Über die Anderen unterrichten in Christentum und Islam
Projektbeschreibung
Das Forschungsnetzwerk widmet sich einer hochaktuellen und gesellschaftlich relevanten Herausforderung: Wie kann interreligiöses Lernen in der Ausbildung von Religionslehrer:innen im Bereich Christentum und Islam nachhaltig und professionell gestaltet werden? Während sich die jüdische Perspektive bislang aufgrund fehlender institutioneller Strukturen noch nicht einbinden lässt, richtet das Netzwerk seinen Fokus zunächst auf die christlich-islamischen Studienanteile – mit der klaren Vision, die interreligiöse Lehrer:innenbildung als wissenschaftliches Feld zu etablieren und weiterzuentwickeln.
Im Zentrum steht die Erkenntnis, dass es bislang kaum einen strukturierten, wissenschaftlich fundierten Diskurs zur Rolle interreligiöser Inhalte in der Lehrer:innenbildung gibt – obwohl genau dieser für eine qualitätsvolle Schulentwicklung und ein konstruktives Miteinander im Klassenzimmer unerlässlich ist.
Die Auswertung bestehender Forschungsarbeiten zeigt: Der Großteil der bisherigen Studien ist stark an Evaluationsprozessen einzelner Lehrprojekte orientiert. Zwar liefern diese wichtige Einblicke, greifen aber oft zu kurz, wenn es darum geht, komplexe Spannungsfelder – wie religiös motivierte Ausgrenzung oder das Nicht-Thematisieren latenter Konflikte – differenziert zu analysieren und in die Gestaltung zukünftiger Lehre einzubeziehen.
Besonders in der Hochschullehre zeigt sich ein Spannungsfeld: Einerseits wird religiöse Differenz zunehmend sensibel wahrgenommen, andererseits verhindert eine vorwiegend deskriptive Wissensvermittlung ohne Positionierung, dass sensible Themen wirklich produktiv verhandelt werden. Die Erkenntnisse der Paderborn-Osnabrücker-Forschungsgruppe unterstreichen dabei, wie sehr Lehrpraxis, gesellschaftliche Dynamiken und theologische Diskurse ineinandergreifen – und wie wichtig es ist, diese Beziehungsgeflechte systematisch zu erforschen.
Das Netzwerk setzt genau hier an. Es bündelt Expertise, schafft Raum für Reflexion und bringt Akteur:innen aus Theologie, Bildungsforschung und Schulpraxis in den Austausch.
Hauptverantwortlich für die Konzeption und Umsetzung des Projekts sind Prof. Dr. Dr. Reis, Jun-Prof. Naciye Kamcılı-Yıldız und Prof. Dr. Andreas Kubik-Boltres, die gemeinsam mit weiteren Kolleg:innen einen disziplinübergreifenden Dialog initiieren.
Innerhalb von fünf thematisch fokussierten Arbeitsgruppen werden die inhaltlichen Schwerpunkte erarbeitet, die den gemeinsamen Diskurs und die Entwicklung tragfähiger Konzepte tragen:
- Hoch-/Schulebene
Wie kann Lehrer:innenbildung schulnäher und professionssensibler gestaltet werden? - Theologische Ebene
Welche normativen und theologischen Grundlagen braucht ein reflektierter Umgang mit religiöser Differenz in Christentum und Islam? - Konzeptionsebene
Wie lassen sich kulturelle, gesellschaftliche und postkoloniale Perspektiven sinnvoll in die Ausbildung integrieren? - Implementationsebene
Was braucht es an didaktischen und kontextuellen Rahmenbedingungen, um wirkungsvolle Lernräume zu schaffen? - Methodologische Ebene
Wie lassen sich schul- und hochschulbezogene Lernerwartungen empirisch fassen und überprüfen?
Ziel ist es, die Hochschule als aktiven Forschungs- und Entwicklungsraum für interreligiöses Lernen zu stärken und damit einen nachhaltigen Beitrag für eine Lehrer:innenbildung zu leisten, die gesellschaftlicher Vielfalt nicht nur begegnet, sondern sie produktiv mitgestaltet.
Arbeitsgruppen des DFG-Forschungsnetzwerks
,,Interreligiöses Lernen im Religionsunterricht in der Schule als Herausforderung für die Lehrer:innenbildung"
Verantwortliche: Prof Dr. Marion Keuchen (Universiät Paderborn), Dr. Juliane Ta Van (Comenius-Institut Münster), Dr. Mehmet Tuna (Universität Innsbruck)
Die erste Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit den schulischen Anforderungen im Hinblick darauf, wie im Religionsunterricht über „andere“ Religionen gelehrt und gelernt wird. Leitend dabei sind die Fragen, welche Anforderungen zugleich Ziele für die Konzeption einer interreligiösen Lehrer:innenbildung sind? Wie lassen sich von den schulischen Anforderungen her Professionalisierungsaufgaben für die Lehrkraftbildungbeschreiben, die – eingedenk der Differenz der Kontexte – die Schulwirklichkeit erreichen können?
In einem ersten Arbeitstreffen, das schulformübergreifend ausgerichtet war, ging es um ein Wahrnehmen des Feldes aus der Sicht von Lehrpersonen, Fachleiter:innen und Fortbildner:innen des Islamischen und Evangelischen Religionsunterrichts. In der anschließenden vertieftenphänomenologischen Auseinandersetzung mit Fallbeispielen aus dem Islamischen und Evangelischen Religionsunterricht wird den hierbei gewonnenen Fragen weiter nachgegangen.
