Jahrestagung "Fragen der Regionalgeschichte" / "Fragen der Geschichte" (ab 2021)
Die Jahrestagung des Historischen Institutes findet unter Federführung von Prof. Dr. Frank Göttmann, seit 2007 gemeinsam mit Frau Prof. Dr. Eva-Maria Seng und seit 2021 auch mit Frau Dr. Maria Harnack, jährlich an der Universität Paderborn am ersten Samstag im November statt. Sie richtet sich insbesondere an die Vertreter regionaler historischer Institutionen wie Archive, Bibliotheken und Museen sowie an Ortsheimatpfleger, Denkmalpfleger, Geschichtsvereine und Laienhistoriker als die wichtigsten Träger der regional- und heimatgeschichtlichen Forschungen, Veranstaltungen, Publikationsreihen und Traditionspflege. Die Tagung präsentiert eine Reihe von Vorträgen unter jährlich wechselnden Rahmenthemen.
An der Teilnahme Interessierte wenden sich bitte an die Veranstalter!
(Berichte über die Tagung werden jährlich in der Zeitschrift "Paderborner Historische Mitteilungen (PHM)" des "Vereins für Geschichte an der Universität Paderborn" veröffentlicht.)
„Fragen der Regionalgeschichte“ an der Universität Paderborn: die Themen seit 1995
- Quellen und Methoden (1995)
- Begegnung zwischen Archäologie und Geschichte (1996)
- Regionale Technikgeschichte (1997)
- Klöster in der Region (1998)
- Kriegszeiten (1999)
- Vereinswesen im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert (2000)
- Regionale Agrargeschichte (2001)
- Leben unter dem Krummstab – Der geistliche Staat vor der Säkularisation (2002)
- Die Antike in Westfalen – Tradition und Rezeption (2003)
- Was Leib und Seele zusammenhält – Ernährung in Westfalen (2004)
- 60 Jahre Kriegsende. Westfälische Beiträge und Perspektiven (2005)
- Schule in Westfalen. Historische Schlaglichter (2006)
- Die Welt in der Region. Die UNESCO-Welterbe-Bewegung (2007)
- Erinnerungskultur und Geschichtsverein (2008)
- Zwei Jahrzehnte Mauerfall - Spiegelungen in Gesellschaft und Kultur (2009)
- Der Synagogenbau in Westfalen von den Anfängen bis in die Gegenwart (2010)
- Die Landschaft in Westfalen - Kultur-, Natur-, Wirtschafts- und Erfahrungsräume (2011)
- Universitätsbau - Prinzip und Wandel (2012)
- Hinter der Front. Der Erste Weltkrieg in Westfalen (2014)
- Theorie und Methode des musealen Ausstellungswesens (2015)
- Die Stadt und der Sport (2016)
- Übergänge - Rites de passage (2017)
- Tafeln und Speisen, Essen und Schlemmen – regional oder global? (2018)
- Mythos und historische Wahrheit – ein prekäres Verhältnis (2019)
- Heimat - Ort und Identität (2021)
- Luxus - Distinktion und Repräsentation (2022)
- Fremd(e) – Faszination, Ablehnung, Anverwandlung (2023)
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Fremd(e) – Faszination, Ablehnung, Anverwandlung
30. Jahrestagung zu Fragen der Geschichte
Samstag, den 4. November 2023, 9:00–17:00 Uhr
Universität Paderborn, Fakultät für Kulturwissenschaften, Historisches Institut,
Hörsaal O 1 (Gebäude O, Pohlweg)
Veranstalter: Prof. Dr. Eva-Maria Seng, Prof. Dr. Frank Göttmann und Dr. Maria Harnack
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Luxus - Distinktion und Repräsentation - Ein zeitloses Phänomen?
