Dr.in Claudia Mahs & Matthias Philipper
Noch immer bestimmt die soziale Herkunft eines Menschen maßgeblich spätere Bildungs- und Karriereverläufe. Immer wieder zeigen Studien der empirischen Bildungsforschung, wie die selektive Struktur des deutschen Bildungssystems Kinder aus Akademiker:innenfamilien strukturell begünstigt. Von 100 Akademiker:innenkindern beginnen 74 ein Hochschulstudium und 63 dieser Kinder schließen ihr Studium mit einem Bachelorabschluss ab. In der Gruppe der Kinder von Nicht-Akademiker:innen nehmen hingegen nur 21 ein Studium auf und nur 15 schließen ihr Studium mit dem Bachelor ab (vgl. Reuter et. al 2020: 14). Echte Chancengleichheit scheint folglich nach wie vor eine Illusion zu sein.
Wird die soziale Herkunft im Zusammenhang mit der Kategorie Geschlecht betrachtet, erscheint besonders für Frauen eine doppelte Benachteiligung, da nicht nur die Klassenposition relevant wird, sondern auch ihr Geschlecht zu einer Benachteiligung „hinsichtlich Status, Anerkennung, Funktion und Prestige“ (Wöhl 2018: 2) führt. Reproduktionsarbeit aber auch Qualifikationserfolge unterliegen immer noch der Geschlechterhierarchie.
Ziel der Ringvorlesung ist es, den interessierten Teilnehmer:innen einen Überblick darüber zu geben, wie die Klasse, Geschlecht sowie ihre Verbindung Einfluss auf Karriere- und Bildungswege nehmen. Wir freuen uns, dafür ausgewiesene Expert:innen des Forschungsfeldes für Gastvorträge gewonnen zu haben, an denen über Zoom teilgenommen werden kann.
Neben der Öffnung der Ringvorlesung für die Studierenden der Universität Paderborn richtet sich die Veranstaltungen außerdem an Praktiker:innen der Sozialen Arbeit, des Bildungssektors und die breite außeruniversitäre Öffentlichkeit.
Datum | Vortrag | Moderation |
Eröffnung durch Prof. Dr. Volker Peckhaus (Dekan der Fakultät für Kulturwissenschaften) | ||
18.10.2022 | Klassismus: Zwischen Antidiskriminierungspolitik und theoretischer Analyse | |
15.11.2022 | Der Habitusbegriff im Kreuzverhör. Theoriestrategien und Gegenstandskonstruktionen bezüglich sozialer Ungleichheit und Klassismus Prof. Dr. Daniel Wrana (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) | PD Dr.in Lisa Knoll |
22.11.2022 | Klassismus und organisierter Antifeminismus - Intersektionelle Diskurskoalitionen Andreas Kemper (Münster) | Matthias Philipper |
06.12.2022 | Krisen, Klassen, Kapitalismus: Die 3 K's in den Geschlechterverhältnissen Prof.in Dr.in Stefanie Wöhl (Fachhochschule der BFI Wien) |
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13.12.2022 | Klassismus in Bildungsinstitutionen Prof.in Dr.in Isabel Steinhardt (Universität Paderborn) |
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10.01.2023 | Klasse und Migration: Diskriminierungskritische Perspektiven auf das meritokratische Versprechen der Schule in der Migrationsgesellschaft Dr. Dennis Barasi (Universität Bremen) |
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24.01.2023 | Klasse oder Exzellenz? Soziale Ungleichheitsverhältnisse in der Wissenschaft Dr.in Maria Keil (Eberhard Karls Universität Tübingen) |
Veranstalter*innen und Unterstützer*innen
Die Veranstalter*innen:
In Kooperation mit:
- dem Dekanat der Fakultät für Kulturwissenschaften
- der Zentralen Gleichstellungsbeauftragten
- DiversiTeach
Wir bedanken uns bei allen für die Unterstützung!
18.10.2022
Klassismus: Zwischen Antidiskriminierungspolitik und theoretischer Analyse
PD Dr.in Christine Resch & Prof.in Dr.in Marion Ott
Im Rahmen des Vortrags werden wir „Klassismus“ zunächst kurz historisch einordnen: Dabei geht es uns darum, die Begriffe, mit denen in den Sozialwissenschaften traditionell über soziale Ungleichheit nachgedacht wurde und wird (Klassenverhältnis, Schicht, Milieu, Intersektionalität) kurz zu skizzieren. Bezogen auf „Klassismus“ werden wir dann die gegenwärtigen Verwendungen dieses Begriffs vorstellen. Das erscheint uns wichtig, weil sich bislang (noch) keine eindeutige Bestimmung durchgesetzt hat, wir es vielmehr, so die These, gerade mit einer Akademisierung zu tun haben, in der ein „Slogan“ von Aktivist*innen angeeignet und theoretisch gefasst werden soll. Die Verwendungen changieren zwischen Kritik an Diskriminierungen und Anstrengungen, den Begriff so zu fassen, dass die Frage nach Klassenverhältnissen im Fokus bleibt. Unser Interesse ist, inwieweit das Konzept „Klassismus“ über das der „Diskriminierung“ hinausgeht.
