Tagung „Der Kirchenbau zwischen Sakralisierung und Säkularisierung - im 17./18. Jahrhundert und heute“

Im Zeichen des Begriffspaares „Sakralisierung – Säkularisierung" möchte die Tagung zwei Forschungsgebiete miteinander ins Gespräch bringen, die sich mit unterschiedlichen historischen Epochen, doch mit vergleichbaren Gegenständen und Phänomenen beschäftigen. Auf der einen Seite ist dies die jüngere kunsthistorische und historische Forschung zu Kirchen des 17. und 18. Jahrhundert, welche Bezüge zu konfessionellen Differenzierungsprozessen und zur Säkularisierung im Aufklärungszeitalter herstellt. Auf der anderen Seite steht die rege Diskussion von Theologen, Kunsthistorikern und Architekten um Funktion und Bedeutung des Kirchengebäudes im 20. und 21. Jahrhundert. Vielfach angestoßen durch ungewöhnliche Umnutzung oder Abriss von Kirchengebäuden, ist letztere besonders von der Frage nach dem Sakralen geprägt. Indem die Tagung beide Seiten zusammenbringt, möchte sie dazu anregen, die aktuelle Situation als Teil einer längerfristigen Entwicklung zu begreifen.

Die Veranstaltung wird großzügig unterstützt durch die Universitätsgesellschaft Paderborn e.V.

Die Tagung findet im Senatssitzungssaal B 3. 231 statt. Ein Tagungsbeitrag wird nicht erhoben.

Die Vorträge der Tagung werden in Buchform veröffentlicht.

 

Rückblick auf die Veranstaltung des Lehrstuhls für Materielles und Immaterielles Kulturerbe UNESCO, Prof. Dr. Eva-Maria Seng, am 3. und 4. Juli 2009


Im Rahmen des Projekts „Kulturerbe - Sakralbauten" / Teilprojekt „Säkularisierung - Resakralisierung" veranstaltete der Paderborner Lehrstuhl für Materielles und Immaterielles Kulturerbe UNESCO eine Tagung, zu der sich ca. 60 Teilnehmer – Historiker, Theologen, Kunsthistoriker und Denkmalpfleger aus Deutschland und Polen – zu Vorträgen und Gesprächen über Säkularisierung und Sakralität von Kirchenbauten und Kirchenräumen in Vergangenheit und Gegenwart versammelten. 

Nach der Einführung in die Thematik durch Gastgeberin Eva-Maria Seng (Paderborn) lenkte der Vortrag des Historikers Hartmut Lehmann (Kiel) den Blick zunächst auf das historische Phänomen der Säkularisierung und seine heutige Bedeutung. Danach folgten Beiträge von Meinrad von Engelberg (Darmstadt) und Gerd Brüne (Paderborn), die sich Säkularisierungstendenzen am Beispiel katholischer Kirchen des Spätbarock und Klassizismus widmeten.

Der zweite Tag begann mit dem polnischen Kunsthistoriker Jan Harasimowicz (Wrocław). Er gab einen Überblick über die unterschiedlichen Modelle und Traditionen, die den frühneuzeitlichen Kirchenbau der Protestanten in Europa prägten und die in der Dresdener Frauenkirche kulminierten. Nach dieser allgemeinen Perspektive folgten im Gegenzug Überlegungen zum Kanzelaltar, einem charakteristischen Merkmal in der Ausstattung von protestantischen Kirchen im 18. Jahrhundert, durch die Historikerin Renate Dürr (Kassel). Sie verdeutlichte an diesem Beispiel den geradezu dialektischen Zusammenklang von einerseits sakralen, andererseits säkularen Vorstellungen und Motivationen. Dagegen übte die Kunsthistorikerin Kathrin Ellwardt (Karlsruhe) grundsätzliche Kritik am Tagungsthema, indem sie, argumentierend aus dem Blickwinkel des 18. Jahrhunderts, auf die Aufhebung des Profanen im sakralen Kontext des Kirchengebäudes verwies.

Die Vorträge des Samstagnachmittags, die sich mit der Situation im 20. und 21. Jahrhundert befassten, rückten verstärkt die Frage nach der Sakralität in den Mittelpunkt. Der für den erkrankten Albert Gerhards eingesprungene katholische Fundamentaltheologe Josef Meyer zu Schlochtern thematisierte den liturgischen Wandel im 20. Jahrhundert und die wechselnde Verortung des Sakralen im Kirchenraum anhand der 1929/30 erbauten Kirche Maria Grün des Architekten Clemens Holzmeister. Anschließend sprach der evangelische Theologe Helmut Umbach (Kassel), der der Ratlosigkeit der Protestanten angesichts der Frage, ob man Kirchenräumen überhaupt Heiligkeit zusprechen kann, mit der Auffassung vom Kirchengebäude als „umfriedetem Bezirk" begegnete, das heißt, als einem für die Erfahrung von Sakralität offenem Raum, der sich abgrenzt von der im Zeichen von Kommerzialisierung und Globalisierung stehenden „Profanität gegenwärtiger Welterfahrung".

Den allgemeinen theologischen Betrachtungen Umbachs folgten schließlich zwei Vorträge, die an konkreten Fällen die fließenden Übergänge zwischen Sakral und Profan aufzeigten. So demonstrierte die Architekturhistorikerin Kerstin Wittmann-Englert (Berlin), wie die Industrie sakrale Raumformen und Rituale für die Auratisierung ihrer Produkte adaptiert, während der Architekt und Denkmalpfleger Rainer Fisch (Berlin) darauf aufmerksam machte, dass sogar ehemalige Kirchen durch einen sensiblen Umbau durchaus noch eine sakrale Atmosphäre besitzen können, dass aber an bestehenden wie umgenutzten Sakralbauten ein immaterieller Schaden, nämlich am kulturellen Gedächtnis, entsteht, wenn ökonomische Aspekte zu stark in den Vordergrund rücken und die Funktion des Kirchenbaus als Identifikations- und Erinnerungsort einer Gruppe von Menschen zurückdrängen.

Am Ende der Tagung trat erstaunlicherweise der problematische Begriff der Säkularisierung nicht noch einmal ins Zentrum, sondern der Kern des Komplementärbegriffs, das Sakrale, beherrschte die Diskussion. Das interdisziplinäre Gespräch verhalf den Tagungsteilnehmern zur Einsicht, dass sich nicht nur die einzelnen Konfessionen, sondern ebenso die Fächer Theologie und Kunstgeschichte in ihrem Verständnis vom Sakralen in Bezug auf den Kirchenraum grundlegend unterscheiden. Will man also den wichtigen Begriff in der Diskussion weiter verwenden, hat man die Differenzen zu reflektieren.