29. Tagung 2022
Samstag, den 5. Nov. 2022, 9.00 – 16.00 Uhr
Universität Paderborn, Hörsaal O 1 (Gebäude O, Pohlweg)
Veranstalter: Prof. Dr. Eva-Maria Seng, Prof. Dr. Frank Göttmann und Dr. Maria Harnack
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Heimat - Ort und Identität
28. Tagung 2021
Samstag, den 6. Nov. 2021, 9.00 – 16.30 Uhr
Universität Paderborn, Hörsaal O 1 (Gebäude O, Pohlweg)
Veranstalter: Prof. Dr. Eva-Maria Seng, Prof. Dr. Frank Göttmann und Dr. Maria Harnack
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Mythos und historische Wahrheit – ein prekäres Verhältnis
27. Tagung 2019
Samstag, den 9. Nov. 2019, 9.00 – 16.00 Uhr
Universität Paderborn, Hörsaal O 1 (Gebäude O, Pohlweg)
Veranstalter: Prof. Dr. Eva-Maria Seng, Prof. Dr. Frank Göttmann und Dr. Maria Harnack
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Tafeln und Speisen, Essen und Schlemmen – regional oder global?
26. Tagung 2018
Samstag, den 3. Nov. 2018, 9.00 – 16.00 Uhr
Universität Paderborn, Hörsaal O 1 (Gebäude O, Pohlweg)
Veranstalter: Prof. Dr. Eva-Maria Seng und Prof. Dr. Frank Göttmann
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Übergänge – Rites de passage
25. Tagung 2017
Samstag, den 4. Nov. 2017, 9.00 – 17.00 Uhr
Universität Paderborn, Hörsaal O 1 (Gebäude O, Pohlweg)
Veranstalter: Prof. Dr. Eva-Maria Seng und Prof. Dr. Frank Göttmann
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Die Stadt und der Sport
24. Tagung 2016
Universität Paderborn, Hörsaal O 1 (Gebäude O)
Samstag, 5. Nov., 9 - 17 Uhr, 9.00 - 16.30
Veranstalter: Prof. Dr. Eva-Maria Seng und Prof. Dr. Frank Göttmann
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Theorie und Methode des musealen Ausstellungswesens
23. Tagung 2015
Universität Paderborn, Hörsaal O 1 (Gebäude O)
Samstag, 7. Nov., 9 - 17 Uhr, 9.00 - 18.00
Veranstalter: Prof. Dr. Eva-Maria Seng und Prof. Dr. Frank Göttmann
Hinter der Front. Der Erste Weltkrieg in Westfalen
22. Tagung 2014
Samstag, den 8. Nov. 2014, 9.00 Uhr – 16.00 Uhr
Universität Paderborn, Hörsaal O 1 (Gebäude O, Pohlweg)
Universitätsbau - Prinzip und Wandel
21. Tagung 2012
Samstag, den 27. Oktober 2012
Auditorium maximum der Universität Paderborn
Programm: Faltblatt 1 und 2
Zwei Jahrzehnte Mauerfall
Spiegelungen in Gesellschaft und Kultur
18. Tagung 2009
Samstag, den 7. November 2009
Auditorium maximum der Universität Paderborn
Die Welt in der Region. Die UNESCO-Welterbe-Bewegung
16. Tagung 2007
Samstag, den 3. November 2007
Auditorium maximum der Universität Paderborn
Schule in Westfalen. Historische Schlaglichter
15. Tagung 2006
Samstag, den 4. November 2004
Auditorium maximum der Universität Paderborn
Einen Bericht über die Tagung finden Sie unter
Auszüge aus der Eröffnungsansprache unter
Die Antike in Westfalen – Tradition und Rezeption
12. Tagung 2003
Samstag, den 8. November 2003
Auditorium maximum der Universität Paderborn
„Wer nicht von dreitausend Jahren / Sich weiß Rechenschaft zu geben / Bleib im Dunkeln unerfahren / Mag von Tag zu Tage leben.“ (Goethe, Westöstlicher Divan)
Deutlich über einhundert Tagungsteilnehmer wurden vom Veranstalter Prof. Dr. Frank Göttmann in dessen Eröffnungsansprache an jenes Zitat erinnert und verstanden so das Thema der diesjährigen Regionalgeschichtstagung vielleicht als guten Anlass oder gar als Anleitung zur Orientierung in Dunkel und Diesseitigkeit.
