CfP: Com­pu­ter in Deut­sch­land. Neu­e­re For­schun­gen aus der Di­gi­tal­ge­schich­te und Com­pu­ter­a­r­chäo­lo­gie zum 100. Jah­res­tag von Heinz Nix­dorf

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Am 9. April 2025 wäre Heinz Nixdorf 100 Jahre alt geworden. Der Paderborner Computerunternehmer steht paradigmatisch für die Digitalgeschichte Deutschlands mit regionalem Beginn, Aufstieg in der Zeit des Wirtschaftsbooms mit mittlerer Datentechnik, die große Verbreitung und Nutzung im Mittelstand fand, und schließlich dem Niedergang der Hardwareproduktion in Zeiten von Globalisierung, Internet und Software. Seine technischen Entwicklungen und sammlerischen Tätigkeiten bilden heute den Grundstock des Heinz-Nixdorf-Museumsforum als einem neuen Typus von Computermuseum in Deutschland und Sinnbild der Historisierung und Aktualisierung der Computergeschichte. Gleichzeitig wirkte Heinz Nixdorf vor Ort in der Stadt Paderborn und nahm von hier wichtige Impulse auf, die sein Unternehmen prägten. Das Historische Institut der Universität Paderborn nimmt dieses Jubiläum gemeinsam mit der Fachgruppe für Informatik- und Computergeschichte der Gesellschaft für Informatik zum Anlass, eine Tagung zu neueren Forschungen aus der Digitalgeschichte und Computerarchäologie zu veranstalten.

In den letzten Jahren hat die historische und medienarchäologische Forschung zu Computern, deren Einsatz und Bau in Deutschland einen gehörigen Schub erfahren. Aufbauend auf den Arbeiten aus den 1980er- und 1990er-Jahren, den wichtigen Berichten von Zeitzeug*innen und der hardwarenahen Betrachtung nehmen Wissenschaft und Vermittlung nun zunehmend die Fragen von Alltags- und Arbeitskultur, Gerechtigkeit und Gleichberechtigung in deutsch-deutscher Perspektive, Bildung, Umwelt in globalen Zusammenhängen und über den gesamten Produktzyklus hinweg in den Blick. Hinzu kommen neue Themen wie digitale Souveränität, Mobilität/mobile Computing, künstliche Intelligenz, World Wide Web, Soziale Medien oder Bildverarbeitung. Nicht mehr der Computer selbst war das Novum, sondern seine Verbreitung und Wirkung jenseits simplifizierender technikdeterministischer Annahmen. Das gilt auch insbesondere für die regionalen und lokalen Zusammenhänge, beispielsweise zum Computereinsatz in Städten wie Gütersloh, Regionen wie Westfalen oder dem Ruhrgebiet. Die Tagung möchte sich in historischer und interdisziplinärer Perspektive mit Computer in Deutschland in ihrer ganzen Vielfalt beschäftigten.

Die Tagung wird vom 7.-8. November 2025 am Heinz-Nixdorf-Museumsforum in Paderborn stattfinden. Als Rahmenprogramm wird es neben einer Keynote eine Führung durch die Dauerausstellung und die neu gestalteten Bereiche zu Heinz Nixdorf und den Mikrocomputern geben.

Sprache: Deutsch

Deadline für Abstracts: 30. April 2025

 

Die Tagung wird im Rahmen der Jahrestagung zu „Fragen der Geschichte“ des Historischen Instituts, Fakultät für Kulturwissenschaft, der Universität Paderborn ausgerichtet. Die Jahrestagung setzt sich zum Ziel, Expert*innen und Geschichtswissenschaftler*innen zu aktuellen Themen zusammenzubringen und zudem einen Austausch auf mit regionalen Akteuren in Westfalen zu etablieren. Publikum und ebenso Beitragende können daher auch von Museen über Gedächtnisinstitutionen wie Archiven und Bibliotheken bis hin zu Erinnerungsorten und der interessierten Öffentlichkeit kommen, Ortsheimatpfleger, Denkmalpfleger und Geschichtsvereine wichtige Träger der regional- und heimatgeschichtlichen Forschungen und Erinnerungskultur. In all diesen Bereichen ist der Computer heute nicht mehr wegzudenken – und können Digitalgeschichte und Computerarchäologie vom breiten Wissen vor Ort und in den Regionen profitieren.

