (digital)shopfloor level, division of labor, and algorithmic management/surveillance alienate workers in Amazon warehouses and on Amazon Mechanical Turk? What are the outsourcing and control strategies for content moderation of social media companies such as Meta, Google, and Twitter? 

 

Then we will look at ways of worker resistance: What are the sites of power struggles between workers and management? How and where do workers gain agency and get organized? Which role does transnational solidarity play between workers in the Global South and migrant workers in the Global North?

 

In the end, we will discuss alternatives to digital capitalism: What is the potential of co-operatives compared to precarious and individualized cultural sector work? How can co-operatives, despite their limitations of being embedded within capitalist market economies, contribute to a movement for transforming the future of work and inspire wider social change?

 

Kurzbiografien:

 

Sana Ahmad has a PhD from the Department of Political and Social Sciences at the Freie Universität Berlin. She currently works as a researcher at the Helmut Schmidt University in Hamburg and is affiliated as a guest researcher at the WZB Berlin Social Science Center. Her current projects include writing a book on content moderation work in India, together with working on a project on migrants and crowd work in Germany. Her future research interests include studying workplace automation from a global economy perspective.

 

Sarrah Kassem is a Lecturer and Research Associate at the Institute for Political Science at the University of Tübingen. She completed her Ph.D. in 2020 in political economy, examining more closely the platform economy and two of Amazon's platforms (Amazon.com and Amazon Mechanical Turk). Her current teaching and research foci center around workers, working conditions, different forms of labor organization, and the intersectional dimensions of the labor movement. She is the author of 'Work and Alienation in the Platform Economy: Amazon and the Power of Organization' (Bristol University Press 2023).

 

Marisol Sandoval’s research deals with questions of power, ideology, exploitation, and resistance in the global culture industry. Her last research project focussed on worker co-operatives in the UK cultural sector. Marisol currently works as a coordinator and project developer at the Mehrgenerationenhaus AWO Leo in Paderborn.

Die digitale Transformation auf der technischen Basis des Computers und seiner Vernetzungen und unter der Kontrolle, Steuerung und Weiterentwicklung der Ökonomie greift immer grundlegender in immer mehr gesellschaftliche Bereiche ein. Dabei wird der Computer häufig als eigenständiger Apparat betrachtet, der angeblich immer menschenähnlicher wird. Aber eigentlich wurde der Computer als Instrument für die Teilung geistiger Arbeit der Menschen erfunden, und seine gesellschaftliche Bedeutung entsteht auch weiterhin nur durch seine Kooperation mit den Menschen. Immer deutlicher verkehrt sich heute unter der Steuerung der kapitalistischen Ökonomie jedoch das Verhältnis von Mensch und Computer: Mit Hilfe der gigantischen Datensammlungen und der darauf aufgebauten sogenannten Künstlichen Intelligenz, womit im Grunde eigentlich insbesondere automatisch ablaufende Computerprogramme bezeichnet werden, werden die Menschen nicht mehr von sich wiederholender geistiger Arbeit entlastet. Stattdessen müssen sie sich zunehmend mit ihrer geistigen Arbeit den Vorgaben des Computers anpassen.

Dieser Missbrauch ist keine zwangsläufige Entwicklung der Digitalisierung, sondern eine Folge der derzeitigen kapitalistischen Steuerung der Digitalisierung. Die Frage ist: Was bedeutet dieser Einfluss des Kapitals für den sich weiter entwickelnden Kapitalismus, für das Leben der Menschen und die zukünftigen Gesellschaftsformen und wie kann das geändert werden?

Kurzbiografie:
Prof. Dr. Friedrich Krotz ist Diplom-Mathematiker und Diplom-Soziologe und als Fellow am Zentrum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung (ZeMKI) der Universität Bremen tätig. In den Jahren vor seiner Emeritierung war er Begründer und Koordinator des DFG-finanzierten Schwerpunktprogramms „Mediatisierte Welten“. Er ist derzeit insbesondere mit der Analyse und Kritik der Digitalisierung beschäftigt.

Auf theoretisch-methodischer Grundlage der Kritik der politischen Ökonomie von Karl Marx und daran kritisch anknüpfenden aktuellen Weiterentwicklungen sind Medien, Journalismus und Öffentlichkeit Gegenstandsbereiche einer spezifischen medien- und kommunikationswissenschaftlichen Kritik der politischen Ökonomie der Medien. Es geht um eine theoriegeleitete kapitalismuskritische Analyse der medialen Warenproduktion auf Basis der Eigentums-, Produktions-, Distributions- und Konsumptionsverhältnisse in der Medienindustrie im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang. In Anwendung der besonderen Marx’schen dialektisch-materialistischen Denkweise kommt ein radikal-kritisch abstrahierendes Erkennen, Begreifen und Erklären von Wesentlichem/Grundlegendem der Funktionen der Medienindustrie bei der Entwicklung gesellschaftlicher Herrschafts- und Machtverhältnisse zum Einsatz. Auf diese Weise können auch aktuell viel diskutierte „Krisen“ von Medien, Journalismus und Öffentlichkeit begriffen und erklärt werden.