Auch wenn der Titel „Antike in Westfalen“ als unhistorisch bewertet werden könnte, da sich in Westfalen keine Zeugnisse und Quellen aus antiker Zeit finden, Westfalen sogar aus dem Einflussbereich des römischen Reiches ausgeschlossen war, sei es doch eine triviale Tatsache, dass Antikes – und damit unbestreitbar auch das Christentum – Europa bis heute präge. Ziel der Tagung solle eine reflektierte Öffnung und Erschließung der Vergangenheit für Gegenwart und Zukunft sein und somit einen Beitrag leisten zur Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft. Der Untertitel „Tradition und Rezeption“ weise diesbezüglich auf die beiden Perspektiven hin, in die solch eine Auseinandersetzung zu verorten wäre: durch die Weitergabe des Vergangenen in die Zukunft ebenso wie durch den Blick aus der Gegenwart in die Vergangenheit.
Die Vorträge boten verschiedene Facetten dieser Dialektik der Rezeption. Privatdozent Dr. Jörg Ernesti (Universität Mainz) eröffnete die Vortragsreihe mit einem Beitrag zu einer der prominentesten Paderborner Persönlichkeiten der Vergangenheit und widmete sich der Verknüpfung und Vernetzung von Antike und Barock, Glaube und Vernunft, europäischem und westfälischem Humanismus in der Biographie Fürstbischof Ferdinands von Fürstenberg. Sein Referat leistete einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung eines möglichen frühneuzeilichen (geistlichen) Herrschertypus wie auch zu der Verquickung von politischen Tätigkeiten, humanistischen Traditionslinien und persönlichen Vorlieben und Freundschaften. Dabei öffnete der Referent besonders den Blick für die Mehrdimensionalität der Person und auch der Figur eines Füstbischofs, der einerseits sowohl als Vertreter der Reichskirche in der zweiten Welle der katholischen Reform, andererseits als Seelsorger mit ausgeprägtem Wunderglauben und als später Humanist zu verstehen ist.
Mit seinem Vortrag zur Rezeption des römischen Rechts stellte Dr. Michael Ströhmer (Universität Paderborn) die Zusammenhänge zwischen der Zentralisierung, Professionalisierung und Verwissenschaftlichung bei der Anwendung des römischen Rechts auf der einen und den quantitativ rasch ansteigenden Hexenprozessen in der Frühen Neuzeit auf der anderen Seite vor. Die Formel, Rezeption habe zu einer Professionalisierung des neuzeitlichen Rechtswesens und damit zu einer höheren Rationalität der Urteilsfindung geführt, sei allerdings ambivalent. Auch seien mit der Übernahme des römischen Rechts traditionelle Rechtsgewohnheiten aus dem Gerichtsbetrieb nicht verschwunden, vielmehr habe sich in der Praxis ein Zusammenfließen beider Rechtstraditionen gezeigt. Hexerei war ein Tatbestand, der dem römischen Recht unbekannt war. Allerdings verfestigte sich in Juristenkreisen durch eine Gleichsetzung der Hexerei mit schwarzer Magie und politischem Hochverrat eine unpräzise Analogie zum spätantiken Majestätsverbrechen, die ein strenges Ausnahmeverfahren mit zügellosem Foltereinsatz im Hexenprozeß nach sich zog.