Erwünscht sind Vorträge, die die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts mit einem Schwerpunkt auf Computer in oder aus Deutschland in den Blick nehmen. Vorträge, die regionale, europäische oder globale Vernetzungsprozesse und Verflechtungen mit Bezug zu Deutschland untersuchen, besonders wenn sie über die westliche Welt hinausgehen, sind ebenso gefragt. Explizit sind auch Beiträge gewünscht, die sich mit Computern in Ostdeutschland und der ehemaligen DDR auseinandersetzen. „Deutschland“ wird hierbei nicht als starrer nationaler Rahmen begriffen, sondern in seiner regionalen Vielfalt, politischen Vielfältigkeit, sprachlicher Verbreitung und imaginativer Konstruktion in Europa. Beiträge, die sich innovativer Konzepte der Digital Humanities oder bisher unbekannter Quellenbestände aus regionalen Archiven bedienen, sind besonders gefragt.

Folgende Fragestellungen und Themen bieten sich an, die Veranstalter*innen sind jedoch offen für weitere Themen:

 

  1. Nutzungsformen und Wirkungskontexte des Computers: Computer eroberten spätestens in den 1970er-Jahren alle Bereiche des gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Lebens. Von der Landesvermessungsanstalt bis zum Theater, von der Rentenversicherung bis zu den Hackern, von den Startups bis zu den „Silver Surfern“, von der Steuererklärung über die Fabrik des Automobilherstellers bis hin zur Müllabfuhr sind Computer im Alltag nicht mehr wegzudenken. Allerdings erschienen die Computer dort nicht plötzlich über Nacht, sondern es brauchte lange Einführungsprozesse, manche Sackgasse und es gab zahlreiche Widerstände gegen die Computer. Wie wurden Computer für welche Zwecke gebaut und eingesetzt? Wer verrichtete an ihnen welche Arbeit? Wer schrieb die Software dafür, welche Prozesse mussten so angepasst werden, dass sie in den Computer übertragen werden konnten? Welche Quellen liegen uns darüber vor und wie können wir sie bewahren und archivieren? Welche Konsequenzen hatte der Einsatz digitaler Computer und Kommunikationstechnik in längerer Perspektive, bspw. für Kulturen der Arbeit, staatliche Herrschaft oder zwischenmenschliche Beziehungen? Wo wurde sein Impact überschätzt, welche Computerbilder gilt es korrigieren?
  2. Der Computer in der Region: Auch wenn der Diskurs über Digitalisierung, EDV und Computer oft seltsam ortlos war, international verallgemeinert und abstrahiert wurde, fand Computerherstellung und ihr Einsatz stets an ganz konkreten Orten statt. Hier gilt es, die Hallen von Computerfabriken, die Computerräume in Rechenzentren, die Netzwerkkabel in den Büro- oder Schulgebäuden wieder in den Blick zu nehmen und an ihre konkreten lokalen Bedingungen rückzukoppeln. Welche Unterschiede lassen sich zwischen deutschen Städten ausmachen? Welche Regionen setzten besonders auf Computer und die Versprechungen von Information und Kommunikation – und warum? Welche Gemeinsamkeiten gab es zwischen Ost und West im Computereinsatz, wie unterschied sich die jeweilige Hard- und Software zwischen Sozialismus und Marktwirtschaft? Wie waren lokale Orte in Deutschland in europäische, grenzüberschreitende und internationale Prozesse involviert, trieben sie voran, wurden von ihnen getrieben? Welche Spuren finden wir davon in den Archiven vor Ort, von privaten Sammlungen über Stadtarchive bis hin zu Landesarchiven? Welche Akten wurden bisher übersehen, welche Sammlungen bieten neue Perspektiven? Wie wird der Computer unterschiedlich erinnert, bspw. durch Gedenktafeln, in lokalen Retrocomputing-Gruppen oder Technikmuseen?
