Die Freude ist groß in Erfurt: gestern wurden die Stätten des Jüdisch-Mittelalterlichen Erbes in Erfurt auf der Sitzung des zuständigen UNESCO-Komitees in Riad zum Weltkulturerbe der Menschheit erklärt. Beim Public Viewing im Rathaus mischten sich dabei Jubelrufe in deutscher und russischer Sprache, von Mitgliedern der jüdischen Gemeinde und der christlichen Kirchen und von Erfurtern, die keiner religiösen Gemeinschaft angehören und aus unterschiedlichen Ländern stammen. In Riad selbst waren Vertreter:innen der Stadt und der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde vor Ort, als die Entscheidung verkündet wurde.
In den letzten 14 Jahren wurde der Antrag zur Aufnahme im Weltkulturerbe gründlich wissenschaftlich vorbereitet und auch in die Stadtöffentlichkeit hinein getragen. Viele Schüler:innen waren bei Kinderstadtführungen auf Schatzsuche, interessierte Erfurter:innen konnten an Konzerten und Vorträgen zur mittelalterlichen Geschichte teilnehmen, die Erfurter jüdische Gemeinde hatte sich in vielfältiger Weise in die Wiederentdeckung des jüdischen Erbes der Stadt eingebracht. Zahlreiche Konferenzen und Workshops hatten Kunsthistoriker:innen, Judaist:innen und Religionswissenschaftler:innen aus Deutschland und aus der ganzen Welt nach Erfurt gebracht, um die Funde zu untersuchen und zu diskutieren.
Und nun stehen drei historische Orte im Zentrum der Aufmerksamkeit und werden ganz besonderen Schutz und Förderung erfahren, Orte, die von der wechselhaften Geschichte jüdischen und christlichen Zusammenlebens in einer kleinen Stadt zeugen. Die Alte Synagoge mit Bauteilen aus dem 11. Jahrhundert ist die älteste erhaltene Synagoge Europas. Sie wurde erst 1988 von einer Denkmalpflegerin wiederentdeckt, nachdem sie jahrhundertelang als Lager und Gaststätte im Erfurter Stadtkern überdauert hatte. Die gut erhaltene Mikwe mit den ältesten Bauteilen aus dem 12. Jahrhundert direkt hinter der Krämerbrücke wurde erst 2007 ausgegraben. Sie diente als Kellerraum, aber bis heute steht in ihr natürliches lebendiges Wasser. Das Steinerne Haus, errichtet um 1200, ist ein Profanbau, errichtet von einer jüdischen Familie direkt hinter dem Erfurter Rathaus. Alle drei Gebäude zeigen, dass jüdische und christliche Familien viele Jahrzehnte Tür and Tür beieinander lebten, direkt im Stadtkern einer mittelalterlichen Stadt.
Mit der Entscheidung aus Riad werden die mittelalterlichen jüdischen Stätten besonders aufgewertet und sicherlich von vielen Besuchern aus aller Welt in ihre Reisepläne mit einbezogen. Aber auch für das Zusammenleben der Erfurter:innen wird sich einiges verändern. Das neue Weltkulturerbezentrum im Stadtkern, das nun gebaut werden kann, wird nicht nur Einblicke in die Geschichte geben, sondern auch Raum für etwas anderes bieten, das sich viele in Erfurt schon lange erträumten: ein koscheres Bistro.
Das Institut für Evangelische Theologie und das ZeKK gratulieren herzlich zur Ernennung der Stätten des Jüdisch-Mittelalterlichen Erbes in Erfurt als Weltkulturerbe der Menschheit!
Claudia Bergmann, Verfasserin dieses Beitrags, ist ggw. Professurvertreterin an der Universität Paderborn. Sie ist Mitherausgeberin eines Bandes zu jüdischen rituellen Objekten in Thüringen, Erfurter Schriften zur Jüdischen Geschichte 6 "Ritual Objects in Ritual Contexts". Dieses Buch ist ein Sammelband von Vorträgen und Aufsätzen einer Konferenz zu rituellen Objekten, die 2019 in Erfurt stattgefunden hatte und nationale und internationale Wissenschaftler:innen nach Erfurt brachte. Außerdem hat Bergmann bei der englischen Übersetzung des Weltkulturerbeantrags mitgewirkt.