Kurzbiografie:
Manfred Knoche war von 1994 bis zu seiner Emeritierung 2009 Ordentlicher Universitätsprofessor für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft mit besonderer Berücksichtigung der Medienökonomie. Von 1974 bis 1983 war er Wissenschaftlicher Assistent bzw. Assistenzprofessor am Institut für Publizistik der Freien Universität Berlin, von 1983 bis 1994 Universitätsprofessor für Kommunikationswissenschaft an der Vrije Universiteit Brussel.

Die Rede vom digitalen Kapitalismus geistert durch die Feuilletons, wird aber selten verbunden mit einer grundsätzlichen kapitalismustheoretischen Analyse. Was aber macht – jenseits der digitalen Technik – den digitalen Kapitalismus aus? Dass Wert anscheinend kostenfrei kopiert werden kann? Dass an Betriebe vertraglich gebundene Erwerbsarbeit sich auflöst in frei flottierende Arbeit auf Plattformen? Dass Märkte proprietäre sind? Solche und ähnliche Thesen werfen teils ein falsches teils ein reduziertes Verständnis des Kapitalismus im Digitalen frei. Der Vortrag wirft mit der These der gestiegenen Bedeutung von Distributivkräfte ein anderes Licht auf den aktuellen Kapitalismus. Er sagt nicht, was die Digitalisierung am Kapitalismus verändert, sondern was sich am Kapitalismus verändert hat und warum dafür die Digitalisierung ein scheinbares Angebot macht.

Kurzbiografie:
Sabine Pfeiffer ist seit 2018 Professorin für Soziologie mit dem Schwerpunkt Technik – Arbeit – Gesellschaft und Sprecherin des DFG-Schwerpunktprogramms 2267 „Digitalisierung der Arbeitswelten“ . Nach mehrjähriger Produktionsarbeit, Studium im 2. Bildungsweg, Forschung am ISF München und Professuren an der Hochschule München und der Universität Hohenheim forscht sie seit Mitte der 1990er Jahre zur Digitalisierung der Arbeit.

So­Se 2023 | Pra­xis – Me­di­en – Kri­tik

Von der reinen Vernunfttätigkeit Kants (1781/87) über die kritische Theorie (Horkheimer 1937/47) bis zur kritischen Praxis (Foucault 1978) hat die Frage danach, was Kritik und was Praxis sei, eine lange Geschichte. Spätestens mit dem Practice Turn (Schatzki et al. 2000; Schüttpelz et al. 2021) lässt sich eine Verknüpfung von Praxis und Kritik beobachten, die angesichts virulenter Krisen und aktueller gesellschaftlicher Debatten wichtiger denn je ist. Die Ringvorlesung Praxis – Medien – Kritik im Sommersemester 2023 will die alten und neuen Bedeutungen von Kritik und Praxis für die Medienwissenschaft aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten. Unter dieser Prämisse erschöpft sich die Medienwissenschaft nämlich nicht in weltfremder Theorie, sondern kann selbst kritische Praxis sein, – und ebenso kann Medienpraxis kritisch sein.

Formen der medienwissenschaftlichen Medienkritik sind nicht selten eng verzahnt mit beispielsweise Gesellschafts-, Kapitalismus- oder Sozialkritik, womit Medien meist makroperspektivisch in sozio-politische wie ökonomische Zusammenhänge gestellt werden. Bereits die Analyse dieser Zusammenhänge lässt sich aber auch als kritische Praxis beschreiben, sodass ein zentraler Fokus der Ringvorlesung auf der kritischen Medienanalyse und der Analyse kritischer Medienpraktiken liegt. Gleichzeitig wird damit und im Zuge von Latours polemischem Postulat vom „Elend der Kritik“ (Latour 2007) natürlich an Theoriedebatten zur generellen Kritikfähigkeit von solch praxistheoretischen (oder auch mikroperspektivischen) Ansätzen angeknüpft, wie sie insbesondere der angesprochene und sich maßgeblich aus den Science and Technology Studies (STS) speisende Practice Turn innerhalb des Faches initiiert hat. Deshalb soll der Fokus auch nicht alleinig auf einer dezidiert medienwissenschaftlichen Perspektive liegen, weshalb sich die Ringvorlesung explizit für sozialwissenschaftliche und insbesondere auch medienpädagogische Perspektiven öffnen möchte. Denn eben diese theoretischen Diskurse zu den (kritischen) Potentialen praxistheoretischer Ansätze finden in der Erforschung von Praktiken der Medienkritik und Medienkritikfähigkeit ganz konkrete Anwendung in den unterschiedlichsten Handlungsfeldern.

