Zurzeit arbeite ich an mehreren Porträt-Projekten. Der Blick auf das Gegenüber ist für mich ein Weg, Erkenntnisse über das Hier und Jetzt und das Dasein als solches zu sammeln.
Ich verwende die Handlung des Portraitierens, um von verschiedenen Perspektiven aus, und durch das Fokussieren durch unterschiedliche Wahrnehmungsfilter - auch die Prozesse des Porträtierens selber - wahrnehmbar zu machen.
Zwei von diesen Projekten will ich kurz vorstellen:
Bei dem ersten handelt es sich um eine Langzeitstudie: Mein Modell - eine Philosophiestudentin - sitzt mir seit einem Jahr regelmäßig. Ich beobachte sie von verschiedenen Ansichten aus und male sie, während wir uns Texte zur Menschheitsgeschichte anhören bzw. sie mir kunsttheoretische und philosophische Texte aus unterschiedlichen Epochen vorliest. Bei diesem Projekt konzentriere ich mich nicht so sehr auf das mimetische Abbilden der vor mir sitzenden Person, sondern ich lenke meine Wahrnehmung darauf, möglichst auf die akustischen und visuellen Reize, die mich während der Sitzung erreichen, mit Farbauftrag und Duktus zu reagieren.
Das zweite Projekt ist auch auf eine längere Findungsphase angelegt. Es geht um das Porträt eines Bildhauers. Wir sind uns freundschaftlich verbunden, und so entstand vor einigen Jahren der Plan bzw. die Bereitschaft zu diesem Portrait-Projekt. Im Sommer dieses Jahres war dann endlich der Zeitpunkt gekommen, daran kontinuierlich zu arbeiten. Wir haben uns bis jetzt regelmäßig für kurze, aber auch lange Sitzungen in seinem Garten getroffen. Die Sitzungen sind begleitet von Gesprächen über seine Arbeiten, biographische, historische, politische, kunstgeschichtliche sowie alltägliche Themen. Sie finden auch oft im Beisein von weiteren Personen aus seinem Umfeld statt. Während dieser Begegnungen reagiere ich mit verschiedenen Zeichenmaterialien auf meine Wahrnehmung seines Gesichts, indem ich mich genauso von der Intensität der Unterhaltung in meiner Strichführung leiten lasse, als auch von dem Wunsch, die Physiognomie zu erkunden. Die Farb- und Formensprache seines eigenen Werkes inspiriert mich dazu, charakteristische Elemente davon in die Interpretation seiner Erscheinung einfließen zu lassen.
Beiden Projekten ist gemeinsam, dass ich mich zunächst intuitiv leiten lasse von den von mir unmittelbar erlebten diversen Emotionen und Sinneseindrücken der Begegnung mit dem Gegenüber; durch sukzessive sich ansammelnde Zeichen, Spuren und Farben, die auf dem Bildträger eine Form annehmen, wird die Spannung, die diesen Begegnungen zu eigen ist, sichtbar gemacht. Im Atelier setze ich mich anschließend mit den gesammelten Eindrücken auseinander und entwickele weitere Bilder, bis das jeweilige Thema soweit ausgelotet ist, dass ein oder mehrere finale Bilder entstehen können.
Eine unmittelbare Auswirkung auf meinen Arbeitsprozess hatte die Pandemie insofern, als die für meine Arbeit wichtigen Personen mehr Zeit als sonst zur Verfügung hatten. Andere Auswirkungen waren abgebrochene laufende Ausstellungen, bzw. die Verschiebung von geplanten Ausstellungsprojekten.