„Didaktisch-konstruktiver Umgang mit religiöser Differenz“
Verantwortliche: Prof. Dr. Etzelmüller (Universität Osnabrück), Prof. Dr. Woppowa (Universität Paderborn)
Postsäkulare Gesellschaften müssen sich nicht nur auf die bleibende Gegenwart von Religionen einstellen, sondern auch auf religiöse Differenzen. Religionslehrkräfte sind angefragt, religiöse Differenzen wahrzunehmen, Konflikte zu verstehen, aber auch Impulse zu gewinnen und zu fragen, wie und auf welchen Ebenen Schüler:innen sich dabei aktiv einbringen können. Das geplante Arbeitstreffen will erkunden, was die jüdische, christliche und islamische Theologie zu einer produktiven Gestaltung religiöser Differenzen beitragen können, um über die Arbeit mit den zukünftigen Lehrkräften später auch Jugendliche zu aktivieren, Differenzen konstruktiv anzugehen. Bei diesem Arbeitstreffen ist eine Beteiligung jüdischer Gelehrter vorgesehen, da in Islam und Christentum das Thema religiöse Differenz sinnvollerweise in Bezug auf und unter Beteiligung des Judentums zu erörtern ist.
„Religion und interreligiöse Bildung im Kontext natio-ethno-kultureller Zuschreibungspraktiken“
Verantwortliche: Prof. Dr. Dr. Joachim Willems (Universität Oldenburg), Jun.-Prof. Dr. Naciye Kamcili-Yildiz (Universität Paderborn)
Eine zeitgemäße Lehrer:innenbildung muss sich heute an migrationsgesellschaftlichen Bedingungen orientieren. In der „postmigrantischen Gesellschaft“ (Naika Foroutan) kommt es verstärkt zu Transformations- und Aushandlungsprozessen, die durch Minoritäts- und Majoritätsverhältnisse bestimmt sind. Mit dem Begriff der „natio-ethno-kulturellen Zugehörigkeit“ machen Paul Mecheril u. a. auf eine Konstruktion von Zugehörigkeit bei Selbst- und Fremdzuschreibungen aufmerksam, bei der Kategorien wie „Nation“, „Ethnizität“ und „Kultur“ verschwimmen. Dabei wird freilich der Aspekt der Religion in ihrer Ambivalenz programmatisch unterbelichtet und daher in ihrem Potenzial unterschätzt. Umgekehrt wird im interreligiösen Lernen die Intersektionalität der Religion mit gesellschaftlichen und diskursiven Machtverhältnissen wie z. B. Antisemitismus oder der antimuslimische Rassismus zumeist ignoriert. Mit Blick darauf möchte das Arbeitstreffen zum einen die ambivalenten Bezugnahmen auf Religion als Differenzdimension untersuchen und in eine Theorie der Intersektionalität einholen, und zum anderen erwägen, welche Konsequenzen sich aus der Verflochtenheit der Religion mit sozialen Machtverhältnissen im Hinblick auf mögliche zukünftige Professionalisierungsprozesse für Religionslehrkräfte ergeben.
Arbeitstreffen 4 im Frühjahr 2025
„Die Bedeutung der Hochschule als eigensinniger Kontext Interreligiöser Lehrpraxis“
Verantwortliche: Prof. Dr. Andreas Kubik-Boltres (Universiät Osnabrück), Prof. Dr. Angela Kaupp (Universität Koblenz), Prof. Dr. Dr. Oliver Reis (Universität Paderborn)
Bisherige Lehrprojekte sehen die Implementation des Lehrkonzepts implizit meist als vollständige Übersetzung des intentionalen Anliegens und messen anschließend in den Evaluationen den Durchfluss an möglichst viel Rationalität der Konzeption. In den Erziehungswissenschaften und der Hochschulforschung wächst jedoch das Bewusstsein dafür, dass dieser Forschungsansatz nicht trägt. Das Arbeitstreffen untersucht zwei Dinge: Zum einen geht es um den institutionellen Hochschulkontext in Deutschland, der die Vorstellungen einer dem Gegenstand angemessenen Lehre einwirkt. Zum anderen geht es um die Lehr- und Unterrichtspraktiken, in die hinein die didaktischen Intentionen überführt werden, die aber in konkreten Situationen Lehre eigensinnig formen und Vorstellungen einer linearen Implementation in Frage stellen. Es ist nötig, die Lehrpraxis als eigenständigen Wirkungsort mit dem Ziel zu beforschen, Szenarien mit ihren eigenen Wirkungsmöglichkeiten zu identifizieren.
„Religionslehrer:innenbildung angesichts heterogener Weltanschauungen: Lernerfahrungen, Lernerwartungen, Lerneffekte explorieren und erforschen“
Verantwortliche: Prof. Dr. Karlo Meyer (Universiät des Saarlandes), Dr. Carina Caruso (Universität Paderborn), ehemalig: Dr. Said Topalovi (Universität Erlangen-Nürnberg)
Im Fokus des Arbeitstreffen steht die Frage nach der Beschaffenheit des intendierten Lernertrags auf der Ebene kognitiver und nicht kognitiver Kompetenzen sowie dessen empirischer Erfassung. In der Religionslehrer:innenbildung existieren zwar erste Konzepte für interreligiöses Lernen an der Hochschule, diese enthalten in der Regel aber keine lern- oder entwicklungstheoretische Fundierungen für den Kompetenzerwerb. Auch werden bisher erwartete Lerneffekte in der Religionslehrer:innenbildung noch nicht systematisch untersucht. Das Arbeitstreffen diskutiert solche Fundierungen und Instrumentarien für die multidimensionale Erfassung des Lernertrags werden vorgestellt, exploriert und weiterentwickelt.
Projektleitung
Prof. Dr. Dr. Oliver ReisProfessor
Dekan |
Büro: N3.137 |
Jun.-Prof. Dr. Naciye Kamcili-YildizJuniorprofessorin
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Büro: TP6.0.103 |