KW im Dialog
Eine Anstiftung zum transdiziplinären Gespräch
Die für das Wintersemester 2024/2025 geplante Veranstaltung ist von der Überzeugung getragen, dass inter- und transdisziplinäre Kooperation im Zusammenhang kulturwissenschaftlicher Forschung – und vermutlich nicht allein in diesem Zusammenhang – erheblich über das Aneinanderreihen unterschiedlicher Perspektiven und Beobachtungen hinausgeht bzw. hinausgehen sollte. Die Veranstaltung lädt dazu ein, dass unterschiedliche Perspektiven einander im wissenschaftlichen Dialog herausfordern und somit deren Modifikation, Veränderung, Vertiefung oder Erweiterung fördern.
Die Struktur der Veranstaltung ist darauf angelegt, in der besagten Weise herausfordernde Begegnungen zu provozieren, die sich neben den konkreten Projektbesprechungen auch dialogisch über das (Selbst-)Verständnis als Kulturwissenschaftler*in verständigen. Dazu wurden vier thematische Cluster gebildet, um in eine vertiefte Auseinandersetzung und Diskussion gehen zu können. Folgende Fakultätszentren konnten für die Cluster gewonnen werden: Zentrum für Komparative Theologie (ZeKK), Transdisciplinary Research Center for Popular Music Cultures and Creative Economoies (C:POP), Zentrum für deutschsprachige Gegenwartsliteratur (ZdG) sowie Zentrum für Geschlechterstudien/Genderstudies (ZG). Die jeweiligen Sitzungen, die von den benannte Zentren gestaltet werden, bestehen i.d.R. aus zwei Tandems mit je einem Impulsvortrag und einem Responsevortrag und einer alle Vorträge zusammenführenden Abschlussdiskussion. "Tandem" meint hier die (möglichst) statusgruppenübergreifende Zusammensetzung und Beteiligung von zwei Personen. Der Impulsvortag widmet sich Gegenständen und/oder greift auf Methoden zurück, die möglichst weit in das Fachgebiet derjenigen vortragenden Person hineinragen sollen, die den Responsevortrag hält. Kurz gesagt: Der Impulsvortrag "wildert" in einem anderen Fach. Der Responsevortrag hat die Funktion, Rückmeldungen zu geben (gerne auf einen Aspekt fokussiert), die zum Übertreten der betreffenden Fachgebietsgrenzen ermutigen, jedoch gleichzeitig dazu dienen, sich die Kultur des Denkens, die in den jeweils fremden Gefilden gepflegt werden, vor Augen zu führen, wie das Übertreten zu einer ertragreichen, ortskundig kritisch-unterstützend begleiteten Expedition werden kann.
Die Sitzungen finden monatlich (mittwochs, 16:00-18:00Uhr, s.t.) in Präsenz (Raum: J3 220) statt.
Veranstaltungen im Überblick
Datum | Titel | Beteiligte Fakultätszentren/Personen | |
I. | 23.10.2024 | Wer hat das Recht auf Wahrheit?Perspektiven zu Gotthold Ephraim Lessings "Nathan der Weise" | Zentrum für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften (ZeKK)
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II. | 20.11.2024 | Sterne und Sternchen in der Popmusik: Alte Grenzüberschreitungen und neue Grenzziehungen. Anstiftung zu pop-kulturellen (Weiter-)Diskussionen. | Transdisciplinary Research Center for Popular Music Cultures and Creative Economies (C:POP) |
III. | 11.12.2024 | "Unterricht in befreitem Lesen". Gegenwartsliteratur als Forschungsperspektive germanistischer Literaturwissenschaft | Zentrum für deutschsprachige Gegenwartsliteratur (ZdG) |
IV. | 15.01.2025 | Die Verortungsfrage der Gender Studies & wie das Geschlecht in die Wissenschaft kommt | Zentrum für Geschlechterstudien/Genderstudies (ZG) |
Veranstaltungen im Detail
Wer hat das Recht auf Wahrheit?
Perspektiven zu Gotthold Ephraim Lessings "Nathan der Weise"
- Yael Attia (MA)
- Dr. Domenik Ackermann
- Dr. Mohammed Abdelrahem
- Dr. Daniel Thierjung (Theater Paderborn)
Lessings Komödie „Nathan der Weise“ problematisiert die Rolle der Religion im gesellschaftlichen Diskurs. Als besonders relevant gilt die berühmte Ringparabel, die versucht, eine Lösung zu der Frage nach der “wahren” Religion zu finden. Wahrheitsansprüche und die Rolle der Religionen in der Gesellschaft stehen auch heute im Zentrum des interreligiösen Diskurses.
