Das Konstruktionslexikons der Romanischen Sprachen

Ein Konstruktionslexikon ist ein Verzeichnis lexikogrammatischer Fügungen, die neben einfachen und zusammengesetzten Wörtern auch konventionelle Wortkombinationen und mehr oder weniger allgemeine syntaktische Schemata umfassen. Es trägt damit dem Umstand Rechnung, dass eine Sprache zu beherrschen mehr ist als Wörter zu kennen und Regeln, mit denen man sie frei kombinieren kann. So muss ein Lerner des Deutschen wissen, das man einen Besuch abstattet und nicht *Besuch zurückgibt (wie auf Französisch, wo man rendre visite sagt) oder *einen Besuch verwirklicht (wie auf Spanisch, wo man realizar una visita sagt). Ein Konstruktionswörterbuch ist damit ein Nachschlagewerk, das solche Festlegungen, die es in den Einzelsprachen auf allen Ebenen gibt, systematisch erfass

1. Die Idee des Konstruktionslexikons der romanischen Sprachen

Eine der Grundideen der Konstruktionsgrammatik ist die Auflösung des Traditionellen Gegensatzes zwischen Grammatik und Lexikon. Statt Wörtern und Satzstrukturen gibt es in diesem Ansatz nur Konstruktionen. Einfache Wörter werden ebenso als Konstruktionen betrachtet wie komplexe Satzstrukturen. Damit wird es möglich, eine Vielzahl von sprachlichen Phänomenen zu begreifen, die sowohl lexikalische als auch syntaktische Eigenschaften haben und bislang in mehr oder weniger peripheren Unterdisziplinen der Sprachwissenschaft ohne Anschluss an einen übergeordneten theoretischen Rahmen behandelt wurden. Darunter fallen unter anderem

  • Verbalperiphrasen wie
    fr. s’obstiner à + Inf.,       
    sp. empeñarse en + Inf.,   
    dt. darauf beharren zu + Inf.,
  • Kollokationen wie       
    fr. mettre la table,
    sp. poner la mesa,
    dt. den Tisch decken,
  • Redewendungen wie     
    fr. envoyer promener,      
    sp. mandar a paseo,         
    dt. abblitzen lassen.

Dazu gehören auch

  • Satzbaupläne, die durch Verben vorgegeben werden (Valenz) wie in den Fällen      
    sp. pensar en + Obj.,        
    fr. penser à + Obj.,           
    dt. denken an + Obj.

oder

  • syntaktische Schemata wie    
    fr. il le lui donne [PPron]Subj + [PPron]dObj + [PPron]iObj + [V]Präd,        
    sp. se lo da [PPron]iObj + [PPron]dObj + [V]Präd,   
    dt. er gibt es ihr [PPron]Subj + [V]Präd + [PPron]iObj + [PPron]dObj.

Die grundlegende konstruktionsgrammatische Vorstellung eines kognitiv verankerten „repertory of constructions“ (Fillmore 1988: 37) führte in den letzten Jahren zu einer Erweiterung der Vorstellungen des Lexikons und der Lexikographie, die mit den Bezeichnungen constructicon (Fillmore 2008: 49) und constructicography (Lyngfelt 2018: 1) verbunden ist. Die Verwirklichung dieser Überlegungen in Form eines umfassenden Nachschlagewerks der Konstruktionen einer bestimmten Sprache ist für die romanischen Sprachen ein Desiderat. Dabei ist es angesichts ihrer genetischen und typologischen Verwandtschaft sinnvoll, einen wissenschaftlichen und technischen Rahmen zu schaffen, der zwischen den einzelsprachlichen Projekten Schnittstellen eröffnet. Gleichzeitig sollen Kollegen dazu angeregt werden, weitere Sprachen wie das Italienische, Portugiesische, Rumänische, Katalanische etc. in diesem Rahmen zu untersuchen. Insgesamt ist das Projekt nicht nur nach Sprachen, sondern auch nach Phänomenen modular gegliedert, sodass jedes Modul durch ein Phänomenbereich (Verbvalenz, Verbalperiphrase, Kollokation etc.) und eine Sprache (Französisch, Spanisch, Italienisch etc.) determiniert ist. Das veranschaulicht die folgende Tabelle, wobei die Listen der Sprachen und der Phänomene offen sind und erweitert werden können:

 