Nicht zuletzt sind Formen der Kritik selbst immer schon medial vermittelt. Dies ist nicht nur Analysegegenstand kritischer Medienwissenschaft, sondern ermöglicht auch kritische, aktivistische oder subversive Medienpraktiken zuallererst, was sich z.B. in alternativen oder auch queeren Nutzungsweisen (z.B. Lingel 2017) von Medien zeigt , die gängige Vorstellungen von dem, was möglich ist, unterlaufen. Daher möchte die Ringvorlesung nicht nur aus einer medienwissenschaftlichen Perspektive das Verhältnis von Medien, Praxis und Kritik ausloten, sondern darüber hinaus auch mit künstlerischen bzw. politischen Praktiken der Kritik in den Dialog treten.

Konzeption: Jakob Cyrkel, Birte de Gruisbourne, Lukas Dehmel, Christian Schulz

Third MissionPublic ScienceTransdisziplinäre Forschung - alle Ansätze hinter diesen neu aufkommenden Schlagworten eint der Anspruch, wissenschaftliche Forschung und Lehre stärker mit der Gesellschaft zu verbinden. Über das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft wird in der internationalen Kommunikationswissenschaft bereits seit einigen Jahren wieder diskutiert. Doch wie sieht es in der deutschsprachigen Kommunikationswissenschaft aus? Zwar wurde schon 2019 in einer Charta zu Öffentlicher Kommunikationswissenschaft aufgerufen,  doch bisher scheint die Absicht noch nicht in - publiziertes - Handeln umgesetzt worden zu sein. In Anlehnung an Burawoys Arbeiten zu Öffentlicher Soziologie (2005) forderten Prinzing, Eisenegger und Krainer als Initiator_innen der Charta ihre Kolleg_innen zu verstärktem Austausch mit der Gesellschaft auf. Die Kolleg_innen unterschrieben zuhauf - weitere Folgen sind bisher jedoch kaum zu beobachten.

Mit ihrem Vortrag möchte Sevda Can Arslan daher dazu einladen, in einen ausführlichen Austausch über das Verhältnis von Kommunikationswissenschaft und Gesellschaft zu treten. Sie plädiert dafür, die gegenwärtige Selbstverständnisdebatte im Fach um diese Dimension zu erweitern. Dafür untersucht sie zunächst den Status Quo: Wie wird das Verhältnis von Kommunikationswissenschaft und Gesellschaft in der aktuellen Selbstverständnisdebatte beschrieben? Wo sind sich die Autor_innen einig, welche Unterschiede gibt es? Die vorgefundenen Aspekte werden mithilfe von Selkes Modell von Wissenschaftsauffassungen (2015) typologisiert. Auf ihre Kritik daran folgt ein Vorschlag für die Kombination von öffentlicher und gesellschaftskritischer Forschung. Danach liefert sie konkrete Fallbeispiele für solche Forschung, die die Möglichkeiten, Herausforderungen und Grenzen öffentlichen Wirkens von Kommunikationswissenschaft schon jetzt ausloten.

Der Vortrag illustriert anhand mehrerer Beispiele aus dem Future Histories-Podcast das Podcasten als Forschungspraxis. Um eine kritische Forschungspraxis handelt es sich hierbei insofern, als dass zum einen auf inhaltlicher Ebene Themenkomplexe immer wieder auch mit kritischer Absicht behandelt werden, und zum anderen, weil das Behaupten einer bislang noch nicht etablierten Methode als Forschungspraxis immer auch eine mitgeführte Kritik am vorgefundenen Sortiment der Methodik impliziert. Dass es sich beim Podcasten tatsächlich um eine Form der erweiterten Forschungspraxis handeln kann, die sich folglich z.B. von so etwas wie reiner Wissenschaftskommunikation unterscheidet, soll im Rahmen des Vortrags nicht zuletzt am Material selbst plausibilisiert werden.

Bildung lässt sich aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive klassischerweise als Prozess der Transformation von Selbst- und Welthaltungen verstehen (Marotzki 1990; Koller 1999; Nohl 2006). Die sozio-kulturellen Gegebenheiten, unter denen sich Bildung vollzieht, sind dabei von entscheidender Bedeutung. Dementsprechend stellt sich angesichts der digital-medialen Durchdringung unserer Gegenwart die Frage, wie ein zeitgemäßer Bildungsbegriff aussehen kann, der sowohl theoretisch in der Lage ist, an Konzepte ‚digitaler Medialität‘ anzuschließen als auch empirisch anschlussfähig bleibt.