Während die Ringparabel sicherlich eine an der Vernunft orientierte Antwort auf die Wahrheitsfrage findet, muss sie vor dem gegenwärtigen pluralistischen Hintergrund problematisiert werden. Ist dieser Wahrheitsbegriff tatsächlich die Lösung für den gegenwärtigen gesellschaftlichen Diskurs und im Umgang mit Religionen?
Unser Beitrag „Wer hat das Recht auf Wahrheit? Perspektiven zu Gotthold Ephraim Lessings "Nathan der Weise"“ stellt Überlegungen aus islamischen, jüdischen und christlichen Perspektiven darüber an, wie sich der Wahrheitsbegriff innerhalb der religiösen Traditionen entwickelt hat und stellt die Frage, ob und inwiefern ein Wahrheitsbegriff im interreligiösen Kontext heute vertretbar ist. In diesem Rahmen werden drei 20-minütige Vortrage gehalten, gefolgt von einer Response:
- Der Impuls von Yael Attia behandelt die Rezeption der Ringparabel in jüdischer Tradition und fragt danach, was die Rahmenbedingungen für eine Gegenwartsbezogene Interpretation der Ringparabel heute aus jüdischer Sicht sein muss, um gesellschaftliche Relevanz zu haben.
- Der Impuls von Dr. Domenik Ackermann problematisiert der Vortrag den Gebrauch des christlichen Wahrheitsbegriffs im Umgang mit anderen Religionen, vor allem in der Komparativen Theologie.
- Der Impuls von Dr. Mohammed Abdelrahmen thematisiert den Islambegriff bei Shahrour als Oberbegriff für den Glauben an Gott in den abrahamitischen Religionen, wobei die Frage gestellt wird, ob diese Auffassung als moderne „Ringparabel“ verstanden werden kann.
- Dr. Daniel Thierjung antwortet als ehemaliger Dramaturg der Theaterinszenierung „Nathan der Weise“ aus theaterwissenschaftlicher Perspektive auf die Vorträge.
Sterne und Sternchen in der Popmusik: Alte Grenzüberschreitungen und neue Grenzziehungen.
Anstiftung zu pop-kulturellen (Weiter-)Diskussionen.
- Prof. Dr. Annegret Thiem
- Prof. Dr. Christoph Jacke
Karol G, Shakira, Jennifer Lopez und so viele andere weibliche Superstars der Popmusikkulturen lassen uns an ihren Figuren, (bewegten) Bildern, Klängen und vielfältigen Auftritten sowie an ihren medialen, politischen und wirtschaftlichen Kontexten viel über die Gesellschaften lernen, in denen wir leben: Als die Postmoderne zur Popmoderne wurde, als starke weibliche Popmusik-Stars sich ermächtigten, als auch andere als die anglo-amerikanischen Kulturkreise für Publika, Fans, potentiell soziale und journalistische Medien und Vermarktung faszinierend wurden, schien alles möglich, schienen Traditionsübersprünge und dritte Räume nahezu obligatorisch.
Doch wie bewegen sich derartig mächtige weibliche Figuren zwischen kulturellen Identitäten und identitären Kulturen oder sogar gesellschaftspolitischen Bedürfnissen?
Selbst die bunten und oftmals laborhaften Popmusikkulturen scheinen ihre Grenzen zu haben. Oder?
In unseren wechselseitigen Impulsen wollen wir uns dialogisch und in mehreren kurzen Erwiderungen an einigen zentralen Punkten der Analyse lateinamerikanischer Superstars der Popmusikkulturen abarbeiten, um dann das Setting mit dem Publikum zu öffnen. So soll die am „C:POP – Transdisciplinary Center for Popular Music Cultures and Creative Economies” gepflegte multiperspektivische und transdisziplinäre Zusammenarbeit vor einem gemeinsamen kulturwissenschaftlichem Hintergrund unterschiedlicher Wissenschaftskulturen aufgezeigt und praktiziert werden.
„Unterricht in befreitem Lesen“.
Gegenwartsliteratur als Forschungsperspektive germanistischer Literaturwissenschaft
- Prof. Dr. Norbert Eke
- Dr. Johanna Tönsing
Gegenwartsliteraturforschung bewegt sich in einem Feld unsicherer Zuschreibungsprozesse. Auch ist ihr Gegenstand eher volatilen Charakters, was den Versuch riskant macht, auf die Arbeit im Forschungsfeld der ‚Gegenwartsliteratur‘ eine akademische Karrieren gründen zu wollen. Dass zudem in der gegenwartsbezogenen Literaturwissenschaft zwei Felder eng zusammenrücken, nämlich Literaturkritik und Literaturwissenschaft, macht die Sache auch nicht eben leichter. Und überdies hat die Gegenwartliteraturforschung ungeachtet all der Paradigmenwechsel in den Kulturwissenschaften bislang keine eigene regelgeleitete Methodik für die Auseinandersetzung mit der sogenannten Gegenwartsliteratur entwickelt. Nicht einmal was die Gegenwart der Gegenwartsliteratur ist, kann als gesichert gelten.