Auslöser für eine anregende Debatte, welche Forschungsdesiderate offenlegte, war der Beitrag von Prof. Dr. Brigitte Englisch (Universität Paderborn), die unter dem Titel „Auf alten Wegen – Reisen in Westfalen von der Antike bis zur Neuzeit“ dem „Mythos Hellweg“ als Hauptverkehrsader Westfalens in alten Zeiten auf den Zahn fühlte und als Alternative die Bedeutung der Wasserwege untersuchte. Mit Hilfe der historischen Kartographie wies sie nach, dass in den Karten Westfalens, selbst noch in der Karte des Hochstifts Paderborn aus dem 17. Jahrhundert, die Flüsse, jedoch nicht die Wege eingetragen waren und schloss, dass folglich die übliche Betonung des Hellwegs als dominante Verbindung nicht nachzuvollziehen sei und seine überregionale Bedeutung aus den Quellen letztlich nur indirekt erschlossen werden könne. Als Desiderat kristallisierte sich heraus, die Reisebedingungen der Region zwischen Rhein und Weser insgesamt zu erfassen, statt sich auf eine einzige Verbindung zugunsten einer umfassenden Berücksichtigung der topographischen und infrastrukturellen Bedingungen zu konzentrieren.
Einen gänzlich andersartigen Bereich historischer Forschung und Umsetzung von Ergebnissen stellte Dr. Vera Lüpkes (Weserrenaissance-Museum Schloß Brake) vor. Sie dokumentierte die Veränderung der historischen Arbeit und des jeweiligen Forschungsstands zur Weserrenaissance seit 1986, dem Eröffnungsjahr des Museums, gab darüber hinaus ebenso Einblicke in laufende Forschungsarbeiten und in die museale Präsentation von deren Ergebnissen in Dauer- und Sonderausstellungen. Dabei beleuchtete sie kritisch die Entwicklung und Etablierung des Begriffs „Weserrenaissance“ und zeigte die inhaltliche Schwerpunktverlagerung dieses Topos von Elementen des regionalen Baustils hin zu einer umfassenden kulturhistorischen Fragestellung.
Einen Bogen ganz eigener Art von der Antike in die Gegenwart und Zukunft schlug Roland Linde (Horn-Bad Meinberg) mit seinem Vortrag zum „Mythos Arminius und die unendliche Suche nach dem Ort der Varusschlacht“. In einer kurzweiligen Präsentation von Quellen und Pseudobelegen stellte der Referent weniger die Ereignisgeschichte der Geschehnisse im Jahr 9 n. Chr. dar, sondern gab vielmehr einen Einblick sowohl in die Grenzen der Wissenschaft als auch in die Instrumentalisierung von Geschichte, Tradition und Rezeption zur persönlichen Identifikation und/oder gar Profilierung. Bereits der Obertitel seines Vortrags offenbarte, wie sehr Antikes (stellvertretend vielleicht für die Vergangenheit als Ganzes) nicht nur akademische oder hochpolitische Auseinandersetzungen in Europa prägt, sondern den Alltag durchdringt: „Ankunft ‚Der Cherusker’ von Bielefeld nach Paderborn, Abfahrt 20:09“ – eine Assoziation zum 2000jährigen Jubiläum.
Die skizzierten Vorträge gaben lebendige Einblicke in die Vielfalt der Methoden und Inhalte, die das Thema der diesjährigen Tagung bot. Die rege Diskussionsbeteiligung bezeugte zudem den Bedarf an Auseinandersetzungen sowohl mit den einzelnen Vortragsthemen als auch mit dem Motto der gesamten Tagung. So kann auch die mittlerweile zwölfte Regionalgeschichtstagung mit ihren zahlreichen Teilnehmern als eine erfolgreiche Veranstaltung gewertet werden, die Ergebnisse und Erfahrungen aus Forschung und Praxis mit zukunftsweisenden Fragestellungen und aktuellen Debatten zu verknüpfen wusste.
Mareike Menne M.A.
Kontakt: Prof. Dr. Frank Göttmann, Fach Geschichte, Tel. 05251/602437, Epost goettmann[at]uni-paderborn.de
Leben unter dem Krummstab – Der geistliche Staat vor der Säkularisation
11. Tagung 2002
Samstag, den 9. November 2002
Auditorium maximum der Universität Paderborn
Der „geistliche Staat“ in der Frühen Neuzeit: Gute Regierung oder Schlendrian?