Der Beitrag entwickelt einen solchen Ansatz und schließt hierzu an einen praxistheoretisch informierten Bildungsbegriff (Rosenberg 2011) an. Es wird gezeigt, inwiefern eine solche Grundlegung – die insbesondere von einem starken Relationalitätsbegriff ausgeht – Möglichkeiten bietet, die digital-mediale Konstitution von Bildungsprozessen sowohl mit Blick auf aktuelle medientheoretische Ansätze (Dang-Ahn et al. 2017; Gießmann 2018) aber auch hinsichtlich method(olog)ischer Herausforderungen (Engel 2020; Bettinger 2021) angemessen zu berücksichtigen. Damit geht die These der Notwendigkeit eines veränderten Subjektverständnisses einher, das post-anthropozentrisch ausgerichtet ist und wesentlich stärker die hybriden „Beziehungsweisen und Bezogenheiten“ (Krautz 2017) in den Blick nimmt, unter denen sich Bildung ereignet.

Bereits seit mehreren Jahrzehnten hat sich in den Forschungen zur Theorie und Geschichte der Fotografie die Einsicht in den materiellen Charakter dieser Bilder durchgesetzt. So wie jedes andere Bild erschöpfen sich auch Fotografien nicht in ihrer Funktion, visuelle Informationen zu vermitteln. Vielmehr lässt sich davon eine materielle, objekthafte oder körperliche Dimension abheben: Fotografien sind nicht nur ‚images‘, sondern auch ‚pictures‘. Für die Fotoforschung hat sich diese auf Englisch so leicht formulierte Unterscheidung als sehr gewinnbringend erwiesen und zu einer Vielzahl von Untersuchungen geführt, die den physischen Charakter dieses Mediums ernst nehmen und sich vor allem die pragmatischen Folgen einer solchen Unterscheidung interessieren.

In seinem Vortrag will Steffen Siegel allerdings zeigen, dass aus einer solchen Perspektive der Medienmaterialität zwingend eine weitere und hieran anschließende Frage zu stellen ist: die der Zeitlichkeit aller Objekte. Fotokritik, wie er sie versteht, muss sich ihrer Gegenstände in diachroner Perspektive widmen. Überraschenderweise werden dabei insbesondere jene Dimensionen des fotografisches Bildes wieder besonders interessant, die gerade nicht – oder höchstens indirekt – der körperlichen Dimension des Fotografischen angehören.

Memes sind Alltagsphänomen und genuine Kulturtechnik der vernetzten Welt. Sie sind Umgangsweisen mit Hyperinformation, Operationen in expliziten und informellen Datenbanken, anarchische Medienkritiken unbekannter User*innen. Sie sind populistisches Werkzeug und Teil einer Poetologie oder Anthropologie digitaler Kulturen. Der Vortrag versucht – in Gegenbewegung zu biologisierenden  Lesarten von Memes als „Bedeutungsgene“ – Memes als Kritikgeste innerhalb postfaktischer Informationswelten zu beschreiben: sie clashen unverbundenen content, legen Irritationen im information flow frei, schaffen sticky moments in der Aufmerksamkeitökonomie. Memes sind ein doing of digital culture, und damit komplexer zu betrachten als kanonische Ansätze zu digitaler Folklore, Witzproduktion oder Bildkritik andeuten. Sowohl alte als auch neue Memes, rechtsextreme wie emotionale Archive werden besprochen.