  3. Umwelt und Computer: Inzwischen ist vielen Menschen bewusst, dass der Mythos der emissionsfreien und umweltfreundlichen Digitalisierung geplatzt ist – und Deutschland ist mit seiner stark kohlebasierten Stromproduktion und global vernetzten Lieferketten keine Ausnahme. Aufgrund des enormen Ressourcen- und Energieverbrauchs von Bitcoin, Blockchain und KI ist die deutsche Gesellschaft aufmerksam auf die Umweltwirkungen von Computern geworden. Welche Auswirkungen hatten Computer auf Natur und ihre Wahrnehmung in Deutschland? Wann begannen Informatiker*innen, über diese Wirkungen nachzudenken? Unter welchen Umständen problematisierten Stadtbevölkerungen oder Politik*innen und Verwaltung dieses Wechselspiel? Wie lassen sich die Umweltwirkungen von Rechenzentren, Computerproduktion und Kommunikationsinfrastruktur überhaupt bemessen, sichtbar machen und historisch evaluieren?
  4. Archäologie der Computer: Computerarchäologie rückt die konkreten Apparate als technische Dispositive und operative Medien ins Zentrum ihrer Forschung. Sie versucht damit einerseits historische Aspekte des Computings über experimentelle Verfahren (z.B. des Re-enactments) zu ‚vergegenwärtigen‘, um Nutzungsweisen von Computern und Peripherien hands-on zu ergründen; andererseits stellt sie über die Operativsetzung der Geräte deren ahistorische Aspekte (das Computing) heraus: In Szenen des Retrocomputings fragt sie, welche unzeitgemäßen Nutzungsweisen historischer Computer auch heute noch existieren – etwa in Form von neu entwickelter Peripherie, Software oder Verwendungsweisen. Sie liefert damit einer Hands-on-Computermuseologie Argumente und stellt alternative Konzepte der Hardware-, Software- und Knowledge-Preservation vor. Vorträge aus diesem Bereich können sich mit aktuellen Kulturen der deutschen ‚Mittleren Datentechnik‘ (Sammlungen, Preservation-Projekten), mit Neuimplementierungen von Software, Konzepten für operative Ausstellungen und Bewahrungsstrategien beschäftigen. Sie können einzelne Ausstellungen oder Sammlungsteile vorstellen oder eine computer- und medienarchäologische Einordnung der deutschen Computerindustrie in die Geschichte der Computer und des Computings vorstellen.
  5. Computervernetzung: In den 1990er-Jahren beschleunigte sich ein Prozess der Computervernetzung, für den in den Jahrzehnten zuvor die technischen und sozialen Grundlagen gelegt worden waren. Universitäten bauten Forschungsnetzwerke aus, in Darmstadt fand die dritte WWW-Konferenz statt, die DDR bekam kurz vor ihrem Ende eine Domain, Spiegel Online wurde zum Diskursmacher im Internetboom und StudiVZ brachte soziale Medien nach Deutschland. Die Rolle Deutschlands in der Entwicklung von Computernetzwerken, dem World Wide Web, den Sozialen Medien und Plattformen ist bisher wissenschaftlich noch unterbeleuchtet. Welche Firmen trieben in Deutschland Computernetzwerke voran? Welche Wissenschaftler*innen arbeiteten mit an zentralen Protokollen, Netzwerksoftware oder Vernetzungsalgorithmen? Wie stellten sich Hardwarehersteller wie Siemens oder Nixdorf auf den Wandel des Computers hin zur Kommunikationsmaschine ein? Welche Rolle spielten lokale und regionale Verbünde, Akteure vor Ort wie Hacker, Bastler, Hobbyisten und Aktivisten? Welche Bedeutung hatte die Mobilkommunikation „made in Germany“, von D2 Mannesmann bis zu Siemens Mobile?
