Was haben uns Heilige Schriften heute zu sagen? Welche modernen Zugänge aus Literaturwissenschaft und Philosophie lassen sich fruchtbar machen, um den Koran oder die Bibel besser zu verstehen? Und was können Gläubige tun, um die Deutungshoheit ihrer Heiligen Texte nicht denen zu überlassen, die sie für Gewaltaufrufe missbrauchen? Fragen dieser Art diskutierten muslimische und christliche Theologinnen und Theologen auf zwei Workshops zum Thema „Schrifthermeneutik“ im Iran.
Vom 20.2. bis zum 1.3. reisten die Professoren Klaus von Stosch, Helga Kuhlmann (Universität Paderborn), Margaretha Gruber OSB (Phil.-Theol. Hochschule Vallendar) sowie Egbert Ballhorn (TU Dortmund) gemeinsam mit Promotionsstudierenden in den Iran, um dort in Vorlesungen und Seminaren nach interreligiösen Antworten zu suchen. Mit Unterstützung des DAAD konnten so neue Kontakte zur Ferdowsi-Universität in Maschhad und zum Institute for Humanities and Cultural Studies in Teheran geknüpft werden.
Dabei zeigte sich, dass beide Theologien vor der Herausforderung stehen, wie der historische Graben überbrückt werden kann, der zwischen der Lebenswelt der ersten Hörer der Offenbarung und den Gläubigen von heute liegt. Vertreter beider Religionen können unterschiedlicher Meinung sein, ob Gadamer dabei hilfreich sein kann oder nicht, und große Übereinstimmung bei der Lehre vom mehrfachen Schriftsinn entdecken. Die Teilnehmer lernten ihre eigene Tradition außerdem aus den Augen der anderen kennen: In den Seminaren diskutierten muslimische und christliche Doktoranden etwa gemeinsam den Exodus-Text der Zehn Gebote oder die Sure 19 des Koran, in der Maria die Geburt Jesu verkündigt wird. Dank der iranischen Gastfreundschaft gingen die Gespräche auch nach dem offiziellen Programm beim gemeinsamen Abendessen oder bei der Besichtigung des Imam-Reza-Schreins weiter. Welchen Sitz im Leben ein Heiliger Text hat, erschloss sich so nicht nur in den Diskussionen im Seminarraum, sondern ebenso im Heiligtum von Maschhad, wo ein Arzt von Heilungswundern berichtet, und bei der schiitischen Klageliturgie, während der erwachsene Männer das Schicksal der Prophetentochter Fatima beweinen. Begegnungen dieser Art sind wichtige Schritte, um die Kooperation zwischen dem ZeKK und iranischen Hochschulen weiter zu stärken.