Vortrag von Frau Dr. Bärbel Küster im Rahmen des Seminars „Primitivismus (1750-1980)“ bei Prof. Dr. Eva-Maria Seng

„Primitivismus – das utopische Moment zwischen Kolonialismus und Postkolonialismus“

Datum:  Dienstag, 15.07.2008

Uhrzeit: 14.00 - 16.00 c.t.

Raum: P1.102

 

Entgegen der verbreiteten Annahme, dass der Primitivismus des 20. Jahrhunderts vor allem an einer Entfesselung von primitiven Kräften oder der Entlehnung eines Formvokabulars aus sogenannten primitiven Gesellschaften interessiert war, soll in dem Vortrag die These vertreten werden, daß in vielen Werken der bildenden Kunst ein anthropologisches Argument steckt, das den Utopien der Aufklärung folgt: der Idee eines universal Menschlichen, eines Verbindungselementes zwischen Menschen verschiedener Kulturen und Zeiten. Um 1900 erlitt diese Idee unter den Vorzeichen des Kolonialismus mit der anthropologischen Fotografie einen wissenschaftlichen Angriff, der von Künstlern wie Matisse und Picasso jedoch unter Verwendung des gleichen Bildmaterials im Sinne der Utopie umgedeutet wurde. Der Universalismus verschwindet unter den Vorzeichen des Postkolonialismus nicht. Für das kreative Schaffen und die Kunstproduktion kann heute nicht mehr von „Primitivismus“ die Rede sein, der Begriff hat mit allen seinen imperialistischen Implikationen ausgedient. Dagegen wird sein utopisches Moment besonders von heutigen Künstlern in der westlichen Welt ebenso wie von Theoretikern und Künstlern jenseits der westlichen Kunstzentren aufgegriffen, um am Kunstmarkt und in einer globalisierten Welt bestehen zu können.

 

Biobibliographie:

1986-1989 Studium der Kunstgeschichte, Philosophie und Pädagogik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, 1990-93 an der Universität Hamburg und an der Freien Universität Berlin; 1994-1995 Projektassistenz am Institut für Kunstgeschichte der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt/M; 1996-1999 Promotions-Stipendiatin des Evangelischen Studienwerks Villigst e. V., 2000 Stipendiatin der Internationalen Sommer-Akademie: „A century of progress. Die Kunst im Zeitalter der Weltausstellungen 1851-1939“ am Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München; 2000 Promotion an der Goethe-Universität Frankfurt/M., seit Januar 2001 Wissenschaftliche Assistentin am Institut für Kunstgeschichte, Universität Stuttgart; hier u.a. Konzeption eines Masterstudiengangs Kunstwissenschaft/Museologie, Organisation der Tagungen „Museum als Medium - Medien im Museum" 2002 und „Die Überlieferung der Sammlung - die Erscheinung der Bilder" 2004, Leitung des Forschungs- und Publikationsprojektes „Skulpturen des 20. Jahrhunderts in Stuttgart" mit Studierenden.
Seit Sept. 2007 beurlaubt für Forschungen als Gastwissenschaftlerin am Deutschen Forum für Kunstgeschichte, Paris

Habilitationsprojekt: Zur Vorgeschichte des Museums: Die Musealisierung von Kunst in England und Frankreich in der Frühaufklärung

 

Publikationen zu Primitivismus, Gauguin, Matisse, Picasso, Kunst der Moderne, 19./20. Jahrhundert, zur Museumsgeschichte und –theorie, zur zeitgenössischen Skulptur und Kunst im öffentlichen Raum, Postkolonialismus, u.a. (Auswahl):

Matisse und Picasso als Kulturreisende. Primitivismus und Anthropologie um 1900. Berlin: Akademie 2003 (= Diss. Frankfurt/M. 2000).

Barbarei und Kunstkritik. Die Rezeption afrikanischer Kunst in der französischen Kunstkritik 1900-1920, in: Prenez-garde à la peinture! Kunstkritik in Frankreich 1900-1945. Hg. v. Uwe Fleckner und Thomas W. Gaehtgens. (=Passagen. Jahrbuch des Deutschen Forums für Kunstgeschichte, Paris, 1) Berlin: Akademie 1999, S. 361-378.

Der verglichene Körper – Aktdarstellung und anthropologische Fotografie, in: Ausst. Kat. Nackt. Frauenansichten, Malerabsichten, Aufbruch zur Moderne, hg. v. Sabine Schulze u. Eva Mongi-Vollmer, Städelsches Kunstmuseum, Frankfurt/M. Ostfildern-Ruit: HatjeCantz 2003, S. 94-105.

Museum als Medium. Perspektiven der Museologie. Beiträge der Tagung Stuttgart, Juli 2002, hg. v. Hubert Locher, Beat Wyss, Bärbel Küster, Angela Zieger, München 2004, darin: Museum und Warenästhetik. Ein Diskussionsbeitrag zum display von Gemälden.

Zwischen Ästhetik, Politik und Ethnographie: Die Präsentation des Belgischen Kongo auf der Weltausstellung Brüssel-Tervuren 1897, in: Die Schau des Fremden. Ausstellungskonzepte zwischen Kunst, Kommerz und Wissenschaft. Hg. v. Cordula Grewe (= Transatlantische Historische Studien, 26), Stuttgart 2006, S. 95-118.

Skulpturen des 20. Jahrhunderts in Stuttgart, hg. v. Bärbel Küster, Heidelberg: Kehrer 2006.

Funktion und Öffentlichkeitscharakter der Sammlung in England im 18. Jahrhundert, in: „Museen und fürstliche Sammlungen im 18. Jahrhundert“, Internationales Kolloquium des Herzog Anton Ulrich Museum Braunschweig und des Instituts für Kunstgeschichte der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Braunschweig 3.-5. März 2004, Braunschweig 2007, S. 84-93.

The first colonial art museum and the transnationalism of art – 1912, La Réunion, in: Transnationalism in perspective, hg. v. Saskia Schabio und Walter Göbel, London: Routledge (im Erscheinen).