  6. Künstliche Intelligenz: Bereits seit der Entwicklung erster Digitalcomputer wurden diese als „Elektronengehirne“, lernfähige „Intelligenzmaschinen“ oder Wissensspeicher beschrieben. Schon früh experimentierten die Entwickler*innen mit der Fähigkeit von Computern, Schach zu spielen, Sprache zu verstehen oder Bilder zu erkennen. Die Forschung zur deutschen KI-Entwicklung hat in jüngster Zeit einen enormen Schub erhalten – und ist doch durch die Entwicklungen um große Sprachmodelle plötzlich in eine ganz andere Richtung gedreht worden. Wie aber verhält sich die Geschichte der Künstlichen Intelligenz in Deutschland überhaupt zur Digitalisierung? Lösen Großbezeichnungen wie KI-literacy oder dem „Age of AI“ die Vorstellungen von Digitalisierung als historischem Basisprozess ab? Wie verändert die Entwicklung von großen Sprachmodellen unseren Blick auf Computerarchäologie, die Geschichte der Digitalisierung – und wie wir sie schreiben?
  7. Computer im Museum / Sammlung / Archiv: Computer und Software auszustellen ist und bleibt eine Herausforderung für Museen, ihre Zeugnisse zur archivieren eine Herausforderung für Gedächtnisinstitutionen. Und kaum scheinen die ersten Standards etabliert und Lösungen gefunden, kommt der nächste Hype um die Ecke und vergrößert die Probleme von begrenzter Manpower, komplexer Langzeitarchivierung und interaktiver Ausstellungsgestaltung. Insbesondere die Retro-Computing bewahrt wertvolles Wissen und Hobbyisten halten Maschinen lauffähig und Software ausführbar; aber auch Archive haben sich inzwischen auf den digital turn eingestellt, Mechanismen entwickelt, auch Software zu archivieren und Korpora aus Webseiten erstellt. Werden diese Formen der Geschichtsschreibung der Digitalisierung gerecht? Wie bewahren eigentlich Mittelaltermuseen ihre digitalen Experimente der 1990er-Jahre für die Nachwelt auf? Was können Archive von der Computerarchäologie lernen, was kann vergessen werden, was muss bewahrt bleiben? Welche neuen Akteure kamen in Deutschland mit der Zeit durch die Digitalisierung in die GLAM-Institutionen, welche neuen Fähigkeiten wurden benötigt oder zugekauft?
  8. Begrifflichkeiten/Diskurse/Bewertungen: Es gilt, den Begriff des „Computers“ zu analysieren und seine Konjunkturen in Deutschland jeweils historisch einzuordnen: Wie wurde über „Computer“(arbeit) diskutiert, mit welchen Begriffen wurde sie beschrieben und assoziiert? Wie veränderten sich diese im Laufe der Zeit und im Kontext der Digitalisierung? Was ist jeweils mit dem Begriff Rechner, EDV, IT, Soziale Medien gemeint, an welche Formen des Computing wurde gedacht? Wie verhält sich Digitalität, Computer und Körperlichkeit? Wie wurden Computer historisch jeweils bewertet und von wem? Welche Temporalstrukturen wurden mit Computern in Deutschland verbunden?

 

Bitte senden Sie Ihren Vorschlag mit einem vorläufigen Titel, einer Zusammenfassung von 200-300 Wörtern und einem kurzen Lebenslauf bis zum 30. April per E-Mail an die Organisatoren martin.schmitt@uni-paderborn.de oder stefan.hoeltgen@uni-bonn.de.

Die Fachgruppe ›Informatik-und Computergeschichte‹ widmet sich den historischen Aspekten von Informatik und Gesellschaft. Neben der Geschichte von Maschinen, Software und Netzen steht die Geschichte ihrer Nutzung und der Anwendungen von Informatik und Informationstechnologien im Fokus der Arbeit. Weitere Informationen und Mailingliste: https://fg-infohist.gi.de

Franz-Josef Strauß eröffnet im Frühjahr 1969 das DATEV-Rechenzentrum in Nürnberg
Franz-Josef Strauß eröffnet im Frühjahr 1969 das DATEV-Rechenzentrum in Nürnberg; Foto: DATEV 1969, Bischof & Broel, https://www.datev.de/web/de/m/ueber-datev/das-unternehmen/geschichte/chronologischer-ueberblick-1966-bis-1975/#image-2