15.11.2022
Der Habitusbegriff im Kreuzverhör. Theoriestrategien und Gegenstandskonstruktionen bezüglich sozialer Ungleichheit und Klassismus
Prof. Dr. Daniel Wrana
Mit dem Buch "Die feinen Unterschiede" hat Pierre Bourdieu eine Theorie sozialer Ungleichheit vorgelegt, die deren Reproduktion darüber erklärt, dass soziale Gruppen sich mit ästhetisch-symbolischen Mitteln voneinander abgrenzen und nicht nur als verschieden, sondern als hierarchisch aufeinander bezogen erkennen. Der Habitus gilt dabei als ein Komplex von dem Denken und Handeln und dem Körper eingeschriebenen, über Sozialisation vermittelten Strukturen, die qua Trägheit für soziale Stabilität sorgen. Dieser Vorschlag zur Theoretisierung war so erfolgreich, dass der Habitusbegriff nicht nur in verschiedenen Kontexten genutzt wurde, sondern durch die Art und Weise, wie er genutzt wird, auch ganz verschiedene Bedeutungen und Funktionen dabei einnimmt, wie er "Ungleichheit" einerseits und "menschliches Handeln" andererseits als Gegenstand entwirft. Den Habitusbegriff ins Kreuzverhör nehmen bedeutet, seine Lesarten miteinander zu konfrontieren und genau hinzuschauen, was die Rede vom Habitus jeweils hervorbringt.
22.11.2022
Klassismus und organisierter Antifeminismus: Intersektionelle Diskurskoalitionen
Andreas Kemper
Der organisierte Antifeminismus geht in Deutschland weitgehend von Adels-Netzwerken aus. Zugleich sind Akteur*innen, die sich gegen antiklassistische Maßnahmen im Bildungssystem positionieren, häufig in antifeministischen Diskursen zu finden. Als eine gemeinsame Klammer kann der verklärende 'Familismus' betrachtet werden.
06.12.2022
Krisen, Klassen, Kapitalismus: Die 3 K’s in den Geschlechterverhältnissen.
Prof.in Dr.in Stefanie Wöhl
‚Multiple Krisen‘ prägen derzeit global verschiedene Lebensweisen und Arbeitsverhältnisse. Im Vortrag soll auf die Zusammenhänge von Krisen, Klassen- und Geschlechterverhältnisse eingegangen werden und anhand verschiedener Beispiele aus dem Globalen Süden und Norden diskutiert werden, wie eine globale Umgestaltung der Produktions- und sozialen Reproduktionsverhältnisse aussehen müsste, um soziale Ungleichheit zu minimieren.
13.12.2022
Klassismus in Bildungsinstitutionen
Prof.in Dr.in Isabel Steinhardt
In Bildungsinstitutionen wird soziale Ungleichheit und damit Klassizismus dauerhaft reproduziert. Um aufzuschlüsseln, wie diese Reproduktion stattfindet wird zunächst theoretisch beleuchtet welche Mechanismen wirken, um diese dann an empirischen Studien zu vertiefen. In den Fokus kommen dabei z.B. institutionelle Diskriminierung oder Mikroaggressionen. Im dritten Teil des Vortrags kommen dann Betroffene selbst zu Wort, indem eine Analyse des Twitter-Hashtags #ichbinarmutsbetroffen vorgestellt wird.
10.01.2022
Klasse und Migration: Diskriminierungskritische Perspektiven auf das meritokratische Versprechen der Schule in der Migrationsgesellschaft
Dr. Dennis Barasi
Das meritokratische Prinzip der Schule verspricht Chancengleichheit für alle Schüler*innen. Im Vortrag erfolgt zunächst eine theoretische Auseinandersetzung mit den Begrifflichkeiten soziale Herkunft sowie Klassismus und Migration sowie Rassismus. Anschließend wird die migrationsgesellschaftliche Perspektive als theoretische Analyseperspektive vorgestellt. Unter Zugrundelegung dieser Perspektive erfolgt eine kritische Auseinandersetzung mit Differenzkategorien, mit denen Menschen qua Migration zu ‚Anderen‘ gemacht werden. Im zweiten Teil des Vortrags schließt eine kritische Auseinandersetzung mit dem meritokratischen Prinzip und dem damit verbundenen Versprechen von Objektivität, Aufstiegsmobilität sowie Individualität an. Auf Basis von empirischen Forschungsergebnissen wird demzufolge das meritokratische Versprechen von Chancengleichheit entkräftet. Im Fokus stehen hierbei klassistische und rassistische Strukturen sowie deren intersektionales Zusammenwirken.
24.01.2023
Klasse oder Exzellenz? Soziale Ungleichheitsverhältnisse in der Wissenschaft
Dr.in Maria Keil
Der Einfluss der sozialen Herkunft auf wissenschaftliche Laufbahnen stellt nicht nur ein Forschungsdesiderat, sondern auch ein kaum thematisierter Aspekt im Diskurs um Chancengleichheit dar. Ausgehend vom meritokratischen Paradigma, das das Feld der Wissenschaft par excellence charakterisiert, stellt sich die Frage wie Leistungszuschreibungen mit sozialen Ungleichheitsverhältnissen verwoben sind. Der Vortrag geht der Frage nach, wie soziale Klasse und Geschlecht wissenschaftliche Laufbahnen beeinflussen und zeigt anhand einer Studie des Felds der Sozialwissenschaften Gründe für soziale Schließung auf.
Teilnahmebescheinigung
Es gibt die Möglichkeit bei regelmäßiger Teilnahme an der Ringvorlesung eine Teilnahmebescheinigung zu erhalten. Bitte wenden Sie sich an: genderzentrum[at]upb[dot]de