Französisch

Spanisch

Italienisch

Portugiesisch

Rumänisch

Katalanisch

Wortfamilien

Modul 1.1

Modul 2.1

Modul 3.1

Modul 4.1

Modul 5.1

Modul 6.1

Valenz

Modul 1.2

Modul 2.2

Modul 3.2

Modul 4.2

Modul 5.2

Modul 6.2

Verbalperiphrasen

Modul 1.3

Modul 2.3

Modul 3.3

Modul 4.3

Modul 5.3

Modul 6.3

Kollokationen

Modul 1.4

Modul 2.4

Modul 3.4

Modul 4.4

Modul 5.4

Modul 6.4

Redewendungen

Modul 1.5

Modul 2.5

Modul 3.5

Modul 4.5

Modul 5.5

Modul 6.5

Syntaktische Muster

Modul 1.6

Modul 2.6

Modul 3.6

Modul 4.6

Modul 5.6

Modul 6.6

In Paderborn wird sich dieses Konstruktionslexikon der romanischen Sprachen mit dem Spanischen und Französischen und zunächst mit den Phänomenen der Valenz (Module 1.2 und 2.2) und der Verbalperiphrasen (Module 1.3 und 2.3) befassen. Es wird aber in erster Linie auch darum gehen müssen, den Rahmen für das modularisierte Programm zur Erstellung des Konstruktionslexikons der romanischen Sprachen zu erarbeiten. Das ist gewissermaßen das Modul 0 dieses Programms.

In diesem Modul müssen Formalisierungen auf zwei Ebenen vorgenommen werden, auf der linguistischen und der datenstrukturellen Ebene. Beide Ebenen der Formalisierung sollen im Rahmenprojekt festgelegt werden. Im folgenden Abschnitt geht es um linguistisch relevante Kriterien der Formalisierung.

2. Kriterien der konstruktionsgrammatischen Analyse

Zu den Grundprinzipien der Konstruktionsgrammatik gehört die Auffassung, dass die kognitive Repräsentation von Sprache auf der Ebene der individuellen Sprecher ebenso wie ihre kollektiv verankerten Formen und Strukturen auf der Ebene der Sprachgemeinschaft aus den sprachlichen Ereignissen selbst resultieren (vgl. u.a. Langacker 1987). Dies wird mit besonderem Nachdruck von der als Usage based Theory bekannten Variante der Konstruktionsgrammatik vertreten (vgl. Bybee 2006, 2007, 2013). Damit kann man die Konstruktionsgrammatik sprachtheoretisch als einen empiristischen Ansatz der Linguistik betrachten. Bybee (2013: 49) sieht diesen Ansatz in der Tradition von Greenberg (1963) und weiteren typologischen Arbeiten (u.a. Givón 1979, Hopper & Thompson 1980, 1984, Li 1976). Ihr zufolge skizzieren diese Arbeiten eine kognitive Linguistik ante litteram:

These linguists proposed that grammar is created by the conventionalization of commonly used discourse patterns. This proposal, while not explicitly cognitive, encapsulates the usage-based premise that linguistic structure is formed by the repetition of certain linguistic patterns in language use. (Bybee 2013: 49).

Andere empiristische Traditionen der Linguistik, auf die Bybee leider nicht hinweist, gibt es in Europa bereits im 19. Jahrhundert mit Humboldt (1825, 1836), Paul (18##), Darmesteter (18##), um nur einige zu nennen, und im 20. Jahrhundert beginnend mit dem Cours de linguistique générale von Saussure (1916) insbesondere mit der linguistique énonciative von Benveniste (u.a. 1970) und der lingüística del hablar von Coseriu (1955/56), der mehrfach das Prinzip der „wiederholten Rede“ (u.a. 1978: 218‒223) hervorhebt ‒ entsprechend der „repetition of certain linguistic patterns in language use“ im obigen Zitat. Unter „linguistic patterns“ muss man sich dabei syntaktische, morphologische und lexikalische Strukturen, oder besser: Konstruktionen vorstellen, die dazu dienen, bestimmte Inhalte auszudrücken. Das hat Coseriu (u.a. 1978: 218‒223) als „Technik der Rede“ bezeichnet.

Aus empiristischer Perspektive kann man sagen, dass wir es hierbei mit zwei grundsätzlichen Gegebenheiten des Sprechens zu tun haben: der historischen Einbindung des Sprechens im soziokulturellen Kontext der Sprachgemeinschaft, der mit der Entstehung und Verankerung sprachlicher Mittel (Techniken der Rede, linguistic patterns) in der Kognition von Sprechern und in Sprachgemeinschaften verbunden ist, und dem semiotischen Zweck des Sprechens, der sich sprachliche Mechanismen zunutze macht, die dazu dienen, auf der Grundlage von Wörtern, Formen sowie paradigmatischen und syntagmatischen Flexions- und Kombinationsregeln Sinn zu erzeugen.[1] Die Dynamik des Sprachwandels erklärt sich, das lässt sich auch aus dem obigen Zitat von Bybee herauslesen, im Spannungsfeld zwischen der historisch entstandenen Konvention der Sprache und der semiotisch realisierten Repräsentation des Sprechens.[2] Auch kann man die der Sprachwissenschaft in diesen zwei Bereichen verorten: Aus der internen Sprachbetrachtung (semiotische Repräsentation) ergeben sich die Disziplinen der Phonetik und Phonologie, Morphologie, Syntax und Lexikologie sowie Semantik und Pragmatik. Aus der externen Sprachbetrachtung (historische Konvention) ergeben sich die Disziplinen der Varietätenlinguistik, die Soziolinguistik und Korpuslinguistik.