»Die gelinde Regierungsart der Bischöfe hat ihren Unterthanen viele Vortheile verschaffet, welche in einem weltlichen Staate nicht angetroffen werden [...]. Diese Vortheile betreffen den Adel, den Bürgers- und Bauernstand. Viele öffentliche Lasten, denen die Unterthanen eines weltlichen Staates unterworfen sind, finden in einem bischöflichen Lande nicht statt«
Mit diesen Worten kommentierte der Reichsjurist Johann Friedrich Eisenhart 1759 die zeitgenössische Redensart „Unter dem Krummstab ist gut leben“. Er griff damit in die politische Tagesauseinandersetzung ein, in der unter aufklärerischem Einfluß den geistlichen Staaten auf dem Boden des alten Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zunehmend massiv die Existenzberechtigung bestritten wurde. Diesen meist von Bischöfen regierten Territorien, die fast ein Sechstel der Reichsfläche ausmachten und 30 % zur Finanzierung der Reichsaufgaben beitrugen, begegneten in der Öffentlichkeit ein ganzes Bündel von Vorwürfen und Vorbehalten. Diese zeichneten ein trostloses Bild von „Schlendrian“: von den politisch unfähigen Fürstbischöfen, die dem Spiel, der Jagd und noch ganz anderen Leidenschaften frönten, von Verwaltungswirrwarr und mangelnder Staatlichkeit, von kulturellem Tiefstand und militärischer Ohnmacht. Es hat das historische Urteil über den Bischofsstaat bis in jüngere Zeit beeinflußt und somit auch seine Aufhebung durch die Säkularisation 1803 im nachhinein legitimiert. Ob man ihm damit aber auch historische Gerechtigkeit widerfahren ließ, ist stark zu bezweifeln.
Auf diese Forschungsproblematik hat der Frühneuzeithistoriker Professor Dr. Frank Göttmann, der alljährlich im November für das Fach Geschichte die öffentliche Tagung „Fragen der Regionalgeschichte“ ausrichtet, in seinem Eröffnungsreferat hingewiesen. Er gab darin Einblicke in Forschungsinteresse, Ausgangslage, Fragestellungen, Ansatzpunkte und Perspektiven eines breit angelegten Paderborner Forschungsunternehmens, welches sich angesichts des zwiespältigen Bildes vornehmlich am Beispiel der nordwestdeutschen Fürstbistümer Köln, Münster, Osnabrück, Paderborn und Hildesheim mit den Problemen noch einmal von Grund auf befassen will. Es sucht Antworten auf die übergeordnete Frage, was denn überhaupt das Eigentümliche eines von einem geistlichen Würdenträger regierten Staatswesens ausmachte.
Sämtliche Referenten der diesjährigen Tagung, darunter drei junge Doktoranden, gehören der Paderborner Forschergruppe an. Zu Anfang widmete sich Dr. Bettina Braun unter dem Thema „Fürst, Bischof, Landesherr. Die geistlichen Fürsten in der Spätzeit des Alten Reiches“ dem Spannungszustand zwischen geistlichem Seelsorgeauftrag des Bischofs und weltlicher Regierungsaufgabe des Fürsten, welcher in dem Doppelbegriff Fürstbischof zum Ausdruck kommt. Im Vergleich zweier Paderborner Fürstbischöfe, Hermann Werner von Wolff–Metternich zur Gracht (1683–1704) und Clemens August von Bayern (1719–1761) entwickelte sie unter den Gesichtspunkten Erziehung, Bischofstätigkeit und familiäre Einbindung die Hypothese, daß das auf dem Trienter Konzil reformulierte Bischofsideal entgegen verbreiteter Ansicht durchaus auch für den geistlichen Reichsfürsten aus großem Hause zunehmend verpflichtenden Charakter gewann.