Wi­­Se 2022/2023 | Von der Heim­ar­beit zum Ho­me­of­fi­ce

In dieser Veranstaltung soll die Entwicklung und Geschichte der Arbeit von der Heimarbeit im Feudalismus über die Arbeit in Fabriken zur Zeit der Industrialisierung hin zur Entwicklung des Homeoffice unter „technologischen Bedingungen“, etwa in einem Diskurs um die „Automatisierung und die Zukunft der Arbeit“(Benanav, Aaron (2021): Automatisierung und die Zukunft der Arbeit. Suhrkamp. Berlin.) nachverfolgt werden. Eine mögliche Leitfrage der Veranstaltung ist: Kann die Geschichte der Arbeit als eine Digitalisierungsgeschichte analysiert werden und lässt sich – vice versa – die Geschichte der Digitalisierung als eine Geschichte der Arbeit untersuchen? Zentrale Untersuchungsgegenstände dabei sind zum einen die Umgebungen der Arbeit und wie sich diese durch die heterogenen Mensch-Technik-Relationen verändern, (Heßler, Martina (2020): Arbeit/en, in: Heßler, Martina; Liggieri, Kevin (Hg.): Technikanthropologie. Handbuch für Wissenschaft und Studium. Nomos. Baden Baden. S.461-469) und zum anderen die Frage, inwieweit die These zutrifft, dass mit der Verlagerung der Arbeit durch die digitalen Medien in die menschlichen Wohnumgebungen (Patton, Elizabeth A. (2020): Easy Living. The Rise of the Home Office. Rutgers UP. New Brunswick.) sich auch eine vermeintliche Refeudalisierung des Arbeitsalltags feststellen lässt. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob beispielsweise die noch unter analogen Bedingungen getätigte Analyse Adorno und Horkheimers zutrifft, dass „das Amüsement die Verlängerung der Arbeit unterm Spätkapitalismus“ (Adorno, Theodor W., Horkheimer Max (2004): Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Fischer. Berlin.) sei. Sehen wir uns demnach durch die digitale Arbeit im „Heim“ mit einer Nivellierung der Unterscheidung von Freizeit und Arbeitszeit konfrontiert? Was bedeutet diese Nivellierungsbewegung in einer digitalen Gesellschaft für das menschliche Subjekt? Welche Ausschließungen und Hegemonien werden durch Homeoffice und Heimarbeit verfestigt im Hinblick auf zentrale Problemstrukturen von gender, class, care und race? (Spigel, Lynn (2001): Welcome to the Dreamhouse. Popular Media and Postwar Suburbs. Duke UP. Durham.) Diese Problemstellung soll im Weiteren unter der Thematisierung der Digitalisierung der Arbeit aufgezeigt werden.

Konzeption: Christina Bartz, Jakob Cyrkel, Felix Hüttemann, Monique Miggelbrink

So­Se 2020 | Rechts­po­pu­lis­mus, In­ter­net & Öko­no­mie

Gegenwärtig zeichnet sich in vielen westlichen (Post-)Industrienationen ein Erstarken autoritärer, nationalistischer, Frauenfeindlicher oder antipluralistischer Gesellschaftsbilder ab, die sich nicht nur in den Wahlerfolgen rechtspopulistischer und extrem rechter Parteien manifestieren, sondern mit einer generellen Verschiebung gesellschaftlicher Diskursklimata einhergehen.

In dieser Vorlesungsreihe wird das Phänomen interdisziplinär mit Blick auf seine ökonomischen, genderpolitischen und soziotechnischen Implikationen thematisiert.

Zum einen führen digitale Internettechnologien immer wieder zur Erschütterung von ökonomischen Strukturen und Erwerbsmodellen. Sie tragen so indirekt zu einer Destabilisierung von relativen materiellen Sicherheiten bei, was rechten autoritären Demagogien mitunter als Nährboden dient.

„Cambridge Analytica is the canary in the coal mine.“ -Christopher Wylie

Zum anderen hat das Beispiel ‚Cambridge Analytica‘ mustergültig offenbart wie soziale Online-Netzwerke für eine Ökonomisierung rechtspopulistischer Manipilationsbestrebungen herangezogen werden können. Digitale Infrastrukturen wie diese bieten zudem auch dezentralen und semiprofessionell organisierten Hetz-Netzwerken und rechten „Trollen“ die Bedingungen für die systematische Einschüchterung bestimmter Menschen und die allgemeine Destabilisierung demokratischer und geschlechteregaliträrer Werteordnungen.

Konzeption: Thorben Mämecke, Tobias Matzner, Jutta Weber
Die Vorträge wurden aufgezeichnet und stehen auf der Ringvorlesungs-Homepage als Podcasts zur Verfügung.

Wi­Se 2019/20 | Me­­di­en | Uto­pi­en

Utopien wie Dystopien haben gemeinsam, die Gesellschaft der Gegenwart zu beobachten und Alternativen zu entwickeln. Dabei handelt es sich immer auch um Erzählungen über Zukünfte, deren Ausgestaltung in konkreten Medienformaten erfolgt. Medien fungieren hierbei nicht nur als maßgeblicher Träger dieser Narrative, sondern dienen wiederkehrend selbst als „Wunschkonstellationen“ (H. Winkler), wie sich an zahlreichen utopisch konnotierten Diskursen beim Auftreten von neuen Medien ablesen lässt.

Die eingeladenen Vorträge der Reihe bieten Einblicke in aktuelle Forschungen und zeitgenössische Theoriepositionen: Von radikalen Technikutopien und Kritik an digitalem Kolonialismus, über visionäre Beschreibungen des frühen Internets, bis hin zu Veränderungen durch eine ‚freie‘ Verbreitung von Wissen oder hochauflösende Bildmedien.