In diesem Sinne müssen für das Projekt eines Konstruktionslexikons der romanischen Sprachen Methoden der Beschreibung entwickelt werden, die auf quantitativen (extern) und auf qualitativen Kriterien (intern) aufbauen. Wenn es auch unerlässlich ist, die internen und externen Kriterien zu unterscheiden, zeigt sich jedoch allenthalben, dass der konventionelle und der repräsentative Aspekt der Sprache untrennbar miteinander verbunden sind.

2.1. Quantitative Kriterien

Im Sinne der empirischen Ausrichtung der Konstruktionsgrammatik sollte das Konstruktions­lexikon korpusbasiert sein, um statistische Aussagen über den Grad der Konventionalisierung von Konstruktionen zu ermöglichen. Rein formal gesehen geht es dabei um Kookkurrenzen von Wortformen, wobei nicht alle statistisch signifikanten Kookkurrenzen auch linguistisch relevant sind. Dies ist nur der Fall, wenn die die Kookkurrenzen auf die eine oder andere Weise auch eine symbolische Funktion haben, das heißt sinnvoll sind. So finden sich beispielsweise im Korpus Spanish Web 2018 (esTenTen18, app.sketchengine.eu) 98,15/Mio. Okkurrenzen der Wortfolge [dar] un (mit eckigen Klammern geht es um ein [Lemma], ohne um eine konkrete Wortform). Angesichts der Frequenz von 1.518,79/Mio. der Okkurrenzen des Lemmas dar ist dies statistisch ein durchaus signifikantes Vorkommen, lässt sich aber allein aufgrund der Präsenz des Artikels in Referenzausdrücken (DPs) erklären. Anders gesagt: Die Okkurrenz des Artikels un nach [dar] ist sprachlich irrelevant und nur ein Indiz für das relevante vorkommen nominaler Satzglieder des Typs un + NP nach [dar]. Syntagmatische Kookkurrenzen müssen letztlich sinnvoll sein, wie es [dar] un libro im Besonderen oder im Allgemeinen [dar] un NP im Allgemeinen ist.

In einem weiteren, bereits schon partiell qualitativen Schritt können sinnvolle Wortverbindungen wie [dar] un libro ‚ein Buch geben‘ und [dar] una mano ‚helfen‘ gegenübergestellt werden, bei denen im ersten Fall vollkommene kompositionelle Analysierbarkeit gegeben, diese aber im zweiten Fall idiomatisch (einzelsprachspezifisch) eingeschränkt ist. Zwar korreliert dieser Befund mit dem qualitativen Aspekt der syntagmatischen Bedeutung, doch zeigt die Frequenzverteilung eine klare Korrelation zwischen Idiomatizität und Frequenz ‒ ebenso wie zwischen Sinnhaftigkeit und Frequenz im Fall von [dar] un + NP. Aus diesem Grund führt Gévaudan (2019: 2‒4) die qualitativen Kriterien Sinnhaftigkeit und Idiomatizität vs. Transparenz als primäre Faktoren der quantitativen Kookkurrenz ein:

 

Primäre Faktoren der Kookkurrenz von Wortformen (Gévaudan 2019: 4)

 

2.2. Qualitative Kriterien

Die Anfänge der Konstruktionsgrammatik liegen in der Kognitiven Linguistik, zu deren theoretischen Grundlagen die Priorisierung der symbolischen Funktion der Sprache gehört. In seinem Hauptwerk Foundations of Cognitive Grammar (Langacker 1987/#1992#) weist Ronald Langacker darauf hin, dass die symbolische Funktion aus seiner Sicht die Grundeigenschaft der Sprache ist:

Language is symbolic in nature. It makes available to the speaker ‒ for either personal or communicative use ‒ an open-ended set of linguistic signs or expressions, each of which associates a semantic representation of some kind with a phonological representation. I therefore embrace the spirit of [the] classic Saussurean [model]. […] My thinking [...] departs in certain ways from this classic conception. (Langacker 1987: 11)

Seine weiteren Erläuterungen zu diesen Grundfunktionen lassen erkennen, dass Langacker ein Vertreter der Konstruktionsgrammatik ante litteram ist:

[M]y conception of language as symbolic in nature extends beyond lexicon to grammar. I will argue that morphological and syntactic structures themselves are inherently symbolic, above and beyond the symbolic relations embodied in the lexical items they employ. (vgl. Langacker 1987: 11f.)