Diese These wurde durch Lars Reinking in einer architektur– und kunsthistorischen Analyse der Hauptraumfolge mit ihren Fresken in der Residenz jenes Clemens August als Kölner Erzbischofs und Kurfürsten flankiert („Herrschaftliches Selbstverständnis und Repräsentation im geistlichen Fürstenstaat des 18. Jahrhunderts. Das Beispiel Schloß Brühl des Kölner Kurfürsten Clemens August“). Ausgehend von der Prämisse, daß repräsentative Architektur als politischer Bedeutungsträger interpretiert werden könne, arbeitete Reinking an Hand von Lichtbildern überzeugend die Selbstdarstellung des Kurfürsten als Mäzen der schönen Künste, als Friedensfürst und treuer Vasall des Kaisers heraus.
Die Fragen nach der Funktion von Repräsentation und nach dem Aufgaben– und Anforderungsprofil eines Fürstbischofs erhielten eine weitere Dimension durch die Untersuchung der sog. Generalvisitation der Paderborner Diözese durch Dietrich Adolf von der Reck (1650–1661), welche Mareike Menne M.A. vorstellte („Bischöfliche Kirchenvisitation im 17. Jahrhundert. Seelsorge oder Instrument weltlicher Herrschaft?“). Die Referentin gelangte zu Schlüssen, die zweifellos – wie übrigens jeder der Vorträge auf seine Weise – die weitere Diskussion über das Wesen geistlicher Staatlichkeit befruchten werden: Bei der Visitation der Pfarrgemeinden sind die Absichten von Seelsorge und weltlicher Herrschaftsverdichtung faktisch nicht zu trennen.
Als politischen Widerpart und Partner der fürstbischöflichen Regierungsspitze zugleich nahm Andreas Müller die im westfälischen Raum ansässigen Adelsfamilien in den Blick. Sie entsandten Vertreter zu den Arnsberger Landtagen und stellten zahlreiche Domkapitulare in den nordwestdeutschen Domkapiteln („Die Ritterschaft des kurkölnischen Herzogtums Westfalen zwischen 1660 und 1802. Regionale Verflechtungen und politische Eigenständigkeit“). Im Zuge einer akribischen prosopographischen Analyse konnte er eine durch vielfältige Beziehungen verflochtene Kerngruppe von Familien herauskristallisieren, welche den maßgeblichen politischen Einfluß übten und die wichtigsten Positionen besetzten und innerhalb ihrer Verwandtschaft weitergaben.
So ist sicherlich auch die vorgebliche Unterwerfung der Stadt Paderborn unter die Herrschaft des Fürstbischofs als ihrem Stadtherrn differenzierter zu bewerten. In seinen Ausführungen konnte Dr. Andreas Neuwöhner am Beispiel des Paderborner Stadthaushalts im 17. Jahrhundert die schrittweise Integration der ehemals weitgehend autonomen Stadt in den Bischofsstaat demonstrieren („Städtische Finanzen und frühmoderner Bischofsstaat. Die Paderborner Finanzverwaltung im 17. Jahrhundert“). Für den Verlust städtischer Selbständigkeit war indessen weniger eine zielgerichtete stadtherrliche Politik als eine ruinöse Finanzlage aufgrund immer neuer Belastungen durch den Dreißigjährigen Krieg verantwortlich, welche eine Konsolidierung des Haushalts verhinderten, wozu auch eine zunehmende Abschöpfung der Paderborner Finanzkraft durch den Staat beitrug.
Die skizzierten Vorträge haben das Problem geistlicher Staat aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet und eine recht lebhafte Diskussionsbeteiligung der weit über hundert Teilnehmer aus Süd‑ und Ostwestfalen hervorgerufen. Nimmt man die vielen positiven Stimmen zu Inhalt und Verlauf, so darf auch die diesjährige Regionalgeschichtstagung als gelungen in die Annalen einer mittlerweile elfjährigen Tradition eingehen.