Die Zukunft ist der ungewisse Horizont unserer Handlungen und Entscheidungen. Die Ringvorlesung will Anstöße geben, Medien als Bestandteil von Veränderungen und Beobachtung von Zukunftsentwürfen zu diskutieren und nach den medialen Bedingungen für eine ‚andere‘ Gesellschaft fragen.

Konzeption: Michel Diester, Christian Schulz und Serjoscha Wiemer

Die Sattelzeit zwischen 1750 und 1850 wurde durch Reinhart Koselleck zu einem stehenden Begriff für eine neue »Ausrichtung des Gegenwartsverständnisses an der Zukunft« (Gumbrecht). Während die Missstände in vormodernen oder noch absolutistischen Zeiten als gottgegeben, d.h. unabänderlich hingenommen worden waren, wurden sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts erstmals als von einem politischen Subjekt veränderbar wahrgenommen. Zukunft wurde zum nach vorne offenen Raum der Handlungsplanung. Da Koselleck sich in erster Linie für Mentalitätsgeschichte und soziale wie auch politische Semantiken interessiert, verlegt er das Gewicht seiner Studien sehr stark auf die Seite menschlicher Handlungsmacht. Mit dem Epochenschnitt der Französischen Revolution lassen sich aber zugleich zahlreiche medientechnische und damit verknüpft auch organisationslogische, d. h. logistische und infrastrukturelle Innovationsschübe mit ihren entsprechenden politischen Implikationen nachweisen. Der Vortrag versteht sich als Plädoyer dafür, die Relevanz dieser medientechnischen Ensembles medienkulturgeschichtlich ernst zu nehmen. Anhand exemplarischer Utopien und kommunistischer Programmatiken wird das reflektierte politische Zusammenwirken von Mensch und
Medientechnik nachgezeichnet: von Charles Fouriers Phalanstère-Architekturen über Marx‘ und Engels‘ Reflektionen auf Kommunikationstechnologien bis hin zu Edward Bellamys protokybernetischem idealen Staat. Die Veränderungsbestrebungen entwarfen und analysierten technopolitische Zukünfte, die, mit Walter Benjamin gesprochen, sämtlich auf dem ›Trümmerhaufen der Geschichte‹ gelandet sind. Angesichts der derzeitigen Rhetorik von Alternativlosigkeit sind sie wichtige Zeugnisse eines politischen Verständnisses von Gegenwart – einer Gegenwart nämlich, die als Chance zur Gestaltung von Zukunft begriffen wird.

Das Meer, der Meeresboden, das Wasser bilden die Umgebungen sich durchkreuzender Realitäten und Diskurse. Flucht und Migration über das Mittelmeer, Plastikmüll und Glasfaserkabel sind stichpunktgebend für die gegenwärtige „Konjunktur“ (Heidenreich 2019: 176) des Blicks ins Unterwasser. Selbst künstlerische Medialisierungen verhalten sich dazu kaum mehr gegenkonjunkturell, so zumindest das latent wahrnehmbare Raunen in Anbetracht der neuesten Ausstellung zum Thema Meer. Auch sie von den Strömungen neoliberaler Verwertungsketten fortgespült? Auch sie nur ganz oben auf der Welle des neuesten turns, des oceanic turns. Inwiefern allein solche Zuschreibungen einem spezifisch westlichen und medial gebundenen Zeit- und Zukunftsbegriff unterliegen, möchte ich in diesem Vortrag diskutieren. Afro-Fabulation nach Tavia Nyong´o dient mir dabei als ein Ansatz der „tactical fictionalizing of a world that is, from the point of view of black social life, already false“ (Nyong´o 2019: 6). Diese taktischen Fiktionalisierungen einer Welt, die sich aus Perspektive marginalisierter Schwarzer und Brauner Menschen immer schon als falsch erweist, bilden den Ausgangspunkt, in der Geschichte des Post-Kolonialismus Gegenzukünfte wieder zu entdecken (Eshun 2003: 301), also Zukünfte, die entgegen der entwürdigenden Gewalt imaginiert wurden. Diese Gegenzukünfte bilden die Brücke einer Gegenwart des digitalen Kolonialismus below vision.

Wissen wächst, wenn man es teilt. «Open Science» – oder mit Blick auf die Sozial- und Geisteswissenschaften eher «Open Scholarship» – zielt darauf ab, möglichst Viele an der Produktion,
Distribution und Rezeption von Wissen teilhaben zu lassen. Transparente und damit nachvollziehbare, nachprüfbare und reproduzierbare Forschungs-, Lehr- und Publikationspraktiken sollen kollaborative Arbeitsformen ermöglichen und so zu einer nachhaltigeren und produktiveren Wissenschaft beitragen. In der Film- und Medienwissenschaft bedeutet «offene Wissenschaft» bislang vor allem «Open Access», den kostenfreien Zugang zu Forschungsliteratur.
In dem Vortrag wird erläutert, inwiefern es bei «Open Access» jedoch um mehr gehen muss als um das Verfügbarmachen von gratis Publikationen und warum die Veröffentlichung von Büchern und Artikeln nur einen Teilbereich der Wissenskommunikation darstellen.