Eines der Grundprinzipien der Konstruktionsgrammatik besteht in der Definition einer Konstruktion als Verbindung von Form und Bedeutung. Das bedeutet, dass die konkrete Beziehung von Form und Bedeutung Priorität vor systemischen Eigenschaften der Sprache hat ‒ genauso wie Konstruktionsregeln Priorität vor allgemeinen Regeln haben (bottom up-Prinzip). Das bedeutet aber nicht, dass es keine abstrakten Regeln gibt und dass Sprachen gar keine systematischen Züge aufweisen. Tatsächlich werden sprachliche Phänomene in der Konstruktionsgrammatik mit Hilfe einer Terminologie beschrieben, die letztlich aus der Abstraktion sprachlicher Daten und aus der Klassifizierung sprachlicher Elemente resultiert.

Auch für das Rahmenprojekt des Konstruktionslexikons müssen wir uns auf ein angemessenes Beschreibungsinstrumentarium festlegen, wobei die Herleitung der sprachwissenschaftlichen Konzepte und der dazugehörigen Terminologie einerseits dem symbolischen bzw. repräsentativen Prinzip der Sprache verpflichtet bleibt und andererseits abstrakte und systemische Regularien im Blick behält. Sofern wir es beispielswese mit syntaktischen Phänomenen zu tun haben, müssen wir universelle Eigenschaften der syntagmatischen Kombinatorik und deren einzelsprachliche Realisierung beachten. So hat jedes sprachliche Segment intrinsische und extrinsische Eigenschaften. Die intrinsischen Eigenschaften von sprachlichen Segmenten betreffen ihre Konstitution, also ihre Zusammensetzung. Die extrinsischen Eigenschaften sprachlichen Segmenten betreffen ihre Einbindung in übergeordneten Segmenten.

Wir können beispielsweise auf der formalen Ebene die Komplemente einer syntaktischen Prädikation extrinsisch bezüglich ihrer syntaktischen Funktion und intrinsisch im Hinblick auf ihre Konstitution betrachten. Auf der Inhaltlichen Ebene kann man die Argumente der semantischen Prädikation extrinsisch untersuchen, indem man ihre semantische Rolle (Agens, Patiens etc.) bestimmt, und intrinsisch, indem man ihre Zusammensetzung analysiert. In dem Satz fr. le garçon mange une pomme (entsprechend sp. el niño come una manzana und dt. der Junge ist einen Apfel) hat das Satzglied le garçon die syntaktische Funktion Subjekt (substituierbar durch Personalpronomen im Nominativ il) und die syntaktische Konstituenz DP (Dart.def.sg + Nsg), die semantische Rolle (oder Funktion) Agens und die Bedeutung ‚der Junge‘ (Konzept: Junge, Referent spezifisch und bekannt/vorerwähnt). Dagegen hat das Satzglied une pomme die syntaktische Funktion direktes Objekt (substituierbar durch Personalpronomen im Akkusativ la) und die syntaktische Konstituenz DP (Dart.indef.sg + Nsg), die semantische Rolle (oder Funktion) Patiens und die Bedeutung ‚ein Apfel‘ (Konzept: Apfel, Referent spezifisch und unbekannt/neu). Wie in diesem Beispiel kann man Satzglieder in den folgenden vier Dimensionen analysieren (vgl. Gévaudan 2013: #1#):

 

Extrinsisch

Intrinsisch

Signifikant

Syntaktische Funktion

Syntaktische Konstitution

Signifikat

Semantische Funktion

Bedeutung

Die Unterscheidung zwischen extrinsischen und intrinsischen Eigenschaften eines Segmentes korrespondiert im Grunde mit der Unterscheidung zwischen Wortart und Satzfunktion in der traditionellen Grammatik. Die syntaktische Analyse nach unmittelbaren Konstituenten nimmt diese Unterscheidung ebenso wenig vor wie der Ansatz der Phrasenstrukturgrammatiken, die von den hier präsentierten vier Dimensionen nur eine, nämlich die der syntaktischen Konstitution berücksichtigen. Dies erklärt im Übrigen auch, dass diese Ansätze die Schnittstelle zwischen den formalen und semantischen Dimensionen unangemessen begreifen oder gar verwechseln.[3] Für die konstruktionsgrammatische Untersuchung von Satzgliedern alle vier Dimensionen von Bedeutung. Das bereits in Abschnitt 1.1 vorgestellte Beispiel sp. mandar paseo ‚abblitzen lassen‘ könnte man in

