Nachricht aus den Kulturwissenschaften

Interview: Wie blicken Historiker*innen und Ökonom*innen auf Steuerehrlichkeit und Steuerhinterziehung?

Fachübergreifende Lehre ermöglicht den Austausch der Perspektiven

Wie kann ehrliches Steuerzahlen gefördert werden? Studierende der Geschichte und der Wirtschaftswissenschaften der Universität Paderborn tauschen sich im kommenden Semester zu wirksamen Methoden aus und öffnen ihr Denken für die Sichtweise des jeweils anderen Faches. Die Organisatorinnen der Lehrveranstaltung „Steuern und Gesellschaft“ Prof. Dr. Dr. h.c. Dr. h.c. Caren Sureth-Sloane von der Professur für Betriebswirtschaftslehre, insb. Betriebswirtschaftliche Steuerlehre und Prof. Dr. Korinna Schönhärl vom Historischen Institut für Neueste Geschichte geben in einem Interview Einblick in die fachübergreifende Lehre.

Im Seminar kommen die wirtschaftswissenschaftliche und die historische Perspektive zusammen, um methodisch voneinander zu profitieren: Wie kam die Idee eines interdisziplinären Moduls?


Schönhärl: Caren Sureth-Sloane und ich haben festgestellt, dass unsere Forschungsinteressen große Überschneidungen aufweisen: Wir möchten beide herausfinden, warum Menschen ihre Steuern entweder ehrlich bezahlen oder zu umgehen oder zu hinterziehen versuchen. Caren Sureth-Sloane untersucht das für die Gegenwart und ich für die Vergangenheit, genauer für die 1940er bis 1980er Jahre. Da liegt eine Zusammenarbeit sehr nahe, um voneinander zu lernen und sich gegenseitig auf neue Ideen zu bringen.

Sureth-Sloane: Es war ein großes Glück für mich zu erfahren, dass mit Korinna Schönhärl eine erfahrene Historikerin an unsere Universität gekommen ist, die sich aus einer historischen Perspektive mit Steuervermeidung befasst. Wir haben schnell gemerkt wie viele Überlappungen, aber auch interessante neue Perspektiven eine Zusammenarbeit haben könnte. Wir teilen die Faszination für Fragen wie: Wann und warum nutzen Steuerpflichtige ganz legal die vom Gesetzgeber vorgesehenen Gestaltungsspielräume? Wann erweisen sich die vom Gesetzgeber geregelten Spielräume wie beispielsweise die Wahlrechte als gute, wann als weniger gute Idee? Welche Rahmenbedingungen fördern illegales Verhalten in Form von Steuerhinterziehung fördern? Und wie kann das vermieden werden? Genau diese Themen möchten wir mit Studierenden vertiefen und diskutieren.

Wann kam die Idee und wie lange hat es gedauert, diese zu verwirklichen?


Schönhärl: Die Idee zu einem gemeinsamen Seminar kam uns bei einem Gespräch Anfang 2022. Anschließend sind wir zügig daran gegangen, sie zu verwirklichen. Die Planung über Fakultätsgrenzen hinweg ist mit einem gewissen Aufwand verbunden. Jetzt ist die Vorbereitung jedoch weit fortgeschritten und ich freue mich sehr auf die Veranstaltung. 

Wie werden die Studierenden der zwei Fachrichtungen zusammenarbeiten und voneinander profitieren?


Schönhärl: Unser Plan ist, dass die Studierenden immer zu zweit die Verantwortung für eine Sitzung übernehmen: ein*e Ökonom*in in Kooperation mit einem*r Historiker*in. Wir schlagen Texte vor und die Studierenden planen gemeinsam, wie wir uns als Gruppe die Inhalte erschließen und erarbeiten. Dabei stehen beide Perspektiven gleichberechtigt nebeneinander: die historische und die ökonomische. So profitieren wir gegenseitig von der Expertise des anderen Faches. Auch didaktisch rechnen wir mit Lerneffekten: Die meisten angehenden Historiker*innen studieren im Lehramt, das heißt sie bringen vielfältige didaktische Erfahrungen und Ideen mit; die Ökonom*innen andererseits haben einen ganz anderen, oft freieren Stil in der Präsentation von Forschungsergebnissen. Das zusammenzubringen wird bestimmt spannend! 

Sureth-Sloane: Zu verstehen, was historisch zu beobachten ist und wie dies zu erklären ist, sich zu fragen, warum die Rahmenbedingungen in unterschiedlichen Ländern historisch unterschiedlich sind, hilft Studierenden der Wirtschaftswissenschaften, die heutigen Gegebenheiten besser einzuordnen. Die Studierenden der Wirtschaftswissenschaften können sich wiederum in diese Diskussion mit ihrem Fachwissen über die heutigen institutionellen Gegebenheiten einbringen und tragen damit wesentlich dazu bei, zu ergründen, welche Regulierungsmöglichkeiten zur Bekämpfung unerwünschter Steuervermeidung und -hinterziehung von Privatpersonen und in Unternehmen überhaupt offenstehen. Sie können zudem der Frage, in welchem Maße Steuern tatsächlich vermieden und hinterzogen werden, ausgestattet mit quantitativen und qualitativen Analysekompetenzen aus dem ökonomischen Schrifttum, auf den Grund gehen und so zu einer wissenschaftlichen Fundierung der Größenordnungen, Auslöser und Folgen beitragen.