Die Rede von einer Veränderung der Zeit durch digitale Technologien ist selbst der Zeit unterworfen. Das wird besonders deutlich, wenn wir die visionären Beschreibungen des frühen Internets in den Blick nehmen, die sich deutlich von den Diagnosen unserer gegenwärtigen medientechnischen und temporalen Konstellation unterscheiden: In den Utopien und Zukunftsvisionen des Internets finden sich Entwürfe einer durch digitale Vernetzung neu hervorgebrachten Temporalität, die sich abseits von allen sozialen, politischen und ökonomischen Ordnungsstrukturen entfalten könne – in einer Welt jenseits des Bildschirms. In diesem Sinne teils euphorisch, teils apokalyptisch anmutende Beschreibungen einer anderen Zeitordnung des Internets lassen sich etwa in den essayistischen Schriften der Medienphilosophen Vilém Flusser und Pierre Lévy, in den frühen internetkritischen Texten des Medienwissenschaftlers und -aktivisten Geert Lovink, aber auch in Manuel Castells soziologischer Analyse einer sich herausbildenden Netzwerkgesellschaft nachlesen. Das Argument beschränkt sich nicht auf den Diskurs der 1980er bzw. 90er Jahre, es ist auch in späteren Analysen der Network Time noch anzutreffen. Diese Utopien des Internets priorisieren räumliche Analysemodelle. Zwar ist von Zeit die Rede, leitend für die frühen Internetbeschreibungen ist jedoch die Metapher des Cyberspace. Filmische Darstellungen wie Tron aus dem Jahr 1982 geben dieser räumlichen Figuration ein eindrückliches Bild. Die konstatierte wilde Mixtur der befreiten bzw. ungeordneten Temporalitäten vollzieht sich in einer klar abgegrenzten Blackbox. Es ist, in den Begriffen Michel Foucaults formuliert, erst der als ‚andere Ort‘ entworfene Cyberspace, der die Emergenz einer ‚anderen Zeit‘, die Heterochronie der digital vernetzen Temporalitäten ermöglicht.

Akzelerationismus versteht sich als politisches Programm, das technische Fortschritte umfassend für alternative Gesellschaftsentwürfe nutzen will. Akzelerationismus ist aber auch eine Sammlung theoretischer Perspektiven, mit denen sich seine Verfechter_innen von ähnlichen Ideen z.B. aus dem Silicon Valley abgrenzen. Insbesondere steht im Hintergrund des Akzelerationismus der Versuch, neue metaphysische Theorien sozial oder politisch einzusetzen. Unter den Stichworten „Spekulativer Realismus“ oder „Objektorientierte Ontologie“ sind in den letzten 15 Jahren realistische Metaphysiken gegen sprach- und sozialkonstruktivistische Theorien gesetzt worden. Dieser metaphysische Realismus begründet für den Akzelerationismus erstens die Möglichkeit eines technikgetriebenen Wegs zu einer besseren Gesellschaft und zweitens die große Rolle, die affirmativen und ästhetische Praktiken dafür spielen – im Gegensatz zu kritischen und politischen Prozessen.
Der Vortrag entwickelt diesen Zusammenhang zwischen Metaphysik, Techniknutzung und Gesellschaftsentwürfen. Dadurch zeigt sich der Akzelerationismus als besondere Form der Utopie, die  ich nicht so sehr durch die Imagination einer anderen Gesellschaft auszeichnet, sondern sich aus einem anderen, „realistischen“ Blick auf das Heute speist.

So­Se 2019 | Me­di­en | Dys­to­pi­en

Die Ringvorlesung "Medien | Dystopien" am medienwissenschaftlichen Institut der Universität Paderborn möchte nach dem Verhältnis von Medien(-wissenschaft) und Dystopien fragen. Dafür soll in einem ersten Schritt nach der Mediengeschichte der Dystopie selbst und damit der Historizität dystopischer Narrative gefragt werden: Wie erklären sich beispielsweise bestimmte Konjunkturen dystopischer Narrative? In einem zweiten Schritt wendet sich der Blick auf aktuelle Debatten und ihre dystopischen Entwürfe in Kontexten von Überwachung und Kontrolle, künstlicher Intelligenz oder auch des Human Enhancement. In einem letzten Schritt schließlich soll die Theoriebildung selbst Gegenstand werden, fußen theoretische Beschreibungen wie das Anthropozän, die Gaia-Hypothese oder auch die Dark Ecology oft auf einem dystopischen Weltbild.