Vorgeschlagen wird vor diesem Hintergrund ein Verständnis von ‚Gegenwartsliteratur‘ als – Beobachtungsdistanz in der Nähe herstellendes – Zeichensystem, in dem Prozesse der Aushandlung gesellschaftlicher Selbstverständlichkeiten sichtbar werden. Literatur, so eine die Gegenwartsliteraturforschung möglicherweise leitende Idee, reflektiert die Logiken der Sinngebung innerhalb der Gesellschaften, in der sie entsteht, und ‚schreibt‘ als Medium der Rekonstruktion (von Wirklichkeit) gleichzeitig auch an der Produktion von Wirklichkeit ‚mit‘. Der Literatur (und dem Theater) kommen als performativen Praktiken damit jeweils besondere Bedeutung zu: als Spiegel- und Speichermedium von symbolischer Differenz, gleichzeitig damit als Medium einer ‚Zeitverkapselung‘, die kulturelle Aushandlungsprozesse in die Sichtbarkeit stellt und Beobachtungsdistanz in der Nähe herstellt.
Über diese Art der Gegenwärtigkeit und die Konsequenzen daraus für eine gegenwartsbezogene Literaturforschung wollen wir miteinander ins Gespräch kommen.
Die Verortungsfrage der Gender Studies & wie das Geschlecht in die Wissenschaft kommt
- Prof. Dr. Antje Langer
- Oxana Eremin
Die Geschichte vergeschlechtlichten Denkens und vergeschlechtlichter Wissensproduktion ist so alt wie die Geistes- und Kulturwissenschaften selbst (vgl. bspw. Doyé et al. 2002). Demgegenüber ist die interdisziplinär-kulturwissenschaftliche Geschlechterforschung als akademisch institutionalisierte Disziplin ein vergleichsweise junges Forschungs- und Wissensfeld. In Deutschland beispielsweise wurde die Geschlechterforschung als akademisches Fach erst in den 1980er und 1990er Jahren schrittweise an den Universitäten etabliert (vgl. Brand/Sabisch 2019). Der trans- und interdisziplinäre Ansatz der Gender Studies wurzelt in der Frauenforschung, den Anfängen feministischer Theorie sowie deren Praktiken, (akademische) Wissenskulturen herauszufordern und zu verschieben (vgl. Hark 1998). „Charakteristisch für die Forschungen über die Kategorie Geschlecht ist [nämlich] nicht nur die Frage nach der Entstehung und der Bedeutung von Geschlechterverhältnissen, sondern auch die Problematisierung der eigenen Erkenntniskategorien.“ (Brand/Sabisch 2019: 1043).
Im Rahmen des Seminars „Gender Studies – Geschichte und Entwicklung“ gehen die Studierenden des Masterstudiengangs „Geschlechterstudien/Gender Studies“ der Genese der Geschlechterforschung als interdisziplinäres Studienfach nach und fragen nach den Chancen und Herausforderungen, die mit der Interdisziplinarität der Gender Studies einhergehen. Weiterhin beschäftigen sich die Studierenden mit geschlechtertheoretischen und genderanalytischen Perspektiven in ihren jeweiligen Zweitfächern.
Unsere Ergebnisse und Erkenntnisse aus der partizipativen Seminararbeit möchten wir gern in einem gemeinsamen Vortrag aus Studierenden und Lehrenden der Gender Studies der UPB vorstellen, teilen und diskutieren.
Literatur:
- Brand, Maximiliane & Sabisch, Katja (2019). Gender Studies. Geschichte, Etablierung und Praxisperspektiven. In: Kortendiek, Beate et al. (Hrsg.), Handbuch Interdisziplinäre Geschlechterforschung. Wiesbaden: Springer VS, S. 1043–1051.
- Doyé, Sabine/ Heinz, Marion/ Kuster, Friederike (Hrsg.) (2022). Philosophische Geschlechtertheorien. Leipzig: Reclam.
- Hark, Sabine (1998). Disziplinäre Quergänge. (Un)Möglichkeiten transdisziplinärer Geschlechterforschung. Potsdamer Studien zur Frauen- und Geschlechterforschung, 2, S. 7–22.