Welchen Stellenwert hat interdisziplinäre Lehre aktuell und in der Zukunft? Wo liegen Vor- und Nachteile?


Sureth-Sloane: Interdisziplinarität wird bereits heute an vielen Stellen gelebt. So bieten wir in unserem Master Taxation, Accounting and Finance ganz gezielt sogenannte Kombinationsmodule an, die helfen, Fragestellung aus mehreren Blickwinkeln zu betrachten, auch im Austausch mit der Praxis. Diese Art von Interdisziplinarität kann Studierende und Lehrende gleichermaßen begeistern. Interdisziplinarität hilft, die Denkmuster der eigenen Disziplin auch mal zu verlassen und sich auf den größeren Kontext einzulassen. Dass man Fragestellungen und Phänomene, die man aus dem eigenen Fach kennt, ganz anders angehen kann, hat eine ganz eigene Faszination und macht Spaß. Das ist bereichernd, trägt zum (selbst-)kritischen Umgang mit der eigenen Disziplin bei und hilft, die großen gesellschaftlichen Herausforderungen in den Blick zu nehmen.

Schönhärl: Die Anforderungen an ein Seminar in den unterschiedlichen Fächern unterscheiden sich ebenso wie die Art und Weise, wie und wann beispielsweise Prüfungsleistungen erbracht werden. Das zur Deckung zu bringen, ist schon eine Herausforderung. Die Chance sehe ich darin, dass wir in der interdisziplinären Lehre viel voneinander lernen können und so auch gemeinsame Forschungsideen entwickeln. Und dass es einfach Spaß macht, über den eigenen Tellerrand zu schauen.

Gibt es ein alltägliches Beispiel, das die Schnittstellen aus der wirtschaftswissenschaftlichen und der historischen Perspektive mit Steuervermeidung und -hinterziehung verdeutlicht?


Sureth-Sloane: Die unerwünschte Vermeidung von Steuern und gar Steuerhinterziehung ist ein Produkt von regulatorischen Rahmenbedingungen und Gesellschaft. Möchte man die Schwächen der Systeme identifizieren und die Rahmenbedingungen so verbessern, dass die Befolgung der Gesetze verbessert wird, so ist es unerlässlich, die Hintergründe für die heutigen Gegebenheiten zu verstehen. So zeigt sich zum Beispiel, dass die Bereitschaft Steuergesetze zu befolgen, mit der Komplexität der steuerlichen Regulierung zusammenhängt und diese wiederum das Produkt einer historischen Entwicklung und vieler (inter-)nationaler Kompromisse ist. Will man Komplexität reduzieren, muss man verstehen, wo sie auftritt, ob beziehungsweise wann sie schädlich ist und in welchem Bereichen Verbesserungen in einem Land auch aufgrund der dortigen Traditionen und Konventionen überhaupt möglich sind. Zugleich muss verstanden werden, welche Instrumente in dem heutigen komplexen internationalen Umfeld welche Wirkung erzielen und damit zielführend sein könnten. Dafür ist die Schnittstelle besonders hilfreich.

Schönhärl: Die Debatte um Steueroasen wird zum Beispiel in den letzten Jahren immer kontroverser geführt. Um zu verstehen, wie und warum ein Land Steueroase ist und trotz Druck von außen auch bleiben möchte, ist es sehr wichtig zu verstehen, wie es dazu geworden ist, welche gesellschaftlichen Akteure an dem Prozess beteiligt waren, welche Interessen eine Rolle spielten oder welche internationalen Beziehungen. Erst auf dieser Basis lassen sich sinnvolle Überlegungen für die Probleme, mit denen wir aktuell zu kämpfen haben, auf dem Feld der Steuerhinterziehung anstellen. 

Als Ziel des Moduls wird das Stellen von „Handlungsempfehlungen zur Förderung von ehrlichem Steuerzahlen" genannt - wie soll dies erreicht werden?


Schönhärl: Wir lernen zusammen, wie man heute das ehrliche Steuerzahlen zu fördern versucht, welche Methoden etwas bewirken und welche weniger – und stellen die gleiche Frage auch für die Vergangenheit, wo wir die Ergebnisse auf längere Sicht verfolgen können.

Sureth-Sloane: Durch die Begegnung mit Einblicken aus der jeweils „anderen Disziplin“ können Handlungsfelder identifiziert werden, die vorher nicht wahrgenommen worden sind. Das ist manchmal überraschend und auch spannend. Wir versprechen uns von der Zusammenarbeit eine fundiertere Diagnose, die hilft, die besonders wichtigen Handlungsfelder von weniger wichtigen zu unterscheiden. Das didaktische Format bietet genau diese Möglichkeiten.

Weitere Informationen

Das Seminar wird von Prof. Dr. Dr. h.c. Dr. h.c. Caren Sureth-Sloane und Frau Prof. Dr. Schönhärl als gemeinsame Blockveranstaltung veranstaltet. Weitere Informationen zur Lehrveranstaltung „Steuern und Gesellschaft“.

Fotos (links: Universität Paderborn, rechts: Universität Paderborn, Adelheid Rutenburges): Prof. Dr. Dr. h.c. Dr. h.c. Caren Sureth-Sloane (links) und Prof. Dr. Korinna Schönhärl (rechts) im Interview.
Foto (John Schnobrich on Unsplash): Beim fachübergreifenden Lehren und Lernen geht es darum, die eigene fachspezifische Perspektive zu erkennen, zu reflektieren und mit anderen Perspektiven zusammenzuführen.

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