Kurzdarstellung der Beschreibungsmodelle

Syntaktisches Modell (Satzfunktionen, -glieder)

  • Designation (Determination [Indikation, Quantifikation], Deskription [Denomination, Attribution])
  • Prädikation (Komplemente, Prädikat, Adverbialergänzungen),
  • Satzschnittstelle (Konjugation [Tempus, Modus], Satzarten)

Syntaktische Prädikation = Subjekt Prädikat Objektdp/N, Subjekt (Objektd) Prädikat, …

Semantisches Modell

Semantischen Ebenen: Lokution Illokution{Proposition[Prädikation(Referenz)]} ›

  • Designation: Referenz, Bezugnahme auf Gegenstände (inkl. Beschreibung + Quantifikation)
  • Prädikation: Sachverhaltsdarstellung durch Prädikatszuschreibung (s.u.)
  • Proposition: Raumzeitliche Situierung eines Sachverhalts (objektiv; subjektiv durch Deixis)
  • Illokution: Beteiligung/Engagement von Sprechern, Adressaten und andern
  • Lokution: Die Bedeutung des Sprechens als solchem

Semantische Prädikation = Prädikat(Arg (Arg) (Arg)) [(Arg) = fakultatives Argument]

3. Metakonstruktionen

Metakonstruktionen sind Darstellungen von Konstruktionsklassen bzw. von Phänomentypen der Sprachwissenschaft. In den folgenden Formeln signalisiert Fettformatierung ein konkretes Wort, ohne Fettformatierung geht es um ein abstraktes Schema. Bei den Kollokationen ist die Basis unterstrichen, der Kollokator dagegen nicht.

Verbalperiphrasen

[V (P) Vinf], d.h. (a) [V P Vinf] oder (b) [V Vinf] (V = Verb, P = Präposition)

Beispiel für (a)

fr. aller + inf

Signifikant

Subj [allerfinit Vinf]Präd.Futur (Obj) (Obj)

Signifikat

{Prädikat(Arg (Arg) (Arg))} Sachverhalt nach Sprechzeitpunkt

Beispiel für (b)

sp. ir a  + inf

Signifikant

Subj [irfinit a Vinf]Präd.Futur (Obj) (Obj)

Signifikat

Prädikat(Arg (Arg) (Arg)) Sachverhalt nach Sprechzeitpunkt

 

Kollokationen

(c) [V (D) N], (d) [N A]/[A N]

Beispiel für (c)

sp. abrigar esperanza(s) (de)

Signifikant

Subj [abrigar]Präd [esperanza(s)]DirObj (de)

Signifikat

Prädikat(Arg (Arg)) ‚Hoffnung(en) hegen‘

Beispiel für (d)

fr. célibataire endurci

Signifikant

D [célibataire]denomination [endurci]Attribut

Signifikat

Junggeselle‒verhärtet ‚eingefleischter Junggeselle‘

 

Bibliographie

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[1] Sprachtheoretisch lässt sich das Ereignis des Sprechens aus drei Perspektiven Betrachten: der empirischen Perspektive der Kommunikation, die aus Sicht des Empirismus primär ist, der historischen Perspektive der Konvention und der semiotischen Perspektive der Repräsentation (Darstellung).

[2] Koch (2002) entwirft ein Schnittstellenmodell für externen und internen Sprachwandel, in dem einem regulatum (semiotische Dimension) ein regulans (historische Dimension) gegenübersteht.

[3] Exemplarisch erscheint in dieser Hinsicht die folgende Argumentation in Chomsky (1965: 70): "In [John was persuated by Bill to leave] John is simultaneously Object-of persuade (to leave) and Subject-of leave; […]. In such cases as these, the impossibility of a categorical interpretation of functional notions becomes apparent; […]." John ist in Chomskys Beispiel zweifelsohne das syntaktische Subjekt des Passivsatzes – als Patiens einer Agens-Patiens-Relation würde er im Aktivsatz dagegen als direktes Objekt kodiert. Außerdem gibt es im Infinitivsatz to leave kein syntaktisches, sondern allenfalls ein implizites semantisches Subjekt. Chomsky verwechselt hier offensichtlich syntaktische mit semantischen Funktionen (vgl. auch Gévaudan 2013: Anm. 3).