Si­lo­ge­sprä­che: Evan­thia Ts­an­ti­la (Ber­lin)

So wie viele KünstlerInnen bewege auch ich mich mit meiner Arbeit ständig zwischen mehreren europäischen Ländern. Auch beim Ausbruch des Coronavirus war ich unterwegs.

Mein Atelier in Berlin war ruhig. In der künstlerischen Praxis gibt es immer eine Zeit der Stille, aber gibt es keine verlorene Zeit. Und noch mehr, das mehrdeutige "Dazwischen" erweist sich oft als eine aufschlussreichZeit, da es uns die wertvolle Distanz und die notwendigen Voraussetzungen zum Nachdenken gibt.

In Krisenzeiten, in denen die Dinge unscharf und schwer fassbar werden, kann nichts den sozialen Zusammenhalt stärker halten, als unsere Nähe zum Geistigen, zur Kunst.

Seit dem Ausbruch der Pandemie sind wir über die verheerenden Auswirkungen des Coronavirus auf das menschliche Leben tief erschüttert.

Die ganze Welt ist unmittelbar mit den brutalen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Konsequenzen konfrontiert. Die globale Verlangsamung und der Lockdown verunsichert die gewohnten Mittel und Wege der KünstlerInnen. Das Leben wurde und wird aufgrund von Vesrchiebungen oder Stornierungen von Projekten und Ausstellungen sowie aufgrund von Reisen und anderen Einschränkungen äußerst kompliziert und - prekär.

Viele Kunstinstitutionen und Kulturschaffende bemühen sich, ihre Aktivitäten online aufrechtzuerhalten, und laden zu “Treffen” im Internet ein.

Es stellt sich jedoch heraus, dass das Bedürfnis der Menschen nach physischer Nähe stark ist und unsere Begegnung mit Kunst im physischen sozialen Raum nicht ersetzt werden kann. Zumindest noch nicht.

Zeit und Raum sind grundlegende Elemente des menschlichen Tuns, deshalb auch des Kreativen - und des Wahrnehmungsprozesses der Kunst. Ein Kunstwerk braucht so viel Zeit wie nötig, um kreiert zu warden. Und wenn es bereit ist, wird es im tatsächlichen Hier und Jetzt präsentiert, auch um seine soziale Rolle zu erfüllen. Der künstlerische Akt mit seinen Formen und seinen ästhetischen Gedanken trägt das Material seiner sozio-historischen Erfahrung.

Vor der Pandemie gab es intensive öffentliche Diskussionen über Menschenrechte, Migration, Nationalismus, Umweltschutz, nachhaltige Energien, Digital-Kapitalismus, Post-Kolonialismus, “Kreativindustrien”, Digitalisierung, Fake News, Datenschutz usw.

Wie werden wir diese Diskussionen voranbringen? Was kommt jetzt als nächstes und wie schnell?

Sind die aktuellen Bedingungen der Pandemie — der Sicherheitswahn, die Angst vor dem Tod, die Bedrohung von Arbeitslosigkeit und Armut oder sonst noch etwas Unvorhersehbares— ausreichend, jetzt radikale Veränderungen umzusetzen?

Sind wir für all’das überhaupt bereit? Wollen wir das?

Wird das Digitale den physischen Raum und die Formen des Sozialen - die Rituale und die Praktiken, den Protest und das soziale Engagement - total abschaffen und ersetzen, mit allen Konsequenzen die sich auf Freiheit, Privatsphäre, Menschenrechte und Gerechtigkeit beziehen?

Ist es zu spät, um die Folgen der katastrophalen Kombination von Geschwindigkeit und Ego umzukehren?

Und wie stellen wir uns dann die Eigenschaften, die Auswirkungen und die soziale Rolle der Kunst vor?

Da die Gegenwart nicht mehr offensichtlich ist, ist es sicherlich schwierig, zugleich aber notwendig, sich wieder eine Zukunft vorzustellen. Hier liegt die Rolle der Kunst. Kunst zielt darauf ab, Gedanken und Gefühle zu bewegen, die verschwommenen und die fließenden zu erleuchten und hinterfragen, und Formen von Widerstand und Freiheit zu schaffen.