16.04.2019 Solvejg Nitzke (Dresden): Grüne Paranoia. Über Beziehungswahn, Ökologie und Zukunft

07.05.2019 Lars Schmeink (Hamburg): Die Zukunft des Menschen: Posthumane Visionen im Science Fiction Film

21.05.2019 Jutta Weber (Paderborn): Fantastische Wissenschaft. Zur Rolle der Imagination in der aktuellen Sicherheitsforschung

04.06.2019 Andreas Sudmann (Wien/Berlin): Maschinelles Lernen und die Imagination kreativer Maschinen

18.06.2019 Gerald Farca (Augsburg/Leipzig): Playing Dystopia: Die schlechteste aller Welten in Videospielen

02.07.2019 Jürgen Manemann (Hannover): „Dass es so weiter geht, ist die Katastrophe“ - Perspektiven einer neuen Humanökologie

Beginn ist jeweils Dienstag, 18:15 Uhr. Veranstaltungsort ist der Raum E.2.339 (Universität Paderborn, Warburger Straße 100, 33098 Paderborn). Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.

Konzeption: Franziska Schloots, Christian Schulz und Henrik Wehmeier. Diese Veranstaltung wird gefördert durch die Fakultät für Kulturwissenschaften der Universität Paderborn.

Wi­Se 2018/19 | Ar­chiv­prak­ti­ken: Sam­meln und Spei­chern un­ter di­gi­ta­len Be­din­gun­gen

Nach Friedrich Kittler zählt das Speichern zu den basalen Medienfunktionen – Inhalte werden für den Wiederaufruf oder die Tradierung an spezifischen Orten ,stillgestellt‘ und aufbewahrt. In diesem Sinne schlägt die Medienfunktion des Speicherns eine Brücke zum Begriff des Archivs. Als Dispositive ermöglichen und formieren Archive Zugriffe auf historische Quellen, auf künstlerische Arbeiten, technisch-mediale Artefakte, wissenschaftliche Erkenntnisse oder Alltagsgegenstände.

Theoretische und technische Entwicklungen stoßen dabei immer neue Diskussionen über die Möglichkeiten und Grenzen von Archiven an. Wie lassen sich etwa kulturelle Phänomene archivieren, die sich nicht in Dingen kristallisieren? Als Beispiele können hier Kulturtechniken (z.B. spezifisch mediale Praktiken) oder die performativen Vollzüge von Software (z.B. das play von Videospielen) dienen. Aber auch da, wo sich gegebenenfalls archivierbare Artefakte identifizieren lassen, stellen digitale Phänomene aktuell eine Herausforderung dar. Wie geht man etwa damit um, dass Softwaregeschichte immer auch Versionengeschichte ist? Muss parallel Hardware archiviert werden, um die Lauffähigkeit von Software zu garantieren?

Doch nicht nur auf der Ebene der Gegenstände und ihrer Behandlung, sondern auch auf der Ebene ihrer medialen Infrastruktur sind Archive derzeit Transformationen unterworfen. Methoden und Techniken, wie sie vor allem im Rahmen der digitalen Kulturwissenschaften diskutiert werden, versprechen Antworten auf Fragen und Probleme des Archivs. Unstrittig ist in jedem Fall, dass mit Retrodigitalisaten neue Wissensobjekte auf den Plan treten und sich Zugänge zu Material verändern. Im Kontext des Digitalen kann somit auch eine Neuverhandlung von Archivpraxen erfolgen. Aus medienwissenschaftlicher Perspektive ist hier u.a. interessant, wie (digitale) Archive als mediale Bedingung in die Produktion historischen Wissens eingebunden sind. Welche Rolle spielen etwa Interfaces, um den Zugang zu Archiven vorzustrukturieren? Welche Effekte hat die verstärkte Bedeutung von epistemischen Bildern in Form von Digitalisaten?

In diesem Spannungsfeld bewegt sich das Interesse der Ringvorlesung. Auch die Medienwissenschaft gehört zu den akademischen Disziplinen, die den Zugriff auf mediale Artefakte – Schriftzeugnisse, Kommunikations- und Forschungsapparaturen, Fotografien, Tonaufnahmen, Filme oder Computerspiele – für ihre historische, strukturelle, gesellschaftliche oder ästhetische Erforschung benötigt. Die Ringvorlesung fragt daher nach der Bedeutung, die das Archiv für die gegenwärtige Medienwissenschaft hat. Andersherum bedürfen die skizzierten Transformationen und Herausforderungen einer theoretischen Reflexion durch die Medienwissenschaft.